Vergabeblog

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Bauleistungen

Offensichtliche Eintragungsfehler müssen aufgeklärt werden (KG Berlin, Beschluss vom 07.08.2015, Verg 1/15)

EntscheidungDas Kammergericht hat entschieden, dass der Auftraggeber einen Bieter auf offensichtliche Eintragungsfehler in einer formularmäßigen Erklärung (hier: Erklärung zu nach Landesrecht verpflichtenden Frauenförderungsmaßnahmen) unmissverständlich hinweisen und ihm Gelegenheit zur Berichtigung geben muss. Die Verortung dieser Pflicht bei der Angebotsaufklärung wirft Abgrenzungsfragen zum Nachverhandlungsverbot auf.

§ 15 EG Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A; § 5 Abs. 1 FrauenförderungsVO Berlin (FFV)

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb Bauleistungen im offenen Verfahren mit dem Zuschlagskriterium niedrigster Preis aus. Die Antragstellerin beteiligte sich als Bietergemeinschaft, bestehend aus den Mitgliedern MB und der TB. Im Angebot war u. a. die landesrechtlich (§ 5 Abs. 1 FFV) geforderte, formularmäßige Frauenförderungserklärung von TB enthalten. In der Erklärung hatte TB angekreuzt, dass er über 250 bis 500 Beschäftigte verfüge. In diesem Fall wären nach den Hinweisen im Formular drei Frauenförderungsmaßnahmen auszuwählen gewesen; TB hatte allerdings nur zwei Maßnahmen angekreuzt. Nach dem Submissionstermin lag das Angebot der Bietergemeinschaft auf Rang 1.

Nach Prüfung der Angebote teilte der Auftraggeber der Bietergemeinschaft unter dem Betreff Nachforderung fehlender Unterlagen“ schriftlich mit:

Ihr Angebot enthält keine komplett ausgefüllte Frauenförderungserklärung. Diese Erklärung war mit dem Angebot einzureichen. Ich bitte Sie gem. § 16 (1) Nr. 3 EG VOB/A um Zusendung dieser Erklärung bis spätestens Sofern bis zu diesem Termin keine Erklärung eingeht, ist Ihr Angebot auszuschließen.

TB übersandte die beiden ursprünglichen Frauenförderungserklärungen erneut und wies im Anschreiben darauf hin, dass beide komplett ausgefüllten Frauenförderungserklärungen im Angebotspaket bereits enthalten“ waren. Der Auftraggeber schloss das Angebot mit der Begründung aus, dass es nicht alle in den Vergabeunterlagen gestellten Bedingungen erfülle. Die Bietergemeinschaft rügte den Ausschluss als vergaberechtswidrig, da sie nicht ordnungsgemäß auf den Fehler das im Formular hinsichtlich der Mitarbeiterzahl falsch gesetzte Kreuz hingewiesen worden sei. Das Nachforderungsschreiben sei missverständlich formuliert gewesen, weil es den Eindruck erweckt habe, dass die Frauenförderungserklärung insgesamt gefehlt habe.

Die Entscheidung

Das Kammergericht hält den Angebotsausschluss für vergaberechtswidrig, da der Auftraggeber nicht ausreichend deutlich auf die offenkundig fehlerhafte Frauenförderungserklärung hingewiesen hat. Die Hinweispflicht folgt zwar nicht wie der Auftraggeber annahm aus der Nachforderungspflicht (§ 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A), da die Erklärung nicht im Sinne dieser Vorschrift „fehlte“. Die Hinweispflicht ergibt sich aber aus § 15 EG Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, wonach der Auftraggeber die Aufklärung über die Eignung des Bieters und das Angebot selbst verlangen darf. Bei einem offensichtlichen Eintragungsfehler muss der Auftraggeber von dieser Befugnis Gebrauch machen, um das wirtschaftlich günstigste Angebot nicht an formalistischen Gesichtspunkten scheitern zu lassen. Hier lag es für den Auftraggeber auf der Hand, dass entweder die Mitarbeiterzahl oder aber die Zahl der Fördermaßnahmen irrtümlich falsch angegeben wurden. Gegen diese Hinweispflicht hat der Auftraggeber mit der zumindest missverständlichen und auch tatsächlich missverstandenen Formulierung des Nachforderungsschreibens verstoßen.

Rechtliche Würdigung

Das Verfahren der Nachforderung gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ist Teil der formalen Angebotsprüfung (1. Wertungsstufe) und daher auf körperlich nicht vorhandene oder formal nicht ordnungsgemäße Nachweise und Erklärungen beschränkt. Die Nachforderung hat daher nicht den Zweck, dem Bieter die Korrektur von inhaltlichen Fehlern zu gestatten (vgl. Nachweise bei OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.12.2012 VII-Verg 47/12). Die Entscheidung des Kammergerichts zeigt einen Weg auf, wie der Auftraggeber das Angebot im Wege der Aufklärung dennoch retten kann bzw. hier sogar musste. Dabei muss der Auftraggeber allerdings aufpassen, nicht die Schwelle zu unzulässigen Nachverhandlungen (§ 15 EG Abs. 3 VOB/A) zu übertreten. Grundsätzlich ist es im offenen und nichtoffenen Verfahren (ebenso bei öffentlicher und beschränkter Ausschreibung) nämlich unzulässig, einem Bieter nach der Submission Gelegenheit zu geben, sein Angebot zu verändern.

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Praxistipp

Das Nachverhandlungsverbot ist bieterschützend, so dass Mitbieter eine unzulässige Änderung des Angebots mit einem Nachprüfungsantrag angreifen können. Die Angebotsaufklärung sollte daher nur im Ausnahmefall zur Korrektur eines tatsächlich „offensichtlichen“ Irrtums des Bieters bemüht werden, in jedem Fall verbunden mit einer sorgfältig dokumentierten Begründung in der Vergabeakte.

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Über Dr. Martin Kunde

Dr. Martin Kunde ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei Carl Hilger Becker & Partner Rechtsanwälte PartG mbB in Düsseldorf. Er berät Bieter und Auftraggeber im Vergaberecht und privaten Baurecht.

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