Es ist zweifelhaft, ob der Grundsatz der Angemessenheit eingehalten wird, wenn bei Reinigungsleistungen Referenzen in einem Umfang gefordert werden, die die Größenordnung der ausgeschrieben Reinigungsleistungen übersteigen. Jedenfalls ist dies in der Vergabedokumentation zu begründen.
Unklarheiten bei der Definition des Mindestumfang führen dazu, dass der Bieter eine zweite Chance erhält, indem das Verfahren in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen ist.
§ 7 EG Abs. 1 VOL/A, Art. 44 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG
Sachverhalt
Die Vergabestelle schrieb Reinigungsleistungen in 2 getrennten Losen europaweit aus. Die zu reinigenden Flächen hatten jeweils einen Umfang von. ca. 20.000 qm. Dabei forderte sie Referenzen vergleichbarer Art und definierte die Vergleichbarkeit so, dass jeweils drei Referenzen für jedes Los mit einer Mindestreinigungsfläche von jeweils 20.000 qm vorgelegt werden mussten.
Wegen des Umfangs der geforderten Referenzen und wegen Streitigkeiten um die genaue Auslegung der Mindestanforderungen an die Referenzen stellte ein Bieter Nachprüfungsantrag und erreichte dort, dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückversetzt wurde.
Die Entscheidung
Der Nachprüfungsantrag war schon deshalb erfolgreich, weil die Definition der Mindestanforderungen an vergleichbare Referenzen nach Auffassung der Vergabekammer nicht hinreichend genau und somit intransparent war. Die Aussagen zum Umfang der Referenzen erfolgten daher als obiter dictum, sind aber dennoch sehr aufschlussreich und zeigen, wie ein obiter dictum dazu beitragen kann, künftige Nachprüfungsverfahren zu vermeiden.
In der Entscheidung differenziert die Vergabekammer zunächst zwischen den Anforderungen an die einzelne Referenz (20.000 qm) und den Anforderungen an den Gesamtumfang (drei mal 20.000 qm je Los).
Die Vergabekammer hält es durch den Auftragsgegenstand zunächst für gerechtfertigt und angemessen, dass die Vergabestelle nur solche Referenzen als vergleichbar akzeptieren wollte, die jeweils einen Umfang von 20.000 qm aufweisen. Denn hierdurch kann nach Ansicht der Vergabekammer dokumentiert werden, dass der Bieter leistungsfähig ist, eine ausgeschriebene Fläche dieser Größenordnung zu reinigen zu können. Die Anforderungen an die einzelne Referenz hält die Vergabekammer folglich für angemessen.
Im Hinblick auf die Anforderungen an den Gesamtumfang formuliert die Vergabekammer aber erhebliche Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit: Sie verweist zunächst darauf, dass es schon zweifelhaft sein kann, bei einem Ausschreibungsumfang von 40.000 qm Referenzen in Höhe von 60.000 qm zu fordern. Bei der gewählten Formulierung müsse sogar ein Bieter, der nur für ein Los, also für 20.000 qm, anbieten wolle, 60.000 qm Referenzen und damit das Dreifache nachweisen müsse.
Letztlich vermisste die Vergabekammer auch eine Begründung des Umfangs der geforderten Referenzen. Weder in der Vergabedokumentation noch im Nachprüfungsverfahren hatte sich die Vergabestelle dazu verhalten. Die Vergabekammer „entließ“ die Vergabestelle daher mit ihren Zweifeln an der Angemessenheit und dem dringen Hinweis, den Umfang der geforderten Referenzen künftig zu begründen, wenn sie an dem geforderten Maß festhalten will.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung verdeutlicht sehr schön, dass nicht nur auf die Formulierung von Mindestbedingungen größte Sorgfalt zu verwenden ist, sondern der Umfang von Anforderungen, hier Referenzen, zu begründen ist, wenn diese den Ausschreibungsgegenstand übersteigen. Ohne eine solche Begründung kann die Vergabekammer die Ermessensentscheidung der Vergabestelle nicht überprüfen. Damit gilt der alte Grundsatz, je höher die Anforderungen, desto mehr muss begründet werden. Gleiches gilt bspw. auch für die Ermittlung des Schwellenwertes: Je näher an der Schwelle, desto höher sind die Anforderungen an die Begründung der Ermittlung des Schwellenwertes.
Die Entscheidung ist daher vollkommen richtig und zu begrüßen. Denn eines ist auch klar: Hohe Referenzangaben ohne eine Öffnungsklausel sind geeignet, den Wettbewerb auf wenige große Anbieter zu verengen. Dies führt zu einer Verschiebung des Preis-/Leistungsverhältnisses zu Gunsten der wenigen Großen. Diese machen dann vielleicht kurzfristig gute Umsätze. Auf lange Sicht wird das kaum gelingen, weil die öffentliche Hand irgendwann über eine Eigenerbringung nachdenken wird und dies auch muss, nämlich dann, wenn sie die Erkenntnis gewinnt, die fraglichen Leistungen selbst günstiger ausführen zu können.
Praxistipp
In der Sache selbst wird es meines Erachtens der Vergabestelle kaum gelingen können, derart hohe Anforderungen an die Referenzen hinreichend zu begründen. In der Regel dürfte sich nämlich der Umfang der zu fordernden Referenzen auf den Ausschreibungsgegenstand zu beschränken haben. Generell ist empfehlenswert, jedenfalls bei marktüblichen Leistungen mit einem großen Bieterkreis, diese Spielraum nicht unbedingt auszuschöpfen oder durch eine Newcomer-Klausel zu entschärfen. Ansonsten werden Märkte reduziert und zementiert.
Martin Adams, Mag. rer. publ.
Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte, Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
Schreibe einen Kommentar