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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 07/08/2016 Nr. 26915

Erhebliche und bereits in der Bekanntmachung enthaltene Mängel berechtigen die Nachprüfungsinstanzen zur Aufhebung einer Ausschreibung (VK Südbayern, Beschl. v. 03.05.2016 – Z3-3-3194-1-61-12/15)

EntscheidungLeidet ein Vergabeverfahren an erheblichen Mängeln, die auch schon in der Bekanntmachung selbst enthalten sind, ist zur Vermeidung von weiteren Verzögerungen eine Aufhebung der Ausschreibung und nicht nur eine Rückversetzung in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen geboten.

Fehler in der Vergabebekanntmachung könnten bei der bloßen Rückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen erneut gerügt werden, was zu zeitlichen Verzögerungen führen würde, die nach Ansicht der VK Südbayern zu vermeiden seien.

Sachverhalt

Mehrere Krankenhäuser hatten einen Rahmenvertrag zur Lieferung von Arzneimitteln ausgeschrieben und mit der Ausschreibung ein Beratungsbüro beauftragt.

In der Bekanntmachung wurden unter anderem die Zuschlagkriterien bekannt gegeben:

„das wirtschaftlich günstigste Angebot in Bezug auf die nachstehenden Kriterien
1. Angebotspreis Arzneimittel gemäß Pos. 1 der Leistungsbeschreibung, Gewichtung 75
2. Gesamtpreis Logistik + Controlling + Beratung gem. Pos. 2-4 der Leistungsbeschreibung, Gewichtung 10
3. Erfahrungen in vergleichbaren Projekten/Referenzen gemäß Pos. 5. 1 der Leistungsbeschreibung, Gewichtung 8
4. Bestehende Qualifikationen gem. Pos. 6.1 der Leistungsbeschreibung, Gewichtung 3
5. Qualität der Zertifizierungen gem. Pos. 6.2 der Leistungsbeschreibung, Gewichtung 2
6. Elektronische Lieferscheinübermittlung gem. Pos. 6.3 der Leistungsbeschreibung, Gewichtung 1
7. Qualität der statistischen Aufarbeitung gem. Pos. 6.4 der Leistungsbeschreibung, Gewichtung 1“

Im Leistungsverzeichnis war auf S.21 zur Preisgestaltung Folgendes ausgeführt:

POS 1: Der Gesamtpreis der angebotenen Arzneimittel – gemäß Arzneimittelliste – liegt im Vergleich der Angebote
mehr als 15% unter dem Mittelwert 5 Punkte
mehr als 10% unter dem Mittelwert 4 Punkte
bis 5% über oder unter dem Mittelwert 3 Punkte
mehr als 10% über dem Mittelwert 2 Punkte
mehr als 10% über dem Mittelwert 1 Punkte
Keine Angaben 0 Punkte.

Für bestimmte Rezepturarzneimittel hatte die Vergabestelle kein Volumen benannt. Die Rezepturarzneimittel sollten vielmehr einzeln abgerufen und abgerechnet werden. Im Rahmen einer Bieterinformation teilte die Vergabestelle noch mit, dass diese Positionen mit „Null“ zu bepreisen seien. Später nannte die Vergabestelle noch weitere Positionen, die ebenfalls mit „Null“ bepreist werden sollten. Außerdem teilte die Vergabestelle im Rahmen einer weiteren Bieterinformation mit, dass für Positionen, die keine Arzneimittel sind, keine Angaben gemacht werden müssen.

Die spätere Antragstellerin rügte im Verfahren unter anderem den vorgesehen Zuschlag an eine Bietergemeinschaft, einen Verstoß gegen das Gebot der hinreichenden Leistungsbeschreibung und gegen die Dokumentationspflicht.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag hatte durchschlagenden Erfolg. Zwar war er nur teilweise zulässig, da die Antragstellerin ihrer Rügeobliegenheit nur teilweise nachgekommen war, indes nimmt die VK Südbayern dankenswerter Weise auch zu diesen Rügen Stellung im Hinblick auf eine Wiederholung der Ausschreibung.

Denn die Vergabekammer hat die Ausschreibung aufgehoben, da das Ausschreibungsverfahren nach ihrer Ansicht an erheblichen Mängel leidet. Im Einzelnen:

Zunächst sieht die Kammer einen Verstoß gegen das Gebot der hinreichenden Leistungsbeschreibung darin, dass für bestimmte Rezepturarzneimittel keine Mengen angegeben waren und keine Preise abgefragt wurde, obwohl die Lieferung dieser Arzneimittel Leistungsgegenstand werden sollte. Zwar gelte das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsausschreibung bei Rahmenvereinbarungen nur eingeschränkt. Jedoch sei ein Auftragsvolumen grundsätzlich anzugeben. Zumal dann, wenn es sich nach eigenen Angaben der Antragsgegnerinnen um übliche Mengen handeln sollte. Dann müssen diese auch angegeben werden.

Auch bemängelt die Kammer in diesem Zusammenhang, dass für die Einzelabrufe der Rezepturarzneimittel kein Preis abgefragt wurde. Dies hätte zwingend erfolgen müssen, da der Preis zu den essentialia negotii gehöre und im Übrigen eine Wertung der Angebote ohne Preisangaben gar nicht stattfinden könne.

Weiter wurden von der Kammer auch die Arzneimittellisten als teilweise falsch und irreführend eingestuft. In der mündlichen Verhandlung stellte sich heraus, dass einige der in den Listen enthaltenen Arzneimittel in Deutschland gar nicht mehr verfügbar waren. Dennoch hatten einige Bieter hier Preise eingetragen, andere Bieter hingegen diese Positionen mit „0,00“ EUR angegeben.

Dies leitet über zu dem in diesem Zusammenhang aufgetretenen „Spezial-Problem“. Es sei hier nämlich ausnahmsweise unklar, welche Bedeutung dem Preiseintrag „0,00“ EUR zukommen solle. Die Kammer nennt drei Möglichkeiten:

  1. Die Leistung wird kostenlos angeboten (Auslegung im Regelfall).
  2. Die Leistung wird nicht angeboten (Solche Positionen, die am Markt nicht mehr verfügbar sind).
  3. Die Leistung wird angeboten, der Preis aber erst später festgelegt (Sonderfall Rezepturarzneimittel).

Die Bieter haben „0,00“ EUR-Eintragungen in unterschiedlichen Positionen gemacht, auch bei solchen, die Leistungsgegenstand waren. Damit fehlten eigentlich Preisangaben. Dies rechtfertige aber nicht den Ausschluss dieser Angebote, da die Vergabestelle nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, welche Positionen wie zu bepreisen waren

Zudem habe die Vergabestelle in diesem Zusammenhang Positionen, die nicht beschafft werden sollten, von den Bieter aber dennoch (fälschlicherweise) bepreist wurden, mit in die Wertung aufgenommen.

Aufgrund der Vielzahl der der Schwere der Mängel sei eine Zuschlagserteilung im laufenden Vergabeverfahren schlechterdings ausgeschlossen.

Für eine Neuausschreibung gibt die Kammer noch folgende Hinweise mit auf den Weg:

  • Das Gebot der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien sei dadurch verletzt, dass die Wertungskriterien „Erfahrungen in vergleichbaren Projekten“; „Bestehende Qualifikationen“ und „Zertifizierungen etc.“ als Zuschlagskriterien definiert waren.
  • Das Wertungssystem für die Preise sei unzulässig. Unter Verweis auf OLG München Beschl. v. 21.05.2010, Verg2/10 ergebe sich die Unzulässigkeit schon allein aus daraus, dass die vorgesehenen Stufen unterschiedlich groß waren. Die relativen Abstände der Preise müssen bei einer Punktevergabe angemessen berücksichtigt werden. Auch sei ein Angebot, dass insoweit keine Angaben enthalte, nicht mit „0“ Punkten zu bewerten, sondern auszuschließen.
  • Der Bewertungsmaßstab für die Kriterien „Referenzen“ und „Sonstiges“ sei weder klar, eindeutig noch transparent. Er lasse nicht erkennen, wie genau gewertet werden soll. Dies sei aber zwingend erforderlich.

Rechtliche Würdigung

Der Entscheidung der Kammer ist in allen Punkten zuzustimmen. In rechtlicher Hinsicht sind zwei Aspekte hervorzuheben:

Obwohl eigentlich für die Angebot aller am Nachprüfungsverfahren Beteiligten offenbar Ausschlussgründe, nämlich in Form von fehlenden Preisangaben vorlagen, hatte der Nachprüfungsantrag dennoch Erfolg. Denn die Vergabestelle hat so schlampig gearbeitet, dass den Bieter entschuldbar nicht immer klar war, welche Preiseintragungen zu machen waren. Unklarheiten gehen nun einmal zu Lasten der Vergabestelle. Es wäre im Ergebnis auch angesichts der Schwere und Vielzahl der Mängel der Ausschreibung kaum vertretbar gewesen, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Der zweite Aspekt betrifft den Bereich der preislichen Wertung. Die Vergabestelle musste hier Preise in Punkte umrechnen, da die auch außerpreisliche Wertungskriterien vorgesehen hat. Neben den handwerklichen Fehlern des Preisbewertungsmethodik ist auch die Methodik als solche ungeeignet. Hier hat die Kammer zu Recht festgestellt, dass diese Bewertungsmodell viel zu grobschlächtig ist.

3DVT-450-160

Praxistipp

Hier sind viele vermeidbare Fehler unterlaufen. Der erste Praxistipp muss natürlich lauten, solche Fehler erst gar nicht zu machen. Das ist aber manchmal leichter gesagt als getan. Hingegen wundert es schon, wenn ein Beratungsbüro eingeschaltet wird und dann dennoch solche Fehler passieren. Das Urteil zeigt insbesondere, dass auf die Leistungsbeschreibung und die Aufstellung von Wertungs- und Zuschlagskriterien größte Sorgfalt zu legen ist.

Ich möchte aber auf einen weiteren Fehler hinweisen, der gar nicht Gegenstand der Entscheidung ist: Hier wurde das Vergabeverfahren aufgehoben, weil Fehler in der Vergabebekanntmachung enthalten waren. Das ärgerliche daran: Die Fehler bezogen sich auch auf Informationen, die gar nicht zwingend in die Bestandteil der Bekanntmachung hätten sein müssen. So dürfen die Zuschlagskriterien auch erst in den Vergabeunterlagen konkret benannt werden. Das sollte man das auch so tun, weil dann eine Korrektur im laufenden Verfahren möglich ist und eine Aufhebung des gesamten Verfahrens vermieden werden kann.

Im Hinblick auf Preisbewertungsmodelle hat sich in unserer Beratungspraxis eine Skalierung der Angebotspreise bewährt: Der niedrigste Preis erhält 5,0 Punkte. 0 Punkte erhält ein fiktives Angebot mit dem 1,5-fachen des niedrigsten Preises. Alle Angebote darüber erhalten ebenfalls 0 Punkte. Für dazwischenliegende Preise erfolgt die Punktermittlung durch lineare absteigende Verteilung der Punktwerte innerhalb des Korridors zwischen dem niedrigsten Preis und dem 1,5-fachen des niedrigsten Preises.

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Martin Adams, Mag. rer. publ.

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte, Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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