Öffentlich-öffentliche Kooperationen sind nicht grundsätzlich vom Vergaberecht ausgenommen. Vergabefrei sind sie nur, wenn – im Ausnahmefall – die Grundsätze der interkommunalen Zusammenarbeit greifen. Mit den Details dieser Grundsätze beschäftigt sich das OLG Naumburg in seiner Entscheidung vom 17.03.2017, die noch auf Grundlage der bis zum 18.04.2016 geltenden Rechtslage erging, aber auch für die Auslegung des aktuellen § 108 Abs. 6 GWB herangezogen werden kann.
§ 108 Abs. 6 GWB
Sachverhalt
Eine Stadt (Beigeladene) gründete mit anderen Gemeinden einen Abwasserzweckverband (Antragsgegner). Aufgabe des Abwasserzweckverbandes war die Abwasserentsorgung und der Betrieb der dazugehörigen Abwasserentsorgungsanlagen auf dem Gebiet der Ortsteile der Gründungsgemeinden (Verbandsgebiet). Bei der Gründung des Antragsgegners übertrug die Beigeladene ihm diese Aufgaben nur hinsichtlich zweier Stadtteile. Im übrigen Stadtgebiet erbrachte sie die Abwasserentsorgung und den Betrieb der Anlagen selbst.
Der Antragsgegner übertrug, nach seiner Gründung, die Betriebsführung der Abwasserentsorgungsanlagen auf einen privaten Anbieter (Antragsteller). Anlässlich einer Vertragsverlängerung entschied sich der Antragsgegner dafür, den Vertrag mit dem Antragsteller nicht zu verlängern, sondern stattdessen die Beigeladene mit der Betriebsführung zu betrauen. Zu diesem Zweck schlossen beide Parteien einen Kooperationsvertrag. Im Kooperationsvertrag regelten sie insbesondere die jeweiligen Leistungen, die Weisungs- und Kontrollbefugnisse des Antragsgegners und die Grundsätze der Kooperation. Dort heißt es auszugsweise:
(…) Durch die Zusammenarbeit wird kein privates Unternehmen bessergestellt als seine Mitbewerber. Der Stadt steht es frei, sich ihrerseits bei Erfüllung der mit diesem Vertrag übertragenen Aufgaben Dritter zu bedienen. Die Regelungen des Vergaberechts bleiben unberührt. Mit dem Ausbau der Zusammenarbeit (…) wollen die Vertragspartner:
- Die Abwassergebühren im Bereich des AZV und der Stadt langfristig stabil halten;
- die technischen Anlagen des AZV (…) zeitgemäß und nachhaltig in Stand halten und betreiben,
- (…) (der) Erschwerung und Verteuerung der Aufgabenerfüllung durch die demographische Entwicklung entgegenwirken,
- die Kommunale Selbstverwaltung und die kommunale Gemeinschaftsarbeit stärken und,
- für die Einwohner im Gebiet des AZV und der Stadt ein hohes Maß an Kostentransparenz herstellen.
(Einfügungen durch den Verfasser).
Für ihre Tätigkeit sollte die Beigeladene ein Betriebsführungsentgelt erhalten, das auf Basis ihrer Selbstkosten errechnet werden sollte. Eine öffentliche Ausschreibung des Kooperationsvertrages fand nicht statt.
Die Entscheidung
Die unterbliebene Ausschreibung des Kooperationsvertrages sei vergaberechtswidrig. Der Kooperationsvertrag sei ein ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag. Die Bereichsausnahme der interkommunalen Zusammenarbeit (nunmehr § 108 Abs. 6 GWB) finde keine Anwendung. Der Kooperationsvertrag sei wegen der unterbliebenen öffentlichen Bekanntmachung auch nichtig nach § 101b Abs. 1 GWB a.F. (nunmehr § 135 Abs. 1 GWB).
Zu diesem Ergebnis kommt das OLG Naumburg nach einer Prüfung der in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Grundsätze zur interkommunalen Zusammenarbeit. Zunächst stellt es die dafür maßgeblichen Kriterien ausführlich dar, wonach Verträge von der Anwendung des Vergaberechts ausgenommen seien, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
Sodann subsumiert der Senat den Sachverhalt unter diese Kriterien. Zum Ersten Kriterium stellt er fest, es fehle bereits an einer Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen bei einer beiden Vertragsparteien obliegenden öffentlichen Gemeinwohlaufgabe. Für dieses Kriterium sei es erforderlich, dass beide Vertragsparteien ein gemeinsames Ziel verfolgen, sodass der Vertrag von einer Zielidentität geprägt sei. Die Abwasserbeseitigung sei zweifellos eine öffentlich-rechtliche Pflichtaufgabe der Daseinsvorsorge, jedoch oblag diese Aufgabe für das Gebiet des Abwasserzweckverbandes alleine dem Antragsgegner und nicht (auch) der Beigeladenen. Diese habe sich, durch die Gründung des Antragsgegners und die dabei vorgenommene Übertragung der Abwasserentsorgungsaufgaben auf dem Gebiet ihrer zwei Ortsteile auf ihn, dieser öffentlich-rechtlichen Gemeinwohlaufgabe gerade entledigt.
Eine Zielidentität beider Vertragsparteien scheide damit aus, denn die Beigeladene bekomme mit der Betriebsführungspflicht für das gesamte Verbandsgebiet im Ergebnis eine Aufgabe übertragen, die ihr nicht (mehr) obliege. Der Kooperationsvertrag sei vielmehr ein bloßer Dienstleistungsvertrag, bei dem der Antragsgegner der Beigeladenen lediglich die Erfüllung technischer Dienstleistungen übertrage. Das gelte umso mehr, als der Vertrag ein kooperatives Konzept, bei dem jeder Kooperationsbeteiligte einen Beitrag zur Ausführung der gemeinsamen Aufgabe erbringe, vermissen lasse. Dieses Konzept setzt bereits begrifflich ein bewusstes und gleichberechtigtes horizontales Zusammenwirken der Vertragspartner voraus. Einem kooperativen Konzept ist das Bestehen eines Über-/Unterordnungsverhältnisses, wie es bei einem Dienstleistungsvertrag üblich ist, gänzlich fremd. Der Kooperationsvertrag sieht aber gerade ein solches Über-/Unterordnungsverhältnisses vor, denn der Antragsgegner habe gegenüber der Beigeladenen bei der Aufgabenerfüllung weitgehende Weisungs- und Kontrollbefugnisse.
Auch das zweite Kriterium der interkommunalen Zusammenarbeit lehnt der Senat ab. Zunächst beschäftigt er sich damit, ob die Finanztransfers zwischen den Vertragsparteien dem Kriterium schon entgegenstehen könnten, denn diese beschränken sich nicht auf die reine Selbstkostenerstattung für die Beigeladene. Die Beigeladene habe in ihrer Kalkulation vielmehr auch eine Abgeltung allgemeiner Unternehmerwagnisse vorgesehen, sodass sie durch den Vertrag auch einen kalkulatorischen Gewinn erwirtschaften würde. Diesen Gedanken reißt der Senat nur an und lässt die Frage damit im Ergebnis offen.
Die Ablehnung des zweiten Kriteriums begründet er vielmehr damit, dass die Zielsetzungen des Kooperationsvertrages lediglich abstrakt-allgemeiner Natur seien (z.B. sollen die Abwassergebühren langfristig stabil gehalten und den Erschwerungen und Verteuerungen durch die demographische Entwicklung entgegengewirkt werden). Der Senat vermag nicht zu erkennen, inwiefern diese allgemeinen Ziele gerade eine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien voraussetzen. Vielmehr unterscheide sich der Kooperationsvertrag nicht von einem gewöhnlichen Dienstvertrag. Durch den Kooperationsvertrag habe der Antragsgegner lediglich seinen früheren privaten Dienstleister durch einen anderen öffentlichen Dienstleister ausgetauscht. Dies reiche für eine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit nicht.
Schließlich verneint der Senat auch das dritte Kriterium der interkommunalen Zusammenarbeit. Es sei nicht ausgeschlossen, dass durch den Kooperationsvertrag private Unternehmen Wettbewerbsverstößen ausgesetzt seien. Der Kooperationsvertrag gestatte der Beilgeladenen gerade die Weitergabe der Aufgaben der Betriebsführung an dritte (private) Unternehmen, wovon sie im konkreten Fall auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Durch diese Unterbeauftragung sei nach der Rechtsprechung des EuGH nicht ausgeschlossen, dass diese Unternehmen gegenüber anderen Anbietern begünstigt würden, sodass eine Hinzuziehung privater Dienstleistungserbringer stets zu einer Benachteiligung privater Wettbewerber führen könne.
Rechtliche Würdigung
Das OLG Naumburg hatte über die Abgrenzung zwischen einer tatsächlichen interkommunalen Zusammenarbeit und einem als solcher getarnten Dienstleistungsvertrag zu entscheiden. Dabei wendet es die in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Kriterien im Wesentlichen überzeugend auf den Sachverhalt an. In einzelnen Details der Prüfung bleibt der Senat aber eine klar Antwort schuldig.
So reißt er die Frage, ob die Erwirtschaftung eines kalkulatorischen Gewinns per se dem Kriterium entgegenstehe, dass die Zusammenarbeit und ihre Umsetzung nur durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt sei, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhänge, lediglich an, ohne hier eine konkrete Antwort zu geben. Nach der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere im Fall Stadtreinigung Hamburg (EuGH, Urt. v. 09.06.2009 – Rs. C-480/06), wäre hier eine deutlichere Antwort möglich gewesen, nämlich dass eine Gewinnerzielung einer vergabefreien interkommunalen Kooperation entgegensteht.
Auch beim dritten Kriterium, bleibt der Senat eine klare Antwort schuldig. Gerade aus der Entscheidung des EuGH im Fall Lecce (EuGH, Urt. v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11) hätte es hier einer detaillierteren Auseinandersetzung bedurft, ob durch die Möglichkeit der Unterauftragnehmervergabe Wettbewerbsverstöße gegenüber Dritten vorliegen. Wenn die Beigeladene die mit der Betriebsführung unterbeauftragten Unternehmen unter Beachtung des Vergaberechts beauftragt hätte, wäre äußerst zweifelhaft, ob mit der Rechtsprechung des EuGH hätte immer noch davon auszugehen wäre, dass private Wettbewerber einem Wettbewerbsverstoß ausgesetzt seien.
Im Ergebnis überzeugt die Entscheidung aber gleichwohl, denn der Senat arbeitet deutlich heraus, dass der Antragsgegner durch den Kooperationsvertrag lediglich eine marktgängige Dienstleistung einkauft und dazu nur seinen bisherigen privaten Dienstleister gegen einen öffentlich-rechtlichen Dienstleister austauscht. Eine Kooperation in dem Sinne, dass beide Vertragsparteien ihren Beitrag für das Erreichen eines gemeinsamen öffentlichen Ziels einbringen, liegt bei Licht betrachtet nicht vor.
Das Urteil des OLG Naumburg belegt, dass die Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien interkommunalen Kooperation eng ausgelegt werden müssen und jedes Kriterium einzeln und detailliert geprüft werden muss. Rekommunalisierungsprojekte, die für die beteiligten Körperschaften wirtschaftlich vorteilhaft sind, müssen nicht zwangsläufig vergaberechtsfrei sein. Die Beteiligten sollten daher bei der Vorbereitung solcher Projekte stets eine intensive Prüfung des § 108 Abs. 6 GWB und dessen Grundlage, der Rechtsprechung des EuGH, durchführen. Sonst besteht die Gefahr, dass sich das Vergaberecht als nachträglicher Dealbreaker entpuppt, der u.U. weit fortgeschrittene Projekte nachträglich wieder auf null setzt kann. Das sollte durch eine wache Prüfung der Rechtslage vermieden werden.
Anes Kafedžić ist Rechtsanwalt bei LANGWIESER RECHTSANWÄLTE Partnerschaft mbB. Das Tätigkeitsspektrum von Herrn Kafedžić umfasst die gesamte Bandbreite des Vergaberechts. Im Rahmen dessen berät er seine Mandanten bei der Vorbereitung und Durchführung von Ausschreibungen sowie bei der Erstellung von Angeboten. Darüber hinaus übernimmt er die Vertretung seiner Mandanten in vergaberechtlichen Rechtschutzverfahren sowie bei der Durchsetzung und Abwehr von Ansprüchen vergaberechtlichen Ursprungs, z.B. Schadensersatz- und Akteneinsichtsansprüche.
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