Nicht selten betrauen öffentliche Auftraggeber externe Dienstleister mit der Abwicklung von Vergabeverfahren. Das beinhaltet oft auch die Angebotsöffnung. Die Vergabekammer Südbayern zeigte sich gegenüber dieser etablierten Praxis nun überraschend kritisch.
Die Öffnung der Angebote muss nach § 55 Abs. 2 VgV von mindestens zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers durchgeführt werden. Dies ist zu dokumentieren. Die Öffnung darf nicht ausschließlich von Mitarbeitern eines beauftragten Büros durchgeführt werden. Sie ist ebenso wie die Wertung ureigene Aufgabe des öffentlichen Auftraggebers.
VgV § 55 Abs. 2
Ein öffentlicher Auftraggeber beauftragte für die europaweite Vergabe von Leistungen der Tragwerksplanung eine Projektmanagementgesellschaft. Wie sich später herausstellte, gehörte auch die Öffnung der Teilnahmeanträge und der Angebote zu den Aufgaben des Dienstleisters. Wie viele seiner Mitarbeiter dann tatsächlich die Öffnung durchführten, ließ sich anhand der Dokumentation nicht mehr zweifelsfrei erkennen. Fest stand aber, dass kein Mitarbeiter des Auftraggebers zugegen war. Ein unterlegener Bieter rügte viele – teils organisatorische – Verfahrensmängel. Unter anderem wendete er sich gegen die Angebotsöffnung durch den externen Projektmanager.
Mit Erfolg! Nachdem der Auftraggeber das Verfahren aufgehoben hatte, stellte die Vergabekammer Südbayern fest, dass die Angebotsöffnung durch einen externen Dienstleister gegen § 55 Abs. 2 VgV verstoße. Dieser Vorschrift zufolge hätte die Angebotsöffnung durch zwei Vertreter des öffentlichen Auftraggebers erfolgen müssen. Sinn und Zweck sei, durch ein formalisiertes Verfahren im Vier-Augen-Prinzip Manipulationen vorzubeugen. Die Vergabekammer schloss daraus, dass die Aufgabe nicht übertragen werden dürfe, sondern vom Auftraggeber selbst durchzuführen sei. Übertragbar seien nur solche Handlungen, die sich der Auftraggeber später zu eigen machen könne dies sei bei einer Öffnung von Teilnahmeanträgen und Angeboten aber ohne Entsendung eines eigenen Mitarbeiters nur schwer vorstellbar.
Bereits dieser und ein weiterer Vergaberechtsverstoß hätten der Vergabekammer zufolge eine Rückversetzung des Verfahrens erfordert.
Eine sehr zweifelhafte Entscheidung!
Zunächst einmal ist festzustellen, dass § 55 Abs. 2 VgV sich (im Gegensatz zu § 55 Abs. 1 VgV) lediglich auf Angebote und nicht auf Teilnahmeanträge bezieht. Es gibt also keine rechtliche Vorschrift, die eine Öffnung von Teilnahmeanträgen durch zwei Vertreter des öffentlichen Auftraggebers vorsieht.
Des Weiteren bestimmt § 55 Abs. 2 VgV auch nur, dass zwei Vertreter des öffentlichen Auftraggebers die Angebotsöffnung durchführen müssen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist nicht zu erkennen, dass § 55 Abs. 2 VgV einschränkend als bei dem öffentlichen Auftraggeber angestellter Mitarbeiter ausgelegt werden müsste. Auch ein externer Dienstleister kann ein formalisiertes Verfahren im Vier-Augen-Prinzip sicherstellen. Es ist kaum einzusehen, weshalb sein Mitarbeiter grundsätzlich weniger vertrauenswürdig sein sollte als ein Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers. Vor allem dann, wenn zugelassene Rechtsanwälte (Organe der Rechtspflege!) mit der Abwicklung des Verfahrens betraut werden, müssten öffentliche Auftraggeber doch auf ein manipulationsfreies Verfahren vertrauen dürfen!
Auch erscheint die Forderung vor dem Hintergrund der zukünftig rein elektronischen Auftragsvergabe nicht gerechtfertigt. Die Anforderungen an die elektronischen Mittel gemäß § 10 VgV sichern nämlich bereits die Manipulationsfreiheit der Angebotsöffnung. Ob nun zwei Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers die Software bedienen oder zwei Mitarbeiter eines externen Dienstleisters, macht dabei keinen Unterschied. Im Grunde genommen könnte man sogar die Notwendigkeit von zwei Personen hinterfragen.
Überdies ist nicht zu erkennen, weshalb der öffentliche Auftraggeber sich nur durch Anwesenheit eines eigenen Mitarbeiters vor Ort die Inhalte der Angebotsöffnung zu eigen machen können sollte. Im Gegensatz zu einer Angebotswertung erfordert die Angebotsöffnung nicht die Ausübung eines Beurteilungsspielraums oder eine Ermessensentscheidung (vgl. zur Reichweite des Grundsatzes der Eigenverantwortlichkeit beispielsweise OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.06.2010, Az.: 15 Verg 4/10 m.w.N.).
Schließlich wäre die Forderung der Vergabekammer auch in der Praxis bei gemeinsamer Auftragsvergabe mehrerer Auftraggeber (wie etwa bei Rahmenverträgen mit einer Vielzahl von Auftraggebern) oft nur schwer umsetzbar.
Es bleibt zu hoffen, dass diese Entscheidung keine Schule macht! Bis auf Weiteres sind öffentliche Auftraggeber aber gut beraten, dafür zu sorgen, dass die Angebotsöffnung im Beisein zweier Mitarbeiter erfolgen kann!
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
Die Entscheidung ist insofern tatsächlich schwer nachzuvollziehen. Denn der Wortlaut des § 55 Abs. 2 VgV ist eindeutig – „Vertreter des öffentlichen Auftraggebers“ und nicht etwa „Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers“. Für eine Auslegung bleibt damit eigentlich kein Raum. Die in der Gesetzesbegründung angesprochenen Zwecke – Sicherung eines fairen und transparenten Vergabeverfahrens durch Vier-Augen-Prinzip – erfordern auch keine einschränkende Auslegung, da das Vier-Augen-Prinzip auch bei Öffnung durch Beauftragte gewahrt wird.
Zutreffend heißt es daher in der Kommentierung von Wiedemann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 58 Rn. 81 zum vergleichbaren § 58 Abs. 5 VgV (An der Entscheidung über den Zuschlag sollen in der Regel mindestens zwei Vertreter des öffentlichen Auftraggebers mitwirken.):
„Eine weiter gehende Interpretation dahin, dass als „Vertreter“ des Auftraggebers etwa nur dessen eigenes Personal in Betracht käme, ist unter Berücksichtigung der Begründung des Verordnungsentwurfs auszuschließen.“