Die Aufhebung des Vergabeverfahrens ist für öffentliche Auftraggeber eines der am schwierigsten zu beherrschenden vergaberechtlichen Rechtsinstitute. Das Vergaberecht stellt hohe Anforderungen an die Begründung des Aufhebungsgrunds einerseits und eine vergaberechtlich ordnungsgemäße Dokumentation der Aufhebungsentscheidung andererseits.
Hintergrund
Insbesondere durch die gegenwärtige konjunkturelle Lage der Immobilien- und Bauwirtschaft häufen sich die Vergabeverfahren, in denen Gewerke mit Blick auf die angebotenen Preise die ursprünglichen Kostenschätzungen öffentlicher Auftraggeber zum Teil deutlich übersteigen. Aber auch bei bestimmten Liefer- und Dienstleistungen ergibt sich immer wieder die Situation, dass die Aufhebung eines Vergabeverfahrens wegen (vermeintlich) zu hoher Preise in den Blick rückt.
Vor diesem Hintergrund ist es gerade für die Praxis der Vergabe von Planungs- und Bauleistungen von zentraler Bedeutung, dass es für die Begründung eines Aufhebungsgrunds nicht ausreichend ist, allein auf einen Aufhebungsgrund im Rahmen der Vorschriften des § 17 VOB/A oder des § 63 VgV Bezug zu nehmen. Keinesfalls genügt in diesem Zusammenhang das bloße Ankreuzen eines Aufhebungstatbestands im Rahmen eines Formblatts. Vor allen Dingen dann, wenn als Grund für eine Aufhebung ausschlaggebend sein soll, dass kein wirtschaftliches Angebot vorgelegen hat, ist für die Vergabestellen größte Vorsicht geboten (instruktiv hierzu: Vergabekammer Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.10.2016 – 1 VK 45/16).
Anforderungen für Aufhebung wegen Nichtwirtschaftlichkeit
Erforderlich ist zunächst eine sachgerechte Kostenschätzung des öffentlichen Auftraggebers bzw. eines hierfür beauftragten Planungsbüros. Die vergaberechtliche Rechtsprechung fordert in diesem Zusammenhang grundsätzlich die Berücksichtigung eines so genannten Sicherheitssaufschlags. Im Zusammenhang mit der Prüfung, ob ein Angebot im Einzelfall als nicht wirtschaftlich zu bewerten ist, haben öffentliche Auftraggeber insbesondere auch die konjunkturelle Lage in dem betreffenden Wirtschaftssektor zu berücksichtigen. Außerdem ist darauf zu achten, ob seit dem Zeitpunkt der Auftragswertschätzung sich Gestehungskosten der anbietenden Unternehmen erheblich verändert haben. Dies kann beispielsweise bei Schwankungen von Rohstoffpreisen der Fall sein.
Eine Ausschreibung ist außerdem rechtswidrig, soweit eine Vergabestelle weder eine Aufklärung des Angebots des erstbietenden Unternehmens noch eine Interessenabwägung durchgeführt hat. In diesem Fall liegt ein Ermessensausfall vor. Zentral ist in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit den Interessen des Unternehmens, welches das wirtschaftliche Angebot abgegeben hat.
Aufhebung bei Fachlosen bzw. Einzelgewerken
Besonderheiten gelten darüber hinaus bei Fachlosen bzw. bei Einzelgewerken. Selbst dann, wenn es eine konkretisierte Kostenschätzung für die einzelne Maßnahme gibt, fordert die vergaberechtliche Rechtsprechung mit Blick auf die Zulässigkeit einer Teilaufhebung, die Gesamtmaßnahme und das hierfür zur Verfügung stehende Budget bei der Ausübung der erforderlichen Ermessensausübung zu berücksichtigen.
Dokumentation der Aufhebungsentscheidung
Für eine rechtmäßige Aufhebungsentscheidung öffentlicher Auftraggeber muss des Weiteren eine vergaberechtskonforme Dokumentation vorliegen. Aus der Vergabeakte muss sich für einen neutralen Dritten zum einen zweifelsfrei ergeben, dass die Aufhebung wegen Nichtwirtschaftlichkeit die oben skizzierten Bezugspunkte als Grundlage hatte. Zum anderen muss die Ermessensausübung des öffentlichen Auftraggebers nachvollzogen werden können.
Praxistipp
Für öffentliche Auftraggeber ist es wichtig zu wissen, dass eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation häufig nicht möglich ist. Einer nachträglichen Dokumentation sind vergaberechtlich gerade dann enge Grenzen gesetzt, wenn Auswirkungen auf den Wettbewerb in Betracht kommen. In besonderem Maße gilt dies für situationsbedingt zu treffende Entscheidungen wie die teilweise oder vollständige Aufhebung eines Vergabeverfahrens.
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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