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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 08/11/2018 Nr. 38981

Die Neutralität eines Bieters ist ein Eignungskriterium (VK Bund, Beschl. v. 30.07.2018 – VK 1 – 61/18)

EntscheidungAls Eignungskriterium muss daher an der dafür vorgesehenen Stelle in der EU-Bekanntmachung veröffentlicht werden. Wird es fälschlich unter dem Gliederungspunkt Auftragsausführungsbedingungen aufgeführt, verstößt bereits dies gegen den Transparenzgrundsatz. Die Ausschreibung muss dann in den Stand vor der Vergabebekanntmachung zurückversetzt werden. Im Übrigen müssen alle Eignungskriterien zwingend bereits in der Auftragsbekanntmachung enthalten sein.

§ 46 Abs. 2 VgV, § 122 Abs. 4 GWB

Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb in einem europaweiten offenen Verfahren eine Projektträgerschaft zur Prüfung von Fördermittelanträgen aus. Vorgesehen war eine Beleihung des erfolgreichen Bieters.

Da der spätere Auftragnehmer maßgeblich an den Entscheidungen über die Gewährung von Fördermitteln beteiligt sein sollte, forderte die Vergabestelle insoweit die Neutralität der Bieter ein. Hierzu veröffentlichte sie in Ziffer III.2) Bedingungen für den Auftrag unter Ziffer III.2.2) Bedingungen für die Ausführung des Auftrags der EU-Bekanntmachung folgende Neutralitätserklärung:

– Neutralitätserklärung: Aufgrund der Leistungspflichten des AN ist eine Beteiligung an Projekten im Rahmen der in der Leistungsbeschreibung benannten Programme/Maßnahmen grundsätzlich unzulässig, es sei denn, eine Interessenkollision ist im Einzelfall ausgeschlossen. Der AN hat eine Eigenerklärung abzugeben, die darstellt, ob und auf welche Weise der Leistungserbringer mit Rechtssubjekten gesellschaftsrechtlich verflochten ist, die sich möglicherweise an künftigen Förderverfahren, die gemäß der vorliegenden Ausschreibung in den Zuständigkeitsbereich des künftigen Auftragnehmers fallen, beteiligen werden.

Laut den Vergabeunterlagen war eine Eigenerklärung abzugeben,

a) ob und auf welche Weise er ggf. mit Rechtssubjekten gesellschaftsrechtlich verflochten ist, die sich möglicherweise an künftigen Förderverfahren im zugrundeliegenden Förderprogramm beteiligen werden,

b) ob er beabsichtigt, selbst Antragsteller oder als Berater für Antragsteller zukünftiger Fördervorhaben im zugrundeliegenden Förderprogramm zu sein.

Weiter hieß es in den Vergabeunterlagen, dass ein Bieter ausgeschlossen wird, wenn im Rahmen einer Einzelfallprüfung ein Interessenkonflikt nicht ausgeschlossen werden kann.

Der spätere Antragsteller im Nachprüfungsverfahren gab ein Angebot ab, in dem er auch seine Neutralität bestätigte.

Die Vergabestelle schloss das Angebot des Bieters aus und begründete den Ausschluss unter anderem damit, dass ein Interessenkonflikt nicht ausgeschlossen werden könne. Sie warf dem Bieter vor, dass sein Institut [] am 20.03.2018 im Rahmen eines Förderantrags der Stadt [] ein indikatives Angebot abgegeben habe und damit potentieller Unterauftragnehmer sei.

Der ausgeschlossenen Bieter rügte die Ausschlussentscheidung der Vergabestelle. Er berief sich dabei unter anderem darauf, dass die Eignungsanforderungen, einschließlich der geforderten Eigenerklärung zur Neutralität, nicht im Amtsblatt der EU bekannt gemacht wurden, sondern in der EU-Bekanntmachung nur auf die Vergabeunterlagen verwiesen wurde. Daraus leitet der betroffene Bieter den Schluss ab, dass die Eignungskriterien insoweit nicht gelten.

Die Vergabestelle wies die Rüge zurück.

Die Entscheidung

Der vom ausgeschlossenen Bieter eingereichte Nachprüfungsantrag hatte Erfolg.

Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags bejaht die Vergabekammer zunächst die Antragsbefugnis gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB, obwohl der Antragsteller die fehlerhafte Bekanntmachung von Eignungskriterien erst nach der Mitteilung über seinen Angebotsausschluss erhoben hatte. Der Vergaberechtsverstoß war nach Ansicht der Vergabekammer nämlich nicht erkennbar. Da es zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe noch keine Rechtsprechung (die Entscheidung OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.072018 – VII-Verg 24/18 wurde erst später veröffentlicht) zu der Frage gab, ob ein Verweis in der EU-Bekanntmachung auf Eignungskriterien in den Vergabeunterlagen zulässig ist, sei der Vergaberechtsverstoß nicht erkennbar gewesen.

Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag auch für begründet. Dabei stellt sie zwei rechtliche Ansatzpunkte in den Vordergrund ihrer Entscheidung:

Die von der Antragsgegnerin verlangte Neutralitätsverpflichtung hätte zwingend unter dem Gliederungspunkt III.1.3 Technische und berufliche Leistungsfähigkeit der EU-Bekanntmachung aufgeführt werden müssen.

Bereits in der Auftragsbekanntmachung sind gemäß § 122 Abs. 4 GWB zwingend alle Auftragskriterien zu benennen. Ein Verweis auf Vergabeunterlagen bzw. deren Abrufbarkeit über ein Vergabeportal reichen nicht aus.

Zunächst stellt die Vergabekammer klar, dass es sich bei der Neutralitätsverpflichtung um ein Eignungskriterium handelt. Denn – so die Vergabekammer – alle Anforderungen an Eignungskriterien seien erfüllt.

Werden nicht alle Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung benannt, so wird dadurch nach Auffassung der Vergabekammer der Transparenzgrundsatz verletzt. Aber auch die Veröffentlichung eines Eignungskriteriums an einer falschen Stelle der EU-Bekanntmachung allein begründet nach Ansicht der Vergabekammer bereits die Rechtswidrigkeit der Bekanntmachung.

Vorliegend war die Neutralitätsverpflichtung unter dem Gliederungspunkt Bedingungen für den Auftrag aufgeführt. Dies sei bereits nicht hinreichend transparent. Die Bieter müssen darauf vertrauen dürfen, dass Eignungskriterien auch nur in den dafür in der EU-Bekanntmachung vorgesehenen Gliederungspunkten enthalten sind.

Aufgrund dieser Mängel ordnete die Vergabekammer die Rückversetzung des Vergabeverfahrens an. Es sei hier eine neue Auftragsbekanntmachung notwendig, da die Antragsgegnerin nicht auf die fehlerhaft bekannt gemachten Eignungskriterien verzichten könne. Die Neutralitätsverpflichtung könne auch nicht als Auftragsausführungsbedingung wirksam werden, weil ansonsten die Transparenz- und Bekanntmachungspflichten des § 122 Abs. 4 GWB umgangen werden könnten.

Rechtliche Würdigung

Was sich zunächst sehr formalistisch anhört ist im Ergebnis wohl gleichwohl richtig. Man hätte allerdings auch erwägen können, ob das an falscher Stelle der Auftragsbekanntmachung enthaltene Eignungskriterium nicht auslegungsfähig gewesen ist. Nach meiner Auffassung hat die Vergabekammer das nicht erwogen, weil die Vergabeunterlagen auch im Übrigen offenbar defizitär waren. So hatte die Vergabekammer auch Zweifel an der Klarheit der Regelungen insgesamt und auch die Beschreibung der Zuschlagskriterien war nach Ansicht der Vergabekammer verbesserungsfähig. Am Ende ließ die Vergabekammer diese Fragen aber mangels Entscheidungserheblichkeit offen. Ich stelle daher die These auf, dass die Vergabekammer wahrscheinlich anders entschieden hätte, wenn nur die Veröffentlichung eines Eignungskriteriums an einer falschen Stelle zu beklagen gewesen wäre. Dies würde dann auch dem Trend Rechnung tragen, einen Angebotsausschluss erst zu erwägen, wenn die Vergabestelle alle Möglichkeiten der Auslegung und Aufklärung ausgeschöpft hat.

Dogmatisch noch nicht durchdrungen scheint mir die Rechtsfolge der Vergabekammerentscheidung zu sein. Sie ordnet an, das Vergabeverfahren mit einer neuen Veröffentlichung zu wiederholen. Sie begründet das damit, dass auf die falsch bekannt gemachten Eignungskriterien nicht verzichtet werden könne. Damit trifft sie aber eine Entscheidung, die eigentlich der Vergabestelle zusteht. Richtiger wäre es daher meines Erachtens gewesen, die Vergabestelle dazu zu verpflichten, die Wertung unter Berücksichtigung ihrer Rechtsauffassung zu widerholen. Wenn die Vergabestelle dann die Ausschreibung ohne das Eignungskriterium beenden will, hätte sie das tun können. Alternative für die Vergabestelle wäre eine Aufhebung wegen eines schweren Mangels gewesen. Dies könnte dann ggf. einen Schadensersatzanspruch des ansonsten erfolgreichen Bieters auslösen.

Praxistipp

Die Praxishinweise bringen nicht viel Neues: Bei der Formulierung der Bekanntmachung ist äußerste Sorgfalt geboten. Fehler, die dort geschehen, sind meist nicht mehr ausbesserbar. Alle notwendigen Angaben gehören in die Vergabebekanntmachung und das bitte auch an die dafür vorgesehene richtige Stelle.

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Martin Adams, Mag. rer. publ.

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte, Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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Eine Antwort zu „Die Neutralität eines Bieters ist ein Eignungskriterium (VK Bund, Beschl. v. 30.07.2018 – VK 1 – 61/18)“

  1. Avatar von Michael Menzel

    Die Neutralität eines AN sollte doch selbstverständlich sein. Selbst wenn es gar nicht erwähnt würde. Daher habe ich ein Problem mit dieser Entscheidung, die sich ausschließlich auf formelle Gründe stützt. Mit einer solchen Einstellung wird es nie möglich sein, eine „korrekte“ Ausschreibung zu erstellen.