Wenn Vergabeverfahren preislich aus dem Ruder laufen, setzen Auftraggeber ihre Hoffnungen oft auf eine Aufhebung. Doch ab wann ist dies gefahrlos möglich? Bei Überschreitungen der eigenen Kostenschätzung um 80 %, wie etwa in einem Fall des OLG Frankfurt (Beschluss vom 14.05.2013 , Az: 11 Verg 4/13), liegt eine Aufhebung natürlich nahe. Doch die aktuelle Entscheidung des OLG Dresden zeigt auf, dass auch schon weitaus geringere Abweichungen ausreichen können – selbst, wenn die Kostenschätzung möglicherweise Defizite hat.
VgV § 14 Abs. 3 Nr. 5, § 63 Abs. 1
Leitsatz (nicht amtliche Leitsätze)
1. Ein unwirtschaftliches Ergebnis des Vergabeverfahrens kann auch dann vorliegen, wenn lediglich das aufzuhebende Einzellos ein unwirtschaftliches Ergebnis aufweist.
2. Auch eine eventuell zu niedrige Schätzung der Sollstunden steht einer Aufhebung nicht entgegen, wenn sie den Unterschied zwischen der Kostenschätzung und dem besten Angebot nicht erklären kann.
Sachverhalt
Bei einer europaweiten, losweisen Abfallausschreibung im offenen Verfahren lag das Angebot des Bestbieters 37,8 % über der Kostenschätzung für das betreffende Los. Der Auftraggeber entschied daraufhin, das Verfahren wegen Unwirtschaftlichkeit aufzuheben und die Bieter im Rahmen eines anschließenden Verhandlungsverfahrens erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern. Dies und die im neuen Verfahren getroffene Zuschlagsentscheidung zugunsten eines Konkurrenten griff der ehemalige Bestbieter mit einem Nachprüfungsantrag an.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg!
Überschreitung der Kostenschätzung um 37,8% ist unwirtschaftlich
Der Auftraggeber durfte das Verfahren gemäß § 63 Abs. 1 VgV aufheben, da kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde. Maßgebend war insofern die Kostenschätzung für das betreffende Los. Bei einer Abweichung von 37,8 % war angesichts eines jährlichen Gesamtauftragswerts von 1,6 Million aus Sicht des Vergabesenats die Grenze einer hinzunehmenden Preisabweichung überschritten. Eine Pflicht zur Aufklärung habe nicht bestanden.
Eventuell zu niedrige Schätzung der Sollstunden unerheblich
Das Gericht bestätigte die Kostenschätzung des Auftraggebers als rechtmäßig, da sie alle bei der Ausschreibung vorliegenden und erkennbaren Daten berücksichtigt hatte. Selbst wenn der Auftraggeber die Sollstunden eventuell zu niedrig geschätzt hätte und möglicherweise von einem tatsächlich größeren Auftragsumfang auszugehen gewesen wäre, sei dies unerheblich. Nachdem der Auftraggeber das Mengengerüst in den Preisblättern nämlich vorgegeben hatte, konnte dieser Umstand die Abweichung der Preise von der Kostenschätzung nicht erklären.
Rechtliche Würdigung
Aufhebung auch eines Einzelloses möglich
Zu Recht stellt das Gericht hinsichtlich der Frage der Unwirtschaftlichkeit auf das einzelne Los und nicht den Gesamtauftrag ab. Dies entspricht auch dem Wortlaut des § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV, der explizit eine teilweise Aufhebung zulässt. Es besteht insofern auch kein Widerspruch zu der Entscheidung des OLG Koblenz vom 28.06.2017 (Az.: Verg 1/17). Letzteres hatte die Aufhebung einer losweisen Abfallausschreibung wegen Unwirtschaftlichkeit an der Überschreitung der insgesamt für alle Lose geschätzten Kosten gemessen. Allerdings hatte der Auftraggeber dort zuvor auch – anders als im vorliegenden Fall – die Kosten für das Gesamtvorhaben und gerade nicht für die einzelnen Lose geschätzt.
Aufhebung wegen Unwirtschaftlichkeit – einige Eckpunkte
Wann genau ein Verfahren wegen Unwirtschaftlichkeit aufgehoben werden kann, lässt sich leider nicht abschließend abstrakt beantworten, sondern ist Gegenstand einer umfangreichen Einzelfallrechtsprechung. Immerhin lassen sich aber bestimmte Eckpunkte erkennen. Die Entscheidung des OLG Dresden liegt mit der ergangenen Spruchpraxis auf einer Linie.
Demnach kommt der auftraggeberseitigen Kostenschätzung zentrale Bedeutung zu. Auch bei geringeren Abweichungen als im entschiedenen Fall kann schon eine Aufhebung in Betracht kommen (vgl. z.B. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 28.05.2005, Az: 11 Verg 21/04 in Bezug auf eine Überschreitung von 23%). Eine Anknüpfung an die Kostenschätzung setzt dabei voraus, dass sie methodisch vertretbar zustande gekommen ist und insbesondere alle verfügbaren Daten und erkennbaren Tatsachen berücksichtigt. Gewisse Abweichungen von dieser Schätzung sind allerdings zu tolerieren, denn letztlich handelt es sich nur um eine Prognose.
Wie hoch diese hinzunehmende Abweichung im Einzelfall ist, hängt auch davon ab, in welchem Umfang die Kostenschätzung schon Sicherheitszuschläge berücksichtigt. Dies ist über großzügige Annahmen bei Mengen und Einheitspreisen und/oder mittels eines Zuschlags auf den geschätzten Gesamtbetrag möglich (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.08.2018, Az.: Verg 14/17). Sind die verfügbaren Haushaltsmittel überschritten, können sogar deutlich geringere Abweichungen ausreichen (zu einer Überschreitung um 10%: vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.01.2011, Az:13 Verg 15/10 oder gar 1,84%: vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8.06.2011, Az: Verg 55/10). Auch der Marktpreis kann im Übrigen Bezugspunkt einer Aufhebung wegen Unwirtschaftlichkeit sein (zu einer Aufhebung bei Überschreitung um 16%: vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.09.2009, Az:15 Verg 3/09). Wie die Entscheidung des OLG Dresden zeigt, kann schließlich auch das Gesamtauftragsvolumen und damit der absolute Betrag der Überschreitung relevant sein.
Es erscheint zumindest konsequent, fehlerhafte Annahmen im Rahmen einer Kostenschätzung jedenfalls dann nicht als Aufhebungshindernis einzuordnen, wenn sie die spätere Abweichung der Angebotspreise nicht erklären können.
Praxistipp
Auftraggebern bietet diese Entscheidung etwas mehr Orientierung, auch wenn sie sich nicht auf konkrete Prozentwerte verlassen sollten, ohne die Umstände des Einzelfalls zu überprüfen. Obwohl diese Entscheidung erkennen lässt, dass Defizite der Kostenschätzung nicht in jedem Fall einer Aufhebung entgegen stehen müssen, ist zudem dringend zu empfehlen, die Kosten so sorgfältig wie möglich zu schätzen und bei der Bereitstellung der Haushaltsmittel auch angemessene Sicherheitszuschläge zu berücksichtigen.
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