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Fallstrick Unternehmenskauf? – Beabsichtigte Unternehmensverschmelzung steht Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht entgegen (EuGH, Urt. v. 11.7.2019 – Rs. C-697/17 – OpEn Fiber)

Entscheidung-EUIn seinem aktuellen Urteil vom 11. Juli 2019 befasst sich der EuGH mit den Folgen einer während eines laufenden Vergabeverfahrens eingeleiteten Unternehmensverschmelzung. Sowohl das übernehmende Unternehmen als auch das zur Übertragung vorgesehene Unternehmen hatten sich am Vergabeverfahren beteiligt. Das zur Übertragung vorgesehene Unternehmen hatte trotz erfolgreicher Bewältigung des Teilnahmewettbewerbs von einer Angebotsabgabe abgesehen. Vor diesem Hintergrund stand neben einem Verstoß gegen den Grundsatz der Bieteridentität auch das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Abrede im Raum.

Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Richtlinie 2014/24/EU

Leitsätze (nicht amtlich)

  1. Es steht Art. 28 Abs. 2 Abs. 1 Richtlinie 2014/24/EU und dem Grundsatz der Bieteridentität nicht entgegen, wenn ein Unternehmen vor Angebotsabgabe im nicht offenen Verfahren eine Verschmelzungsvereinbarung als aufnehmendes Unternehmen mit einem anderem im Teilnahmewettbewerb berücksichtigten Unternehmen als übertragendes Unternehmen abschließt.
  2. Ein Ausschluss des aufnehmenden Unternehmens wegen der Herbeiführung einer Wettbewerbsbeschränkung kommt nicht in Betracht, wenn zwischen den beiden an der Verschmelzung beteiligten Unternehmen keine wettbewerbsbeschränkende Abrede nachweisbar ist. Bei Genehmigung des Zusammenschlusses durch die Kommission nach der Fusionskontrollverordnung 139/2004 kann davon ausgegangen werden, dass es keinen unzulässigen Informationsaustausch zwischen den Unternehmen gegeben hat.

Sachverhalt

Die Entscheidung des EuGH geht auf einen Vorlagebeschluss des italienischen Consiglio di Stato zurück. Das Ausgangsverfahren betraf ein nicht offenes Verfahren des italienischen Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung zur Vergabe öffentlicher Aufträge für den Bau, die Unterhaltung und den Betrieb eines passiven öffentlichen Ultrabreitbandnetzes. Den Teilnahmewettbewerb hatten u.a. die Telecom Italia, die Metroweb Sviluppo sowie die OpEn Fiber erfolgreich durchlaufen. In der Angebotsphase hatte die Metroweb Sviluppo aber kein Angebot abgegeben. Nach Abschluss der Angebotswertung stand die OpEn Fiber jeweils an erster Stelle und die Telekom Italia an zweiter bzw. dritter Stelle. Durch eine Akteneinsicht erfuhr die Telekom Italia, dass die Holdinggesellschaften der OpEn Fiber und der Metroweb Sviluppo im Zeitraum zwischen dem Abschluss des Teilnahmewettbewerbs und der Abgabe der Angebote eine Vereinbarung abgeschlossen hatten, die eine Verschmelzung durch Aufnahme von Metroweb Sviluppo durch OpEn Fiber vorsah. Die Verschmelzung war von der EU-Kommission genehmigt worden.

Telecom Italia ließ daraufhin die Vergabeentscheidung gerichtlich überprüfen. Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen wollte das italienische Gericht vom EuGH wissen, ob das Erfordernis der Bieteridentität der Berücksichtigung des Angebots von OpEn Fiber entgegensteht. Das vorlegende Gericht wies dabei darauf hin, dass die Verschmelzung erst nach Abgabe des Angebots wirksam geworden sei und eine wettbewerbswidrige Absprache zwischen den beteiligten Unternehmen nicht nachweisbar sei. Das später übertragende Unternehmen habe aber wahrscheinlich in Umsetzung der Verschmelzungsvereinbarung zwischen den Holdinggesellschaften von der Angebotsabgabe abgesehen.

Die Entscheidung

Der EuGH stellt fest, dass nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Richtlinie 2014/24/EU im nicht offenen Verfahren grundsätzlich nur diejenigen Bieter zur Aufforderung eines Angebots aufgefordert werden dürfen, die vom Auftraggeber nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs hierzu aufgefordert worden seien. Dies entspreche den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Transparenz. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Richtlinie 2014/24/EU erfordere eine rechtliche und wirtschaftliche Identität zwischen den im Teilnahmewettbewerb berücksichtigen Wirtschaftsteilnehmern und den Wirtschaftsteilnehmern, die Angebote abgeben.

Dies gelte jedoch nicht ausnahmslos. Denn der EuGH habe bereits in der Rechtssache MT Hojgaard und Züblin entschieden, dass in einem Verhandlungsverfahren bei Auflösung einer aus zwei Mitgliedern bestehenden Bietergemeinschaft nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs einer der Bieter an deren Stelle treten und das Verfahren fortsetzen könne, sofern erwiesen ist, dass er die vom öffentlichen Auftraggeber festgelegten Anforderungen allein erfüllt und seine weitere Teilnahme an dem Verfahren nicht zur einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt (EuGH, Urteil vom 24.5.2016 Rs. C-396/14, dazu Schröder, Vergabeblog Nr. 26256 v. 19.6.2016). In der Rechtssache MT Hojgaard und Züblin sei es zu einer Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Identität des Bieters gekommen, da zum einen nur eines der beiden Mitglieder der Bietergemeinschaft das Verfahren fortgesetzt hatte und sich zum anderen die Leistungsfähigkeit des ursprünglichen Bewerbers durch den Verlust des anderen Mitglieds der Bietergemeinschaft verringert hatte.

Diese Überlegungen überträgt der EuGH auf den ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten  Fall. Der EuGH stellt fest, dass das Erfordernis der rechtlichen Identität in Bezug auf die OpEn Fiber eingehalten sei. Das Erfordernis der tatsächlichen Identität sei hingegen nicht erfüllt. Zwar seien die Wirkungen der Verschmelzung erst nach Abgabe der Angebote eingetreten, jedoch sei vor Ablauf der Angebotsfrist bereits die verbindliche Verschmelzungsvereinbarung zwischen den Holdinggesellschaften abgeschlossen worden. OpEn Fiber habe daher für ihre künftige Tätigkeit mit der Leistungsfähigkeit der Metroweb Sviluppo rechnen dürfen.

Es sei daher zu prüfen, ob trotz Fehlens der tatsächlichem Identität nach Maßgabe der in der Entscheidung MT Hojgaard und Züblin entwickelten Kriterien kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliege. Hierzu stellt der EuGH fest, dass sich die Leistungsfähigkeit von OpEn Fiber durch die Aufnahme des anderen Unternehmens im Zuge der Verschmelzung nicht verschlechtert, sondern sogar erhöht habe. Das Kriterium, dass der zum Verfahren zugelassene Bieter die vom öffentlichen Auftraggeber festgelegten Anforderungen zum Schlusstermin für die Angebotsabgabe erfüllt, sei daher denknotwendig erfüllt. Hinsichtlich der Kriteriums, das die weitere Teilnahme an dem Verfahren nicht zur einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führen dürfe, verweist der EuGH auf die europäische Fusionskontrollverordnung 139/2004. Diese diene dem Zweck, Wettbewerbsverzerrungen durch Verschmelzungen zu verhindern. Wenn die speziellen Vorschriften der Fusionskontrollverordnung 139/2004 mangels Einwänden der Kommission eingehalten seien, könne nicht angenommen werden, dass die Beteiligung eines Unternehmens an der Verschmelzung allein deshalb zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führen könne, weil die durch die Verschmelzung entstehende Einheit wirtschaftlich und technisch leistungsfähiger sein wird.

Sodann befasst sich der EuGH mit der Frage des Bestehens einer wettbewerbswidrigen Abrede. Der EuGH stellt fest, dass eine Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation auch dadurch entstehen könne, dass die an der Verschmelzung Beteiligten vor der Durchführung der Verschmelzung sensible Informationen über das Vergabeverfahren austauschen und sich damit ungerechtfertigte Vorteile gegenüber andere Unternehmen verschaffen. Anhaltspunkte für ein solches kollusives Verhalten lagen nach Auffassung des EuGH aber nicht vor.

Rechtliche Würdigung

Der EuGH nutzt die Gelegenheit zur Fortentwicklung seiner in der Entscheidung MT Hojgaard und Züblin entwickelten Grundsätze zur Beurteilung der rechtlichen und tatsächlichen Bieteridentität. Der Befund, dass die Erhöhung der Leistungsfähigkeit eines Bieters infolge der (bevorstehenden) Aufnahme eines anderen Verfahrensteilnehmers für sich genommen einer Angebotsabgabe nicht entgegensteht, leuchtet unmittelbar ein. Allerdings liegt ebenso auf der Hand, dass sich bereits durch den Abschluss einer Verschmelzungsvereinbarung die Wettbewerbssituation zwischen den an der bevorstehenden Verschmelzung beteiligten Unternehmen ändert. Zwar können sich auch verbundene Unternehmen an einem Vergabeverfahren beteiligen. Jedoch müssen die Angebote eigenständig und voneinander unabhängig sein (EuGH, Urteil v. 17.5.2018 C-531/17, Specializuotas transportas Rn. 34; hierzu auch Schröder, Vergabeblog Nr. 37320 v. 2.7.2018). Für die Aktivitäten der an der Verschmelzung beteiligten Unternehmen in der Schwebezeit bis zum Vollzug der Verschmelzung gilt Ähnliches. Der Austausch sensibler Informationen oder andere kollusive Verhaltensweisen, die zu einer Wettbewerbsverzerrung führen, müssen unterbleiben. Der Umstand, dass ein zur Verschmelzung vorgesehenes Unternehmen von einer Angebotsabgabe absieht, rechtfertigt für sich genommen jedoch noch nicht die Annahme eines kollusiven Zusammenwirkens der an der Verschmelzung beteiligten Unternehmen.

Praxistipp

Auch die Verschmelzung eines bereits beauftragten Unternehmens kann vergaberechtliche Konsequenzen haben. Der Übergang der Auftragnehmerstellung auf einen neuen Rechtsträger ist unabhängig von der privatrechtlichen Ausgestaltung, d.h. auch bei einer Gesamtrechtsnachfolge liegt ein Auftragnehmerwechsel im vergaberechtlichen Sinne vor. Wenn der Wechsel auf einer Unternehmensumstrukturierung beruht, ist er gemäß § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 lit. b) GWB zulässig, soweit der neue Auftragnehmer die im ursprünglichen Vergabeverfahren vorgegebenen Eignungsanforderungen erfüllt. Bei einem Übergang durch Verschmelzung gem. § 20 UmwG dürfte diese Voraussetzung regelmäßig erfüllt sein. Denn bei einer Verschmelzung gehen auch die eignungsbegründenden Ressourcen des ursprünglichen Auftragnehmers (Finanz- und sonstige Betriebsmittel) auf den neuen Auftragnehmer über. In diesem Fall wäre allenfalls vorsorglich zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, aus denen sich etwas Anderes ergibt. Soweit die Übertragung auf anderem Wege erfolgt, insbesondere durch Auf- oder Abspaltung oder eine Kombination, die auch eine Auf- oder Abspaltung umfasst, oder durch Einzelrechtsnachfolge, wäre dagegen im Einzelfall zu prüfen bzw. sicherzustellen, dass auch der neue Auftragnehmer die Eignungsanforderungen erfüllt.

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Über Dr. Tobias Schneider

Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.

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