In den vergangenen Monaten und Jahren wurden vermehrt Entscheidungen veröffentlicht, die die Bewertung mündlicher Präsentationen im Rahmen eines Vergabeverfahrens zum Gegenstand hatten (zuletzt etwa Vergabeblog.de vom 07/06/2021, Nr. 47121 zu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.03.2021 – Verg 34/20). Nun liegt ein neuer Beschluss der VK Baden-Württemberg vor, der die Dokumentationspflichten des öffentlichen Auftraggebers gem. § 8 VgV sehr genau unter die Lupe nimmt.
Ausschreibungsgegenstand waren (IT-)Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Durchführung von Vergabeverfahren. Die Vergabestelle führte ein zweistufiges Verfahren in Form eines offenen Verfahrens gem. § 15 VgV durch. Dabei wurden zunächst die schriftlichen Angebote anhand der einfachen Richtwertmethode ausgewertet. Die Vergabestelle lud die drei bestplatzierten Bieter zu einem Bietergespräch ein, welches die zweite Stufe darstellte. Der Bieter, der die höchste Wertung im Bietergespräch erhielt, sollte den Zuschlag erhalten. Im Rahmen der Bietergespräche war folgendes gefordert:
Die Bieter sollten die Qualifikationen, Erfahrungen und Kenntnisse der angebotenen Berater darstellen. Seitens des Bieters durften höchstens drei Personen teilnehmen, wobei die angebotenen Berater zwingend daran teilnehmen mussten. Die Bieter stellten ihre(n) zum Einsatz kommenden Berater im Rahmen einer Präsentation vor. Der Zeitansatz für das gesamte Gespräch sollte höchstens 90 Minuten betragen. Inhalt der Prüfung war die Lösungskompetenz des Bieters, die anhand eines sogenannten Fachgesprächs sowie anhand von Fragen und/oder Ad-Hoc-Aufgaben bewertet wurde. Die Präsentationen fanden in Form von Videokonferenzen statt. Die Bewertung der Bieterpräsentation erfolgte durch eine zweiköpfige Jury. Eine weitere Person, die nicht Teil der Jury war, führte Protokoll.
Die Antragstellerin reichte ein ganze Reihe von Rügen ein, die nur teilweise von der Vergabekammer (VK) für begründet gehalten wurden.
Die (gerügte) fehlende Angabe eines Auftragswerts in der Bekanntmachung war laut VK bereits präkludiert. Zudem sei eine Benachteiligung des rügenden Bieters nicht erkennbar.
Soweit die Antragstellerin die Vergaberechtswidrigkeit des Vorabinformationsschreibens rügte, fehlte es nach Ansicht der VK jedenfalls an der Darlegung eines kausalen Schadens.
Selbiges gelte für die Rüge der Antragstellerin, es stelle einen Verstoß gegen das Transparenzgebot dar, dass die sogenannten ad hoc-Fragen in der Präsentation nur durch die beiden angebotenen Consultants beantwortet werden durften.
Aus Sicht der VK war die Antragstellerin mit der Rüge, dass das oben dargestellte, zweistufige Wertungsverfahren gegen §§ 9 Abs. 2 sowie 15 VgV verstoße sowie weiteren Einwänden in diesem Zusammenhang präkludiert.
Im Kern fokussierte sich der Streit zwischen dem der Antragstellerin und der Vergabestelle auf die Transparenz der Bewertung der Bietergespräche, die auf der zweiten Stufe letztlich allein über den Zuschlag entschieden. Hierzu führte die VK Baden-Württemberg aus:
„Dem Beurteilungsspielraum steht als Kehrseite die aus dem Transparenzgrundsatz folgende Pflicht eines öffentlichen Auftraggebers, das Vergabeverfahren zu dokumentieren, gegenüber. Sie dient dazu, den Weg der Vergabeentscheidung für die Bieter nachvollziehbar zu machen. Zudem ist sie Voraussetzung dafür, dass die Nachprüfungsinstanzen überprüfen können, ob ein öffentlicher Auftraggeber die Grenzen seines Beurteilungsspielraums eingehalten hat. Ein öffentlicher Auftraggeber hat daher seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend zu dokumentieren, dass die Nachprüfungsinstanzen nachvollziehen können, welcher Umstand konkret mit welchem Gewicht in die Bewertung eingegangen ist. Es müssen Erwägungen dokumentiert sein, die einen Subsumtionsvorgang darlegen und hieraus die Bewertung nachvollziehbar erscheinen lassen. Ebenso wie die bloße Ergebniswiedergabe sind auch pauschale Aussagen oder formelhafte Formulierungen unzureichend. Vielmehr müssen die konkreten Entscheidungsgründe unter Rückgriff auf das anwendbare Kriterium dargelegt werden. Dies gilt insbesondere bei der Bewertung mündlicher Angebotsbestandteile. Einer vollständigen Dokumentation kommt dabei erhebliche Bedeutung zu, denn nur dann ist die konkrete Wertung für die Nachprüfungsinstanzen nachvollziehbar (zum Vorstehenden: VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.10.2020, 1 VK 46/20; VK Sachsen, Beschluss vom 22.03.2021, 1 /SVK/046-20). Das Fachgespräch mit ad hoc-Fragerunde ist Teil der Bieterpräsentation, die wiederum Bestandteil des Angebots ist. Die Dokumentation des mit der Antragstellerin geführten Fachgesprächs mit ad hoc-Fragerunde erfüllt die oben genannten Anforderungen zum Teil nicht. Für die Vergabekammer ist die Bewertung des Fachgesprächs mit ad hoc-Fragerunde anhand der unzureichenden Dokumentation teilweise nicht überprüfbar.“
Problematisch war, dass insbesondere der Inhalt der sogenannten ad hoc-Fragerunde zwischen den Beteiligten streitig war. Die von den Jurymitgliedern auf Seiten der Vergabestelle angefertigten Protokolle wichen teilweise voneinander ab. Soweit die Protokolle sich deckten, wiesen sie aus Sicht der VK teilweise Beurteilungsfehler auf. Ein einheitliches, (vom Bieter) unterzeichnetes Protokoll lag nicht vor. Die Vergabekammer zitiert in der Entscheidung ausführlich wörtlich aus den Originalmitschriften, was gut illustriert, wie schwierig eine hinreichende Dokumentation in der Praxis durch textliche Mitschriften ist. Die VK fasst hierzu prägnant zusammen:
„Der Auftraggeber ist seiner Pflicht, den Nachprüfungsinstanzen eine Überprüfung des Wertungsvorgangs durch Dokumentation zu ermöglichen, nicht in dem erforderlichen Umfang nachgekommen.“
Die VK erkannte aber nicht nur Fehler bei der Transparenz der Entscheidung, sondern auch materielle Fehler. So erblickte die VK eine sachfremde Erwägung in dem Herunterpunkten der Aussage, der Bieter wolle „sehr klar und hart“ mitteilen, dass „vergaberechtliche Vorgaben einzuhalten sind und die Vergabestelle ein anderes Vorgehen nicht mitträgt“. Die Art und Weise einer Mitteilung liege noch im Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers, so die VK. Aber der klare Verweis auf vergaberechtliche Vorschriften dürfe nicht negativ bewertet werden:
„[…] die Aussage, dass vergaberechtliche Vorgaben einzuhalten sind und die Vergabestelle ein anderes Vorgehen nicht mitträgt, negativ bewertet wird, stellt angesichts der Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz eine sachfremde Erwägung dar.“
Es folgten weitere Einzelaspekte aus den Protokollen der Bewerter auf Seiten der Vergabestelle, die die VK sehr genau auf die Einhaltung des Transparenzgrundsatzes und des Beurteilungsspielraums prüfte.
In der Vergangenheit kam es vermehrt zu divergierenden Entscheidungen, wenn es um bewertete (mündliche) Präsentationen ging. (Siehe dazu etwa die Beiträge von Ortner, Vergabeblog.de vom 19/08/2019, Nr. 41767, Gielen, Vergabeblog.de vom 10/02/2020, Nr. 43258 und Bock, Vergabeblog.de vom 27/02/2020, Nr. 43381). Mit dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 24.03.2021 liegt nun seit kurzem der erste obergerichtliche Beschluss seit der Veröffentlichung verschiedener VK-Entscheidungen in den Jahren 2017 bis 2019 vor (vlg. Ortner, Vergabeblog.de vom 07/06/2021, Nr. 47121). Die Linie, die die Rechtsprechung wohl mehrheitlich verfolgt, könnte man so beschreiben: Bewertete Bieterpräsentationen sind grundsätzlich zulässig, jedoch müssen sie sich an den hohen Transparenzanforderungen des Vergaberechts messen lassen.
Die Vergabekammer Baden-Württemberg schließt sich der Ansicht der VK Bund (vgl. VK Bund, Beschluss vom 12. April 2019 – VK 1 – 11/19 –, Rn. 53 ff., juris) an, wonach an die Dokumentation einer (bewerteten) mündlichen Präsentation hohe Anforderungen zu stellen sind. Letztlich verwundert dies nicht. Führt man sich vor Augen, dass die Vergabekammern allein auf Grundlage schriftlicher Protokolle entscheiden müssen, stellt dies ein praktisches Problem dar. Es dürfte sich anbieten, in Zukunft die Möglichkeiten von Audio- oder Videomitschnitten in diesem Zusammenhang auszuloten. Insbesondere in Fällen, in denen – wie hier – ein Bietergespräch in Form einer Videokonferenz stattfand. Nur mit einem solchen, direkten Mitschnitt der Präsentation wäre es der Vergabekammer möglich, den Inhalt der Präsentation bzw. der zu bewertenden Antworten auf die ad hoc-Fragen inhaltlich vollständig zu erfassen (vgl. zur Zulässigkeit Könsgen/Czeszak, VergabeR 2020, 568). Denn selbst ein genaues Wortprotokoll würde einen Teil der Qualität der Antworten nicht erfassen können. Nicht zuletzt kann auch die Art und Weise, wie eine Antwort gegeben wird, im Rahmen von § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV wertungsrelevant sein.
Insgesamt zeigt sich an dieser Entscheidung, dass die Vergabekammern (Zu Recht) sehr genau die Dokumentation bewerteter (mündlicher) Präsentationen prüfen und Unklarheiten, Lücken oder Abweichungen im Zweifel zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers gehen.
Über die Rüge, die sich gegen die Zulässigkeit einer wertenden Präsentation als solche richtete, musste die VK nicht mehr entscheiden, da diese bereits präkludiert war. Hierzu ist aber bereits eine Entscheidung der VK Baden-Württemberg bekannt (Beschl. v. 16.10.2019 – 1 VK 52/19). Öffentlichen Auftraggebern, die eine mündliche Bieterpräsentation im Rahmen der Zuschlagskriterien bewerten wollen, ist zu empfehlen, besonderen Wert auf die Dokumentation sowohl der Inhalte der Bieterpräsentation als auch der Bewertung zu legen.
Herr Elias Könsgen ist Rechtsanwalt in der Kanzlei kbk Rechtsanwälte, Hannover. Er berät bundesweit öffentliche Auftraggeber hauptsächlich im IT-Vergaberecht. Seine Schwerpunkte liegen dabei auf der Durchführung von komplexen Bieterpräsentationen und Assessments sowie datenschutzrechtlichen Fragestellungen. Daneben berät er Städte und Gemeinden bei der Durchführung von Konzessionierungsverfahren für Strom, Gas, Wasser und Fernwärme. Zudem ist Herr Könsgen Mitautor in einem vergaberechtlichen Kommentar.
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