„Wir sind ausgepresst wie eine Zitrone“ titelt aktuell Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte und Gemeindesbundes (DStGB) in seinem Reformblog. Angesichts eines bis zum Jahr 2013 zu erwartenden Defizits von fast 50 Milliarden Euro in den kommunalen Kassen fordert der DStGB von der Bundesregierung einen staatlichen “Rettungsschirm” für die Kommunen. Sonst drohe der weitere Verfall öffentlicher städtischer Einrichtungen wie Schulen, Theater oder Schwimmbäder – Habbel weist zutreffend darauf hin, dass Berliner-Radiosender inzwischen ihre Hörer nicht mehr vor den Standorten mobiler „Blitzgeräte“, sondern denen tiefer Schlaglöcher in den Straßen der Hauptstadt warnen.
Nun, es passiert etwas: Am 24. Februar hat die neue Bundesregierung entsprechend einer Festsetzung ihres Koalitionsvertrags eine neue “Gemeindefinanzkommission” eingerichtet, um “auf der Basis einer Bestandsaufnahme Lösungsvorschläge zu den drängenden Problemen des kommunalen Finanzsystems zu erarbeiten und zu bewerten”. Heute, am 4. März, war nun deren konstituierenden Sitzung unter Leitung von Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen. Die übrige Besetzung der Kommission macht allerdings nachdenklich, denn Wirtschaftsvertreter sucht man vergebens.
Mit den Mitteln aus dem Konjunkturpaket II habe man zwar vorübergehend finanzielle Engpässe der Kommunen überbrücken können, dennoch “ist das System an sich weiterhin fragil”, so die Bundesregierung. Nach einer zeitnah zu erfolgenden Bestandsaufnahme soll nun die Kommission Vorschläge zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung erarbeiten und bewerten. Dazu zähle auch über einen Ersatz für die Gewerbesteuer nachzudenken, “der aufkommensneutral, also ohne zusätzliche Belastung, auskommen soll”. Geprüft werden sollen u.a. ein kommunaler Zuschlag auf die Einkommens- und Körperschaftsteuer sowie ein höherer Anteil der Kommunen an der Umsatzsteuer. Zweiter Ansatz: Es sollen Entlastungsmöglichkeiten auf der Ausgabenseite geprüft werden, beispielsweise durch Modifikationen wie Flexibilisierung von Standards, Regionalisierung o. ä. Dritter Ansatz: Die Gemeindefinanzkommission wird sich auch mit dem Einfluss der EU-Rechtsetzung auf die Gemeinden und deren Finanzsituation befassen und Vorschläge zur Berücksichtigung der kommunalen Interessen in entsprechenden Rechtssetzungsverfahren des Bundes und insbesondere der EU ausarbeiten. Darüber hinaus soll sie Handlungsempfehlungen zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung erarbeiten.
Dazu wurden in der heutigen konstitutiven Sitzung der Kommission eine Arbeitsgruppe „Kommunalsteuern“ und eine Arbeitsgruppe „Standards“ (Leitung BMF) sowie eine Arbeitsgruppe „Rechtsetzung“ (Leitung BMI) eingesetzt.
“Erst wenn das letzte Theaterlicht gelöscht, der letzte Jugendtreff geschlossen und die letzte Turnhalle vergammelt ist, werden die Regierenden in Berlin merken, dass man Steuersenkungen nicht auf Kosten der Kommunen machen kann“, zitiert Habbel einen Journalisten. Aber: Die Mitglieder der Gemeindefinanzkommission sind der Bundesminister der Finanzen Dr. Wolfgang Schäuble (Vorsitz), der Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière und der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Rainer Brüderle sowie Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und der Länder. Wer fehlt? Richtig, eine Vertretung der Wirtschaft. Ausweislich des hier beim Bundesministeriums der Finanzen abrufbaren Konzepts zur Einrichtung der Kommission definiert sich deren Rolle wie folgt:
“Vertreter von Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften sollen in geeigneter Weise eingebunden werden.”
Warum es nur für eine solche Alibiregelung reichte, gerade unter einer schwarz-gelben Regierung, verwundert. Denn Erheben und Verteilen setzt zunächst Eines voraus: Erwirtschaften. Aber diese Diskussion haben wir ja gerade schon an anderer Stelle im politischen Berlin.
Ein erster Bericht will die Kommission bis Herbst 2010 vorlegen.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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