Die Angebotswertung anhand von Konzepten gibt Bietern Gelegenheit zu zeigen, dass sie die aufgestellten Leistungsanforderungen verstanden haben und eine tragfähige und auf die Bedürfnisse des Auftraggebers abgestimmte Lösung anbieten können. Vor dem Hintergrund des weiten Beurteilungsspielraum des Auftraggebers ist eine detaillierte Dokumentation der Konzeptwertung von besonderer Bedeutung.
§ 97 Abs. 1 GWB, §§ 122 ff. GWB, §§ 42 ff. VgV
Eine nordrhein-westfälische Universitätsstadt schreibt Beratungs- und Betreuungsdienstleistungen von Flüchtlingen aus. Die in den Vergabeunterlagen enthaltene Bewertungsmatrix sieht vor, dass die Angebote anhand der Kriterien „Preis“ (Gewichtung 40%), „Qualität und inhaltliche Umsetzung“ (Gewichtung 45%) und „Qualität / Organisatorische Umsetzung / Personalkonzept“ (Gewichtung 15%) bewertet werden sollen. Zu den beiden qualitativen Zuschlagskriterien legt die Auftraggeber verschiedene Unterkriterien fest, zu denen die Bieter Konzepte zur Umsetzung einreichen müssen. Unter anderem haben die Bieter ein „Konzept zur Betreuung und Beratung“ der Flüchtlinge vorzulegen. Zur Konzeptbewertung heißt es in den Vergabeunterlagen:
„Der Bieter hat in seinem Angebot seine konzeptionellen Überlegungen zur Umsetzung der Hilfestellungen und Unterstützungsangebote der nach Siegen kommenden und hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund mit der Zielsetzung, deren Integration in sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht zu fördern, darzulegen. Hierbei können auch Beispiele aus Referenzprojekten genutzt werden.
Konkret erwartet werden Aussagen zu den nachfolgenden Punkten:
Wie sieht Ihre Betreuung und Beratung der Flüchtlinge, Asylbewerber, Aussiedler und weiterer zugewanderter oder aufgenommener Menschen in Siegen aus? Wie stellen Sie sich die Betreuung und Beratung im Rahmen des Stundenkontingents über die in der Leistungsbeschreibung explizit genannten Aufgaben hinaus vor?
Bewertung:
Das Konzept ist nachvollziehbar und lässt inhaltlich mit Blick auf die Zielsetzung eine zuverlässige und kompetente Betreuung und Beratung der zugewanderten Menschen in jeder Hinsicht erwarten (4 Punkte)
Das Konzept ist nachvollziehbar und lässt inhaltlich mit Blick auf die Zielsetzung eine überwiegend zuverlässige und kompetente Betreuung und Beratung der zugewanderten Menschen erwarten (2 Punkte)
Das Konzept ist nicht nachvollziehbar und lässt inhaltlich mit Blick auf die Zielsetzung keine oder nur unzureichend zuverlässige und kompetente Betreuung und Beratung der zugewanderten Menschen erwarten (0 Punkte)“
Sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene geben Angebote ab. Die Auftraggeberin wertet die Angebote und trägt ihre Bemerkungen zu den einzelnen Konzepten in eine tabellarische Übersicht ein. Zum Konzept der Beigeladenen zur „Betreuung und Beratung“ heißt es im Vergabevermerk: „Die verschiedenen und teilweise sehr konkreten Ausführungen lassen das Konzept nachvollziehbar erscheinen. Gründe, die eine nicht ausreichende oder eingeschränkte Auftragswahrnehmung annehmen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Eine zuverlässige und kompetente Betreuung und Beratung ist in jeder Hinsicht zu erwarten. Das Konzept ist nachvollziehbar und lässt inhaltlich mit Blick auf die Zielsetzung eine zuverlässige und kompetente Betreuung und Beratung der zugewanderten Menschen in jeder Hinsicht erwarten.“
Nach Durchführung der Angebotswertung teilt die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass diese nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Zur Begründung führt die Antragsgegnerin einige Aspekte an, die in den Konzepten der Beigeladenen enthalten seien, in den Konzepten der Antragsteller jedoch nicht. Die Antragstellerin rügt die Bewertung ihres Angebots, woraufhin die Antragsgegnerin eine erneute Wertung der Konzepte durchführt. Nach Abschluss der erneuten Bewertung informiert die Antragsgegnerin die Antragstellerin, dass der Beigeladenen der Zuschlag erteilt werden soll. Zur Begründung führt die Antragsgegnerin unter anderem aus, dass die Antragstellerin bei dem Betreuungs- und Beratungskonzept versäumt habe, Praxisbeispiele für Kompetenz und Zuverlässigkeit anhand von Referenzprojekten vorzutragen. Zudem sehe das Konzept teilweise keine ausreichende Erstbetreuung am Aufnahmetag vor.
Nachdem sie auch das Ergebnis der erneuten Wertung ihres Angebots gerügt hat, stellt die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag, Im Nachprüfungsverfahren lässt sich die Antragsgegnerin erstmalig vertiefender zur Wertung des Betreuungs- und Beratungskonzepts der Beigeladenen ein. Sie erläutert, dass das Konzept der Beigeladenen gegenüber dem Konzept der Antragstellerin eine stärkere digitale Ausrichtung aufweise und einige über die Vorgaben der Leistungsbeschreibung hinausgehenden Bestandteile enthalte.
Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück, legt der Antragsgegnerin aber die Kosten des Verfahrens einschließlich der der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen auf.
Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet. Zwar habe die Antragsgegnerin die Angebotswertung teilweise nicht nachvollziehbar dokumentiert und hierdurch gegen den Transparenzgrundsatz verstoßen. Die mangelhafte Dokumentation führe jedoch nicht zu einem anderen Wertungsergebnis.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Bewertung anhand von abgefragten Konzepten durchzuführen, sei nicht zu beanstanden. Bei der Bewertung der Konzepte verfüge der Auftraggeber über einen Beurteilungsspielraum. Von den Nachprüfungsinstanzen sei nur zu überprüfen, ob der Auftraggeber das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen, keine sachwidrigen Erwägungen angestellt und nicht gegen allgemein gültige Bewertungsansätze verstoßen habe. Die Wertung müsse anhand der aufgestellten Bewertungskriterien vertretbar, in sich konsistent und nachvollziehbar sein.
Nach diesem Maßstab sei die Bewertung des Betreuungs- und Beratungskonzepts der Beigeladenen nachvollziehbar. Zwar enthalte der Vergabevermerk diesbezüglich nur Allgemeinplätze und die Wiedergabe des mit der vollen Punktzahl korrespondierenden Wertungsmaßstabs. Anhand der Dokumentation im Vergabevermerk lasse sich die diesbezügliche Wertung daher nicht nachvollziehen. Die Antragsgegnerin habe jedoch insbesondere im Nachprüfungsverfahren die tragenden Aspekte für die Bewertung mitgeteilt, die für die Vergabekammer auch nachvollziehbar seien.
In Bezug auf Teile der anderen Konzepte stellt die Vergabekammer jedoch fest, dass die Wertung teilweise nicht nachvollziehbar sei. Die Dokumentation der Bewertung – und die schriftsätzlich vorgetragenen Gründe – ließen nicht immer nachvollziehbar erkennen, welche Vor- und Nachteile der einzelnen Angebote die Antragsgegnerin gegenübergestellt habe.
Diese Dokumentationsmängel würden zwar einen Vergaberechtsverstoß darstellen. Gleichwohl sei der Antragstellerin hierdurch kein Schaden entstanden. Anhand einer fiktiven Bewertung der von den betroffenen Konzeptteile mit der Höchstpunktzahl (Dokumentationsmangel bezüglich der Wertung des Konzepts der Antragstellerin) bzw. 0 Punkten (Dokumentationsmangel bezüglich Wertung Konzepts der Beigeladenen) kommt die Vergabekammer zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin trotz der Dokumentationsmängel nicht in „Zuschlagsreichweite“ komme.
Die Vergabekammer stellt fest, dass der von ihr im Nachprüfungsverfahren anzulegende Prüfungsmaßstab der „Nachvollziehbarkeit“ der Angebotswertung eng mit der Dokumentationspflicht des Auftraggebers verbunden sei. Anhand der Dokumentation müsse nachvollziehbar sein, warum das ausgewählte Angebot unter den weiteren wertbaren Angeboten als das wirtschaftlichste bewertet worden sei. Die Gründe müssen so detailliert dokumentiert sein, dass ein mit dem jeweiligen Vergabeverfahren befasster Leser sie als fassbar erachte. Dies sei der Fall, wenn Aspekte, die zu einer Ab- oder Aufwertung führen, bei den eingereichten Konzepten gleichwertig berücksichtigt würden.
Die für die Antragsgegnerin nachteilige Kostenentscheidung begründet die Vergabekammer damit, dass ein Teil der Dokumentation der Wertung erst während des Nachprüfungsverfahrens erfolgt sei. Zudem seien einzelne – im Ergebnis aber unerhebliche Aspekte der Wertung – nach wie vor nicht ausreichend dokumentiert. Die Antragsgegnerin habe durch ihre mangelnde Sorgfalt erst die Stellung des Nachprüfungsantrags veranlasst.
Konzeptbewertungen stellen für Auftraggeber ein gutes Instrument dar, um zu prüfen, ob der Bieter die aufgestellten Leistungsanforderungen verstanden hat und eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung zu erwarten ist. In seiner Grundsatzentscheidung vom 4. April 2017 (X ZB 3/17) hatte der BGH einen Schlussstrich unter die kontroverse „Schulnoten“-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf gesetzt. Der BGH entschied, dass ein Auftraggeber bei der Wertung qualitativer Zuschlagskriterien anhand von Noten mit Punktwerten in den Vergabeunterlagen keine konkretisierenden Angaben dazu machen muss, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl konkret abhängt. Zugleich hatte der BGH aber auf die Bedeutung einer eingehenden Dokumentation des Wertungsprozesses hingewiesen. Die für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen seien in allen Schritten so eingehend zu dokumentieren, dass nachvollziehbar sei, welche konkreten qualitativen Eigenschaften mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind. Die Entscheidung der Vergabekammer Westfalen konkretisiert die für die Nachvollziehbarkeit der Bewertung zu stellenden Anforderungen an die Dokumentation.
Auftraggeber sollten bei der Dokumentation der Angebotswertung insbesondere auf folgende Punkte achten:
Bietern zeigt die Entscheidung einige der Hürden, die für eine erfolgreiche Beanstandung von Konzeptbewertungen genommen werden müssen:
Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.
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