Ein wesentliches Anliegen der Reform der VOL/A und VOB/A war die Schaffung von mehr Transparenz im Unterschwellenbereich (s. dazu auch den Beitrag im Vergabeblog). Nun sollte man meinen, dass gerade Hessen nach den aktuellen Geschehnissen um die umstrittene Vergabe mehrerer IT-Großaufträge es damit fortan besonders genau nimmt. So hatte eben deshalb noch am 3. November Hessens Finanzminister Schäfer Fehler bei der Vergabe eingeräumt und verkündet „Wir tun alles, um für die Zukunft eine optimale Organisation der IT-Vergaben im Land Hessen sicher zu stellen“. Man darf sich angesichts dessen schon die Frage stellen, wie dazu ein aktueller Runderlass des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 26. Oktober passt. Denn dieser stellt just jene Vorschriften des neuen Vergaberechts zur Anwendung frei, die für mehr Transparenz sorgen sollten.
Konkret geht es u.a. um § 3 Abs. 5 VOL/A. Dieser legt die Fälle fest, in denen fortan eine Freihändige Vergabe zulässig ist. Hessens Runderlass sagt dazu
Möglich bleibt eine Freihändige Vergabe aus anderen als dort genannten Gründen, nämlich nach allen in § 3 Nr. 4 VOL/A/1 – Ausgabe 2006 – genannten Fällen.
Für Mehr Transparenz soll auch der neue § 12 Abs. 1 VOL/A sorgen. Dieser bestimmt u.a., dass fortan – jedwede – Auftragsbekanntmachung in Internetportalen des Auftraggebers oder solchen, denen er sich dazu bedient, auch zentral über die Suchfunktion des Internetportals www.bund.de ermittelbar sein muss. Der Runderlass stellt auch dies zur Anwendung frei. Pflicht bleibt allerdings die Bekanntmachung in der Hessischen Ausschreibungsdatenbank (HAD), die soweit bekannt aber auf bund.de weiterleitet. Zur Anwendung freigestellt wird auch die entsprechende Regelung in § 12 Abs. 1 VOB/A, der aber ohnehin nur eine “Kann”-Vorschrift enthält.
Gem. dem neuen § 19 Abs. 2 VOL/A haben Auftraggeber nach Beschränkten Ausschreibungen ohne Teilnahmewettbewerb und Freihändigen Vergaben ohne Teilnahmewettbewerb für die Dauer von drei Monaten über jeden vergebenen Auftrag ab einem Auftragswert von 25.000 Euro ohne Umsatzsteuer im Internet zu informieren. Auch dies stellt das Land fortan zur Anwendung frei. Gleiches gilt für die (nahezu) entsprechende Vorschrift des § 20 Abs. 3 VOB/A.
Was Minister Schäfer also mühsam wieder ins rechte Licht zur Rücken versucht, wird von anderer Seite zur gleichen Zeit per Runderlass in die genau entgegen gesetzte Richtung geregelt.
Aber man muss ja auch nicht jede Reform mitmachen. Offenbar auch dann nicht, wenn man in den für diese Reform verantwortlichen Verdingungsausschüssen unmittelbar selbst daran mitgewirkt hat. Der Existenzberechtigung eben dieser Ausschüsse wurde damit jedenfalls ein weiterer Bärendienst erwiesen: Wozu die Markteilnehmer am Vergaberecht mitschreiben lassen, wenn sich die Autoren am Ende nicht einmal selbst daran halten?
Oder, alles nicht so schlimm? Was meinen Sie?
Den Runderlass vom 26.10.2010 finden Sie hier.
Der Autor, Marco Junk, ist Rechtsanwalt und Bereichsleiter Vertrags- und Vergaberecht beim BITKOM, Berlin. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
Als Kenner der Hessischen Vergabeszene (10 Jahre) wundert mich schon lange nichts mehr. Ein offensichtlicher Versuch der Bürokratie, das eigene Verhalten im Nachgang recht frech zu exkulpieren.
Im freundlichst gesonnenen Fall läuft hier auf der Ebene der Ministerialbürokratie das alte „System Koch“ nach, während die angeblich neuen Spielregeln unter Bouffier noch nicht angekommen sind. Oder wird hier kurzfristige Augenwischerei betrieben, da Bouffier selbst ein Repräsentatnt des alten „Systems Koch“ ist?
Es bleibt zu hoffen, dass die angekündigten Umstrukturierungen bei den Vergabestellen der HZD und dem HCC kein Stein auf dem anderen lassen. Denn: Entweder sind die Kenntnisse im Vergaberecht seitens benannter Beschaffern absolut dürftig (dann muss mit harter Hand nachgecoached werden), oder der „alte Filz“ ist noch nicht in den Realitäten von 2010 angekommen. Dann sollte der Staatsanwalt nachhelfen.
Es bleibt zu Hoffen, dass die Presse, die Hessische Opposition sowie sämtliche bisher geschädigten Unternehmen an diesem Thema dranbleiben. Ich wünsche Ihnen hierzu viel Erfolg und Durchhaltevermögen!