Nachdem die Hessische Landesregierung im November vergangenen Jahres gravierende Verstöße gegen das Vergaberecht bei der Vergabe von IT-Großaufträge des Landes in den Jahren 2008 bis 2010 einräumen musste, gelobte man Besserung. Kurioserweise entdeckte Vergabeblog etwa zeitgleich einen unscheinbaren “Gemeinsamen Runderlass zum Öffentlichen Auftragswesen” vom 26.10.2010 aus der Feder der Landesregierung. Dieser stellt ausgerechnet jene Vorschriften der novellierten Verdingungsordnungen zur Anwendung frei, die für mehr Transparenz bei der Auftragsvergabe sorgen sollten. Offenbar empfand man dabei aber nicht Alles, was die Reform hervor gebracht hatte, als schlecht: Im selben Erlass wurde die vom DVAL – zuständig für die Novelle der VOL/A – mit Bedacht gewählte Grenze für den neuen “Direktkauf” auf das 15-fache angehoben.
Das ist per se, gerade jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen Vorkommnisse und der gelobten Besserung bemerkenswert. Und das beides nicht so recht zusammen passt, finden auch die GRÜNEN im Hessischen Landtag und fordern nun die Rücknahme des Erlasses.
Kernpunkt der hessischen Maßnahmen, künftig die korrekte Anwendung des Vergaberechts bei IT-Vergaben sicherzustellen, ist ein “5-Punkte-Plan zur Optimierung der Vergabeverfahren” (laut Pressemitteilung vom 3.11.2010). Diesen hätte man besser um einen sechsten Punkt ergänzt, nämlich der schlichten Verpflichtung, künftig das neue Vergaberecht gem. VOL/A 2009 und VOB/A 2009 anzuwenden. Zur Erinnerung: Neben Verschlankung und Vereinfachung war die Erhöhung der Transparenz bei der öffentlichen Auftragsvergabe eines der zentralen Motive der letzten Reform.
Der hessische Runderlass vom Oktober, aus der Feder des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung und im Einvernehmen mit dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport sowie dem Hessischen Ministerium der Finanzen, weicht genau davon zum Nachteil der Auftragnehmer ab. Neben der genannten Anhebung der Freigrenze für den Direktkauf (in der VOL/A 2009 500 EUR, in Hessen 7500 EUR) erscheinen folgende Punkte kaum mit dem behaupteten Mehr an Transparenz zu vereinbaren:
§ 3 Abs. 5 VOL/A 2009 legt die Fälle fest, in denen fortan eine Freihändige Vergabe zulässig ist. Im Runderlass heisst es dazu „Möglich bleibt eine Freihändige Vergabe aus anderen als dort genannten Gründen, nämlich nach allen in § 3 Nr. 4 VOL/A/1 – Ausgabe 2006 – genannten Fällen.”
Heraus sticht auch die Freistellung der Anwendung des neuen § 19 Abs. 2 VOL/A, wonach Auftraggeber nach Beschränkten Ausschreibungen ohne Teilnahmewettbewerb und Freihändigen Vergaben ohne Teilnahmewettbewerb für die Dauer von drei Monaten über jeden vergebenen Auftrag ab einem Auftragswert von 25.000 Euro ohne Umsatzsteuer im Internet zu informieren haben. Ebenso wird die (nahezu) entsprechende Vorschrift des § 20 Abs. 3 VOB/A zur Anwendung frei gestellt.
Im Antrag der Hessischen GRÜNEN vom 25.01.2011 (Drucksache 18/3643) heißt es dazu:
Der Landtag kritisiert, dass die Landesregierung mit ihrem Gemeinsamen Runderlass zum Öffentlichen Auftragswesen vom 26. Oktober 2010 die Neuregelungen der bundesrechtlichen Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) 2009 abgeschwächt und damit die Korruptionsprävention verwässert hat. Der Runderlass der Landesregierung sieht unter anderem vor, dass für die Freihändige Vergabe in Hessen die Grenzen weiter gefasst sind als in der aktuellen VOL.
Außerdem wird die Freigrenze für den Direktkauf auf das Fünfzehnfache der aktuellen VOL angehoben. Der Landtag stellt fest, dass beide hessische Sonderregelungen den Zielen einer fairen und transparenten Vergabe widersprechen.
[…]
Weiter fordert der Landtag die Landesregierung auf, dafür zu sorgen, dass entsprechend § 19 Abs. 2 VOL/A auch die hessischen Behörden über jeden Auftrag nach Beschränkter Ausschreibung oder Freihändiger Vergabe ab einem Nettoauftragswert von 25.000 € im Internet informieren müssen. Der Landtag stellt fest, dass die im Erlass verankerte Freistellung von dieser Vorschrift die Intransparenz erhöht und deshalb zurückzunehmen ist.
Der Antrag soll im Plenum behandelt werden. Was daraus wurde, lesen Sie wie immer hier.
Den Hessischen Runderlass vom 26.10.2010 finden Sie hier.
Den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Rücknahme finden Sie hier.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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