Nachdem das BVerfG (Az. 1 BvR 1160/03) im vergangenen Jahr entschieden hatte, dass der fehlende förmliche Rechtsschutz im Unterschwellenbereich mit der Verfassung vereinbar ist (wobei es nicht unzulässig ist, einen solchen zu gewähren!) und das BVerwG (Beschluß v. 2.5.2007, Az 6 B 10.07) die umstrittene Frage des Rechtswegs geklärt hatte, nämlich hin zu den ordentlichen Gerichten, hat nun das LG Cottbus (Urteil v. 24.10.2007, Az 5 O 99/07) eine weitere, u.U. richtungsweisende Entscheidung getroffen: Das Gericht untersagte die Fortsetzung eines Vergabeverfahrens gem §§ 311 II, 241 BGB (!) in Verbindung mit Art 3 I GG und § 9 VOB/A: Zwischen dem klagenden potentiellem Auftragnehmer und der beklagten ausschreibender Stelle bestehe ein vorvertragliches Schuldverhältnis – dabei hatte dieser noch nicht einmal ein Angebot abgegeben!
Die ausschreibende Stelle hatte zum wiederholten Male landwirtschaftspflegerische Leistungen entlang Bundes- und Landestraßen ausgeschrieben. Die Verträge hatten jeweils ein maximales Volumen von 100.000 Euro und wurden bislang fast ausschließlich mit demselben Auftragnehmer geschlossen. Im Rahmen der aktuellen Ausschreibung wurden einigen potentiellen Bietern die Ausschreibungsunterlagen nach Aufforderung zugesandt. Das klagende Unternehmen hatte daraufhin zwar selbst kein Angebot abgegeben, aber wegen erheblicher Lücken in der Leitungsbeschreibung erfolgreich eine einstweilige Verfügung auf Untersagung der Fortsetzung des Vergabeverfahrens beantragt.
Das LC Cottbus hielt diese einstweilige Verfügung aufrecht. Der Antrag des Verfügungsklägers sei zulässig da, gem. des Gebots effektiven Rechtsschutzes nach der Rspr. des BVerwG, einem übergangenen Unternehmen gegen Unterschwellenvergaben die allgemeinen Rechtsschutzmöglichkeiten zustünden.
Der Antrag des Verfügungsklägers sei begründet: Die Ausschreibung sei rechtswidrig, da die Ausschreibungsunterlagen im vorliegenden Fall keine realistische Preiskalkulation zuließen, verstießen sie gegen das Transparenzgebot des § 9 I VOB/A. Dies führe hier zudem zu einer mit Art 3 I GG unvereinbaren Ungleichbehandlung der Marktteilnehmer, da das bislang regelmäßig zum Zuge gekommene Unternehmen über Sonderwissen verfüge, dass ihm die Abgabe des wirtschaftlichsten Angebots erleichtere.
Der Verfügungskläger sei auch in seinen Rechten, nämlich in seinem Anspruch aus §§ 311 II, 241 BGB in Verbindung mit Art 3 I GG und § 9 VOB/A auf „eine dem Transparenzgebot und dem Gebot chancengleicher Teilhabe entsprechende Durchführung des Vergabeverfahrens“, verletzt. Zwischen ihm und dem Verfügungsbeklagten bestehe ein vorvertragliches Schuldverhältnis. Auf die Abgabe eines Angebots seitens des Verfügungsklägers komme es dabei nicht an, da bereits mit der Aufforderung, ihm die Ausschreibungsunterlagen zuzusenden, der Verfügungskläger sein Interesse am Auftrag deutlich gemacht habe.
Dabei überwiege aufgrund des Verstoßes gegen das Transparentsgebot und das Gebot der Chancengleichheit im vorliegenden Fall das private Aussetzungsinteresse das öffentliche Interesse an einer zügigen Auftragserteilung.
Der Ansatz des LG Cottbus ist ebenso neu wie interessant. Es bleibt abzuwarten, ob sich andere Gerichte dieser Argumentation anschließen werden.
Marco Junk
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Kaufmann Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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