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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 15/03/2010 Nr. 5510

Neue VOL/A, Teil 4: Vom Grundsatz der produktneutralen Beschaffung – und seinen neuen Ausnahmen

VOL-A Auch kleine Änderungen können von Bedeutung sein. Im heutigen Teil 4 unserer Serie “Die neue VOL/A” geht es um eine solche, erst auf den zweiten Blick bedeutsame Änderung. Gem. § 8 Nr. 3 Abs. 5 VOL/A 2006 ist die Ausschreibung “produktneutral”, d.h. insbesondere ohne Verwendung von Markennamen oder Bezeichnungen, die Rückschlüsse auf die Produkte eines bestimmten Herstellers/ Anbieters zulassen, zu formulieren. Eine Auflage, die insbesondere im technischem Umfeld Beschaffer nicht selten vor große Herausforderungen stellt (s. dazu auch den vorangehenden Beitrag Leitfaden zur produktneutralen Beschaffung von Desktop-PCs aktualisiert). So soll sichergestellt werden, dass nicht durch diskriminierende Formulierungen bestimmte Bieter ausgeschlossen werden – sei es ungewollt oder mitunter auch gewollt.

Eine sinnvolle Vorschrift, die in ihrer praktischen Anwendung aber nicht selten zu kuriosen Folgen führte – so z.B., wenn eine Behörde über 50 identische Server der Firma PH verfügte, und nun der 51 Server produktneutral beschafft werden sollte – technische Einbindung, Schulungen des Personals, etc. fraßen oft jede Wirtschaftlichkeit auf. Auch die Rechtsprechung legte den Beschaffern für Ausnahmen vom Grundsatz der Produktneutralität hohe Hürden vor. Die neue VOL/A schafft für solche Fälle nun zumindest im Unterschwellenbereich – und damit immerhin bis zu einem Auftragswert von 193.000 Euro bzw. 125.000 Euro bei Obersten oder Oberen Bundesbehörden sowie vergleichbarer Bundeseinrichtungen – eine praxisgerechte Ausnahmeregelung.

Bislang hieß es in § 8 Nr. 3 Abs. 5 VOL/A 2006:

Bezeichnungen für bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren (z. B. Markennamen) dürfen ausnahmsweise, jedoch nur mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“, verwendet werden, wenn eine Beschreibung durch hinreichend genaue, allgemeinverständliche Bezeichnungen nicht möglich ist.

Solche Bezeichnungen waren also grundsätzlich zu vermeiden. Nur ganz ausnahmsweise, wenn die Leistungsbeschreibung anderes gar nicht möglich war, durfte der Beschaffer auf bestimmte Bezeichnungen in diesem Sinne zurückgreifen. Faustregel: Fast immer ist die Leistungsbeschreibung auch anders möglich, die denkbaren Anwendungsfälle der Norm also sehr überschaubar. Und für den Fall, dass tatsächlich einmal ein solcher Ausnahmefall vorliegt, war jedenfalls durch den Zusatz “oder gleichwertiger Art”, immer sicherzustellen, dass auch andere Anbieter grds. zum Zuge kommen konnten.

In der neuen VOL/A 2009 bleibt die Regelung grds. wie sie ist, wandert dabei aufgrund der Verschlankung des Gesamtwerks von § 8 eine Hausnummer nach vorne und findet sich in § 7 Abs. 4 VOL/A 2009 wieder. Neu und geradezu revolutionär ist aber neben einer unbedeutenden, rein sprachlichen Änderungen (“allgemeinverständliche Bezeichnungen” wird zu “verkehrsübliche Bezeichnungen”), dass für den seltenen Fall eines notwenigen Rückgriffs auf bestimmte Produktbezeichnungen der Zusatz „oder gleichwertiger Art“ auch entfallen kann:

Der Zusatz „oder gleichwertiger Art“ kann entfallen, wenn ein sachlicher Grund die Produktvorgabe rechtfertigt. Ein solcher Grund liegt dann vor, wenn die Auftraggeber Erzeugnisse oder Verfahren mit unterschiedlichen Merkmalen zu bereits bei ihnen vorhandenen Erzeugnissen oder Verfahren beschaffen müssten und dies mit unverhältnismäßig hohem finanziellen Aufwand oder unverhältnismäßigen Schwierigkeiten bei Integration, Gebrauch, Betrieb oder Wartung verbunden wäre. Die Gründe sind zu dokumentieren.

Hiermit soll jenen, im Ergebnis aufgrund der geforderten Produktneutralität wirtschaftlich unsinnigen Beschaffungen wie der eingangs genannten vorgebeugt werden. Zwei Dinge sind aber ganz klar hervorzuheben: Die Vorschrift fasst nur dass zusammen, was vereinzelt gerichtlich bereits als zulässige Ausnahme von der Produktneutralität festgestellt wurde, denn oberstes Ziel des Vergaberechts ist die effiziente und sparsame Verwendung öffentlicher Mittel. Die neue Regelung gibt dem Beschaffer also mehr Rechtssicherheit, aber nicht mehr Freiheit. Und ganz wichtig: Es ist eine Ausnahme in einem zunächst einmal festzustellenden Ausnahmefall, nämlich dem, dass die Beschreibung der Leistung anders gar nicht hinreichend genau und verständlich möglich ist. Und dieser Fall muss zunächst einmal vorliegen.

Alle Teile unserer Serie “Die neue VOL/A 2009” finden Sie über den entsprechenden Link in der Spalte “INFORMATIONEN”.

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Marco Junk

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Kaufmann Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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2 Antworten zu „Neue VOL/A, Teil 4: Vom Grundsatz der produktneutralen Beschaffung – und seinen neuen Ausnahmen“

  1. Avatar von Thomas Fischer
    Thomas Fischer

    Der zitierte § 7 Abs. 4 VOL/A 2009 verletzt prima vista Art. VI:3 des GPA der WTO, soweit jenes Abkommen Anwendung findet, weil Art. VI:3 GPA keine vergleichbare Ausnahmebestimmung enthält, die das Weglassen des Zusatzes „oder gleichwertiger Art“ erlaubt:

    „Anforderungen oder Hinweise in Bezug auf besondere Handelsmarken oder Handelsnamen, Patente, Muster oder Typen sowie auf einen bestimmten Ursprung, bestimmte Produzenten oder Anbieter sind nicht zulässig, es sei denn, dass es keine andere hinreichend genaue oder verständliche Art und Weise der Beschreibung des Beschaffungsbedarfs gibt und dass in die Vergabeunterlagen die Worte «oder gleichwertig» einbezogen werden.“ (http://www.admin.ch/ch/d/sr/0_632_231_422/a6.html)

    Auch der Revisionsentwurf 2006 des GPA behält diese Regelung in seinem Art. X unverändert bei.

    Als Schweizer Jurist würde mich interessieren, ob diese augenscheinliche Verletzung von Staatsvertragsrecht im Rahmen der deutschen Rechtsordnung zulässig ist und ob sie Konsequenzen für die Anwendung der VOL/A 2009 hat.

  2. Avatar von Michael Wankmüller
    Michael Wankmüller

    Die Regelung gilt nur unterhalb der EU-Schwellenwerte, da die Vorgaben in der RL 2004/18/EG, die letztlich auch die Bestimmungen des GPA für die EU-Mitgliedstaaten umsetzen, dies nicht zulassen. Daher beinhaltet §8 EG Abs. 7 keine entsprechende Regelung.