5 Minuten

Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 15/08/2010 Nr. 7181

BGH bestätigt Rechtsprechung zu Mehrvergütungsansprüchen bei verzögertem Zuschlag (BGH Urteile v. 22. Juli 2010 – VII ZR 129/09 u. VII ZR 213/08)

paragraph Im Zusammenhang mit der Verzögerung des Zuschlags in einem Vergabeverfahren kommt es immer wieder zu Streitigkeiten. Lehnt der Bieter den verspäteten und abändernden Zuschlag ab, geht es meist um Schadensersatzansprüche der Vergabestelle, die einen teureren Bieter beauftragen muss. Häufiger sind jedoch die Fälle, in denen der Bieter wegen eines verzögerten und abändernden Zuschlags Mehrvergütungsansprüche geltend macht. Meist ist eine mit dem Zuschlag mitgeteilte Veränderung des Bauzeitenplans Anlass der Streitigkeiten. Fraglich ist dann, ob dadurch das ursprüngliche Angebot des Bieters aus dem Vergabeverfahren angenommen wird, oder das abändernde Zuschlagsschreiben eines neues Angebot ist, das durch den Bieter erst noch angenommen werden muss.

Der BGH hat nun kürzlich seine bisherige Rechtsprechung (Grundsatzurteil vom 11. Mai 2009 – VII ZR 11/08) zu Mehrvergütungsansprüchen nach verzögertem Zuschlag bestätigt (Urteile vom 22. Juli 2010 – VII ZR 129/09 u. VII ZR 213/08).

Geänderter Zeitplan ist kein neues Angebot der Vergabestelle

Im Grundsatz geht der BGH zunächst davon aus, dass ein verzögerter und ggf. den Bauzeitenplan ändernder Zuschlag trotz § 150 Abs. 2 BGB die Annahme des ursprünglich im Vergabeverfahren abgegebenen Angebots bedeute. Die Frage der Mehrvergütung sei davon zu trennen und regele sich dann ausschließlich nach § 2 Nr. 5 VOB/B.

Dies ist auf den ersten Blick erstaunlich, da eine allein zivilrechtlich am Wortlaut des § 150 Abs. 2 BGB orientierte Betrachtung zunächst für das Gegenteil zu sprechen scheint. Zur Erinnerung: § 150 Abs. 2 BGB lautet

„Eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag.“

Genau dies sahen auch das OLG Celle und das OLG Oldenburg so, deren Berufungsentscheidungen der BGH nun kassiert hat.

Das OLG Celle (Az.: VII ZR 129/09) hatte die Klage einer Auftragnehmerin auf Mehrvergütung mit der Begründung abgewiesen, dass die Grundsätze der BGH-Rechtsprechung nicht anwendbar seien, da der Zuschlag gerade nicht auf das ursprüngliche Angebot aus dem Vergabeverfahren erteilt, sondern durch die Mitteilung anderer Bauzeiten ein neues Angebot unterbreitet worden sei. Dieses neue Angebot sei mit den ursprünglichen Angebotspreisen angenommen worden, so dass für eine Mehrvergütung kein Raum mehr bleibe.

Das OLG Oldenburg (Az.: VII ZR 213/08) gab einer ähnlichen Klage auf Mehrvergütung in vollem Umfang statt. Es ging hierbei davon aus, dass die beklagte Vergabestelle ebenfalls ein neues Angebot mit geänderten Ausführungsfristen unterbreitet habe, welches die Klägerin mit ihrer Auftragsbestätigung unter Begehrung einer Mehrvergütung annahm. Die Mehrvergütung habe die Auftraggeberin dabei nicht ablehnen dürfen.

Neue Bauzeit im Zweifel bloßer Hinweis auf spätere notwendige Einigung der Parteien

Der BGH hob nun in beiden Fällen die jeweilige Berufungsentscheidung auf und verwies die Sachen zurück. Zur Begründung führt der BGH aus, dass die jeweilige Erklärung der Vergabestelle im Begleitschreiben zum Zuschlag nicht interessengerecht ausgelegt worden sei. Im Zweifel erfolge in Fällen wie diesen der Zuschlag nämlich auf das ursprüngliche Angebot des Bieters. Die Erwähnung einer neuen Bauzeit sei bei der gebotenen vergaberechtskonformen Auslegung im Zweifel nicht als abänderndes Angebot im Sinne des § 150 Abs. 2 BGB zu verstehen, sondern als bloßer Hinweis auf die danach notwendige Einigung der Parteien über eine neue Bauzeit.

Berechnung der Mehrvergütung entsprechend § 2 Nr. 5 VOB/B

Die Frage der Mehrvergütung bzw. deren Höhe muss nach Auffassung des BGH sodann allein nach den Grundsätzen des § 2 Nr. 5 VOB/B entschieden werden. Die vereinbarte Leistungszeit hat dabei nach Auffassung des BGH regelmäßig Einfluss auf die vereinbarte Vergütungshöhe.

Der BGH nimmt im seinem Urteil also eine vergaberechtskonforme Auslegung des § 150 Abs. 2 BGB vor, die vielleicht dogmatisch angreifbar ist, aber jedenfalls den Bedürfnissen der Praxis gerecht wird.

Versuche, den Vertrag nach Ablauf der Angebotsfrist im Hinblick auf Verzögerungen durch Auslegung anzupassen, kollidieren nämlich nach Auffassung des BGH mit dem Wettbewerbsprinzip nach § 97 Abs. 1 GWB, mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 97 Abs. 2 GWB und dem Nachverhandlungsverbot gem. § 24 Nr. 3 VOB/A (jetzt § 15 Abs. 3 VOB/A).

Ziel: Zuschlagserteilung

Der BGH begründet sein Urteil weiterhin – insoweit ergebnisorientiert denkend – damit, dass diese Sichtweise die einzige Möglichkeit sei, das wesentliche Ziel des Vergabeverfahrens, nämlich die Zuschlagserteilung, mit Sicherheit zu erreichen. Unterstelle man hingegen die Annahme unter Abänderungen, würde die Entscheidungsbefugnis letztendlich beim Bieter liegen und dieser wäre trotz Bindefristverlängerung nicht mehr an sein Angebot gebunden. Das können nicht gewollt sein.

Weiterhin bestünde, so der BGH, die Gefahr, dass es ggf. nie zu einem Vertragsschluss komme, da auch bei einem neu durchgeführten Vergabeverfahren wieder Verzögerungen durch Nachprüfungsverfahren eintreten könnten.

Für die Praxis bedeutet dies, dass äußerste Sorgfalt auf die Formulierung des Zuschlagsschreibens zu verwenden ist, da die BGH-Rechtsprechung nur eine Vermutung („in der Regel“) aufstellt, die durch eine sorglose Formulierung des Zuschlagsschreibens jedoch unter Umständen nicht greift. Formuliert man das Zuschlagsschreiben richtig, steht einer erfolgreichen Auftragsvergabe nichts im Wege, allerdings ist dann eine ebenso sorgsame Auseinandersetzung mit den Mehrvergütungsansprüchen des Auftragnehmers geboten. Einem Mehrvergütungsanspruch wird man nach der BGH-Rechtsprechung dem Grunde nach kaum noch etwas entgegen halten können. Dafür ist aber das wichtigste Ziel der Auftragserteilung in aller Regel zu erreichen.

Mehr Informationen über den Autor Martin Adams, Mag. rer. publ., finden Sie im Autorenverzeichnis.

Avatar-Foto

Martin Adams, Mag. rer. publ.

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte, Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert