In Deutschland werden nach wie vor unter 5 % aller öffentlichen Ausschreibungen vollelektronisch abgewickelt. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, ein wesentlicher Aspekt aus Bietersicht ist unbestritten die zersplitterte und untereinander inkompatible Landschaft der Lösungsanbieter. Das Projekt XVergabe unter Federführung des Beschaffungsamts des Bundesministeriums des Innern hat daher die Schaffung von eVergabe-Plattform übergreifenden Daten- und Austauschprozessstandards zum Ziel (vergleichbar XBau, XFinanz oder XJustiz). Fernziel ist ein darauf basierender, einheitlicher Multi-Plattform-Bieterclient (MPBC). Marco Junk sprach darüber mit Marc Christopher Schmidt, dem Projektleiter XVergabe im Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern.
Sehr geehrter Herr Schmidt, würden Sie unseren Lesern erläutern, um was es sich beim Projekt XVergabe handelt und welches Ziel damit verfolgt wird?
Die einzelnen in Bund, Ländern und Kommunen vorhandenen und über öffentliche Netze zugänglichen elektronischen Vergabeplattformen sind untereinander nicht interoperabel und haben keinen einheitlichen Bieterzugang. Hieraus folgt, dass ein Bieter mit unterschiedlichen Systemen arbeiten muss, damit er sich an allen für ihn relevanten Ausschreibungen der öffentlichen Hand elektronisch beteiligen kann.
Ziel des Projekts „XVergabe“ ist es daher, einen plattformübergreifenden Standard für den Austausch von Dokumenten zwischen Bietern und elektronischen Vergabeplattformen zu definieren. Damit soll die Bieterakzeptanz erhöht werden und in der Folge auch zu einer höheren Beteiligung am elektronischen Vergabeprozess führen.
Welche Rolle hat dabei das Beschaffungsamt des BMI?
Das Beschaffungsamt leitet federführend zusammen mit dem Finanzministerium des Landes NRW und dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik dieses Projekt. Zudem wird das Projekt im Rahmen des IT-Investitionsprogramms finanziell vom BMI unterstützt.
Was genau wurde nun von der Projektgruppe unter Federführung des Beschaffungsamtes im Dezember beschlossen und was bedeutet das für die XVergabe?
Nicht weniger als die Vereinheitlichung der Kommunikationsschnittstelle zwischen einem Bieterclient und einer Vergabelösung bis Ende 2011. Was mich besonders freut ist, dass bei diesem Treffen im Dezember alle – von den Behörden über die Verbände und den Lösungsanbietern – das Projekt unterstützen. XVergabe ist damit nicht mehr nur X-beliebiges Projekt von vielen, sondern das Projekt, welches die elektronische Vergabe in Deutschland nach vorne bringt.
Den eVergabe-Markt teilen sich in Deutschland eine Handvoll Anbieter. Haben diese überhaupt ein Interesse daran, kompatible Lösungen und Schnittstellen zu anderen Plattformen zu schaffen?
Die eVergabe in Deutschland liegt mit ca. 4% elektronischer Vergaben weit hinter den von der EU geforderten 50% zurück. Es gibt für Behörden genügend technische Lösungen, die eVergabe zu steigern. Dennoch gehen noch viele nicht den Schritt in Richtung elektronischer Vergabe, z.B. aus der Angst davor, Bieter zu verlieren. Bieter tun sich ihrerseits aber auch mit der eVergabe schwer, da sie verschiedene Lösungen installieren bzw. nutzen müssen, um Vergaben elektronisch durchführen zu können. Aus meiner Sicht steckt die eVergabe in Deutschland damit in einer Sackgasse. Nur durch die Schaffung eines interoperablen Standards zwischen Vergabelösungen und Bieterclients besteht die Möglichkeit die eVergabe in Deutschland voranzubringen. Dies ist auch den Lösungsanbietern bewusst. Aus diesem Gründen würde ich diese Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten.
Sicherheitsbedenken werden ja auch oft ins Feld geführt. Der Einsatz der sog. qualifizierten elektronischen Signatur gilt aufgrund des erforderlichen Kartelesegeräts als störungsanfällig und umständlich. Genügt die rein softwarebasierte, sog. fortgeschrittene elektronische Signatur, Ihrer Ansicht nach den Sicherheitsbedürfnissen von Auftraggebern und –nehmern?
Die Nutzung von einer qualifizierten Signatur zusammen mit einem Kartenlesegerät hat durchaus ihren Charme. Schließlich ist sie laut dem Signaturgesetz einer handschriftlichen Unterschrift gleichgestellt. Jedoch gibt es einfach zu wenig Anwendungsbereiche, weshalb sie aus meiner Sicht derzeit uninteressant ist. Die dateibasierte, fortgeschrittene Signatur ist natürlich weniger sicher als einer Signaturkarte, jedoch erfreut sie sich bei Nutzern elektronischer Vergabelösungen hoher Beliebtheit, da sie einfacher zu handhaben ist.
Ein anderer Aspekt, der nicht vergessen werden darf, ist, dass in der EU die fortgeschrittene Signatur als ausreichend angesehen wird. Die ausschließliche Nutzung einer qualifizierten Signatur kann aus Sicht der Unternehmen aus anderen EU-Staaten als Diskriminierung empfunden werden. Aus meiner Sicht reicht deshalb die fortgeschrittene Signatur vollkommen aus.
Sie kennen das Sprichwort „und bist Du nicht willig…“: Mit dem Stufenplan eVergabe wurden zumindest auf Bundesebene die Bieter zur elektronischen Angebotsabgabe verpflichtet. Wie sind die Erfahrungen des Beschaffungsamts?
Wir nutzen seit 2002 die eVergabe. Das Beschaffungsamt hat lange versucht auf dem „sanften“ Wege Unternehmen zur eVergabe heranzuführen. Allerdings ist dies nicht sehr erfolgreich gewesen. Und sind wir mal ehrlich – warum sollten die Bieter ihre Prozesse, die sie seit Jahrzehnten nutzen, ändern?
Erst durch die Umsetzung des Stufenplans und damit ausschließlich der Möglichkeit elektronische Angebote abzugeben sind die Nutzerzahlen enorm gestiegen. Natürlich gab es aufgrund der Prozessänderung auch Reibungspunkte, die es zu überwinden galt.
Stichwort Bund.de: Gem. § 12 VOL/A müssen Bekanntmachungen in Internetportalen jedenfalls auch über bund.de auffindbar sein. Eine entsprechende Regelung findet sich in der neuen VOB/A, allerdings als Kann-Bestimmung. Eine tolle Sache für die Bieter, die dann nur noch auf einem Portal suchen müssen. Aber, sind die technischen Voraussetzungen dafür denn überhaupt schon gegeben?
In der Arbeitsgruppe Bekanntmachung von XVergabe haben wir einen zu Bund.de kompatiblen Standard definiert, um Bekanntmachungen bzw. Metadaten auszutauschen. Wir sind gerade dabei einen XVergabe-Proxy aufzubauen, um diese über Bund.de veröffentlichen zu können. Die technischen Voraussetzungen wären damit gegeben.
Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um der eVergabe endlich zum wirklichen Durchbruch zu verhelfen?
Aus meiner Sicht ist der wichtigste Schritt getan, um die elektronische Vergabe in Deutschland vorwärts zu bringen. Alle Lösungsanbieter wollen im Rahmen der XVergabe bis Ende des Jahres die Kommunikationsschnittstelle definieren. Anfang 2012 wird damit eine neue Zeitrechnung beginnen für die eVergabe in Deutschland: Viele Vergabelösungen – ein Bieterclient.
Vielen Dank für das Interview!
Marc Christopher Schmidt ist seit 2003 Mitarbeiter im Beschaffungsamt des BMI und dort seit 2008 Projektleiter der XVergabe. Sie erreichen ihn unter marc-christopher.schmidt@bescha.bund.de.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
Hoffentlich ist bald 2012, damit alle Ausschreibungen der öffentlichen Hand in Deutschland einheitlich zu finden sind. Nicht immer scheint Föderalismus eine gute Idee zu sein.