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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 22/09/2011 Nr. 10864

OLG Düsseldorf: Ausschreibungspflicht für „kommunale Wertstofftone“ (Beschluss v. 28.07.2011 – VII-Verg 20/2011)

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Kommunen, die ihre kommunalen Entsorgungsunternehmen ohne Ausschreibung mit dem Erfassen „stoffgleicher Nichtverpackungen“ beauftragen wollen, müssen die vergaberechtliche Zulässigkeit genau prüfen. Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 28.07.2011 (VII-Verg 20/11) einen strengen Maßstab angelegt. Zugleich liefert das Gericht wichtige allgemeine Hinweise zu Inhouse-Geschäften und zur nachträglichen Vertragsänderung.

Stoffgleiche Nichtverpackungen in kommunaler Hand?

Der Fall des OLG Düsseldorf betrifft die derzeit in vielen Kommunen diskutierte Einführung einer „kommunalen Wertstofftone“, in der neben den Verpackungsabfällen weitere markt- und rohstoffrelevante Abfälle gesammelt werden. Hintergrund dieser Überlegungen ist vor allem die Verpflichtung aus der EU-Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG, bis 2015 die sog. stoffgleichen Nichtverpackungen, die derzeit noch als Restmüll entsorgt werden (z. B. Plastikspielzeug oder Bratpfannen), getrennt zu erfassen. Im Fall hatte eine Stadt entschieden, die stoffgleichen Nichtverpackungen gemeinsam mit den Wertstoffen der „Gelben Tonne“ (den sog. Leichtverpackungen) in einer einheitlichen Wertstofftone über ihr kommunales Entsorgungsunternehmen für die Jahre 2011 bis 2013 zu erfassen. Dabei hatte sie sich zunutze gemacht, dass ein Tochterunternehmen dieses städtischen Entsorgers die Ausschreibung der „Gelben Tonne“ für diesen Zeitraum gewonnen hatte.

Ein privates Entsorgungsunternehmen griff dies mit der Begründung an, dass die Erfassung der stoffgleichen Nichtverpackungen zuvor hätte ausgeschrieben werden müssen. Die Stadt wandte ein, dass das kommunale Entsorgungsunternehmen aufgrund eines umfassenden (Alt-)Entsorgungsvertrages bereits beauftragt sei. Daher liege schon kein neuer Auftrag vor. Angesichts der geringen Kostensteigerung durch die Umstellung auf die Wertstofftonne im Vergleich zum Gesamtvolumen der Abfallentsorgung könne auch von einer wesentlichen Änderung des ursprünglichen Entsorgungsvertrages keine Rede sein. Zudem handele es sich um ein vergabefreies Inhouse-Geschäft, da der kommunale Entsorger ganz überwiegend für die Stadt sowie für einen ausschließlich aus Kommunen bestehenden Abfallzweckverband tätig sei.

Interkommunale Zusammenarbeit als inhouse-schädliches Drittgeschäft?

Das OLG Düsseldorf hat dem privaten Entsorgungsunternehmen Recht gegeben und die Argumente der Stadt verworfen. Dabei hat es sich zunächst mit dem Inhouse-Argument auseinandergesetzt: ein vergabefreies Inhouse-Geschäft komme nicht in Betracht, da der kommunale Entsorger nicht – wie vom EuGH gefordert – im Wesentlichen für die Stadt tätig sei. Denn der Umsatz des kommunalen Entsorgers mit dem Abfallzweckverband (ca. 28% des Gesamtumsatzes) sei als inhouse-schädliches Drittgeschäft anzusehen.

Zwar hält das Gericht es grundsätzlich für möglich, ein vergabefreies Inhouse-Geschäft mit einer vergabefreien interkommunalen Kooperation zu kombinieren, so dass Umsätze aus der Kooperation nicht als Drittgeschäft gelten. Diese Möglichkeit wurde bislang lediglich in der vergaberechtlichen Literatur erwogen.

Die aus dieser Kooperation entspringenden Leistungen müssen hierfür aber – so das OLG – im Wesentlichen öffentliche Aufgaben (nicht: gewerbliche Leistungen) betreffen. Insofern überträgt das Gericht anscheinend die Rechtsprechung zum inhouse-schädlichen Drittgeschäft auf die interkommunale Zusammenarbeit. Im entschiedenen Fall sah das OLG Düsseldorf diese Voraussetzung als nicht erfüllt an. Denn der Abfallzweckverband akquirierte auch „freie“ Gewerbeabfälle, deren Geringfügigkeit nicht nachgewiesen wurde. Zudem warf das Gericht sowohl dem Abfallzweckverband als auch dem kommunalen Entsorger vor, seine eigenen Dienstleistungen gegenüber Dritten aktiv beworben zu haben. Hierdurch hätten beide zu erkennen gegeben, dass sie in nicht unerheblichem Umfang gegenüber Dritten tätig werden wollten.

Auftraggeber sollten daher künftig im Rahmen des Drittgeschäfts nicht nur auf quantitative Aspekte achten (die alte Streitfrage, ob bereits 7,5% oder erst 10% Drittgeschäft schaden, konnte vom OLG Düsseldorf offen gelassen werden). Sie sollten zudem darauf achten, dass auch qualitativ keine nennenswerte Marktausrichtung des jeweiligen Unternehmens zu erkennen ist. Wenn bereits das Bewerben von Dienstleistungen für Dritte ein Indiz dafür ist, dass das Unternehmen die für Inhouse-Geschäfte zulässige Grenze an Drittgeschäft überschreiten will, stellt dies ganz neue Herausforderungen an die Strategie kommunaler Unternehmen.

Wesentliche Änderung durch nachträgliche stärkere Marktausrichtung?

Anschließend hat das OLG Düsseldorf die Frage einer wesentlichen und damit vergabepflichtigen Änderung des ursprünglichen Entsorgungsvertrages thematisiert. Das Gericht hat in der getrennten Erfassung der stoffgleichen Nichtverpackungen eine wesentliche Änderung erblickt.

Hierbei deutet das Gericht an, dass eine wesentliche Änderung bereits dann erfüllt sein kann, wenn das Entsorgungsunternehmen nachträglich eine stärkere Marktausrichtung einschlägt. Diese Ausführungen sollten in kommunalen Unternehmen auch über den Abfallbereich hinaus die Alarmglocken schrillen lassen, bedeutet es doch letztlich, dass sie durch verstärkte Marktaktivitäten (etwa im Versorgungs- oder Wohnungsbaubereich) auch ihre bestehenden Verträge gefährden können.

Das OLG führt diesen Gedanken jedoch nicht weiter aus, sondern nimmt eine wesentliche Änderung aus einem anderen Grund an. Die getrennte Erfassung der stoffgleichen Nichtverpackungen stelle eine Auftragserweiterung in größerem Umfang auf ursprünglich nicht vorgesehene Dienstleistungen dar. Dies gelte selbst dann, wenn – wie dies in vielen Kommunen der Fall ist – der kommunale Entsorger bereits mit der Erfassung des Restmülls (also auch der stoffgleichen Nichtverpackungen) in der „Grauen Tonne“ beauftragt sei. Denn bei getrennter Erfassung komme die Verwertung der stoffgleichen Nichtverpackungen als neue Leistung hinzu, die bei der Beseitigung über die „Graue Tonne“ nicht anfalle.

An diesem Ergebnis ändern dem Gericht zufolge auch allgemeine Anpassungsklauseln des Ursprungsvertrages nichts, wenn diese sehr allgemein gehalten seien und die nachträgliche Änderung auf dem freien Willen des Auftraggebers beruhe. Beides sei hier der Fall gewesen. Leider macht das OLG Düsseldorf keine Ausführungen zur Frage, worin angesichts der europäischen Pflicht zur getrennten Erfassung ab 2015 die Freiwilligkeit bestehen soll. Daher kann lediglich vermutet werden, dass das Gericht hiermit die freiwillige Erfassung vor 2015 meint.

Ausschließlichkeitsrecht durch „Gelbe Tonne“?

Darüber hinaus lehnt das OLG Düsseldorf ein Ausschließlichkeitsrecht zugunsten des kommunalen Entsorgers ab. Die Stadt hatte geltend gemacht, dass die kombinierte Wertstofftonne nur von diesem realisiert werden könne, da sein Tochterunternehmen die Ausschreibung über die „Gelbe Tonne“ gewonnen habe. Das Gericht hält jedoch bereits für fraglich, ob angesichts der engen Auslegung durch den EuGH aus dem Auftrag über die „Gelbe Tonne“ überhaupt ein Ausschließlichkeitsrecht für die Erfassung stoffgleicher Nichtverpackungen erwachsen könne. In jedem Fall sei aber eine Direktvergabe nicht möglich, wenn sich der Auftraggeber bei der Entscheidung über die Erfassung von stoffgleichen Nichtverpackungen von der Entscheidung im Vergabeverfahren über die „Gelbe Tonne“ abhängig mache. Da bei der Ausschreibung der „Gelben Tonne“ kein einem Vergabeverfahren gleichwertiger Rechtsschutz bestehe, sei auch das Bedürfnis für eine gesonderte Ausschreibung nicht entfallen.

Erfassen stoffgleicher Nichtverpackungen als zusätzliche Leistungen?

Schließlich hat das OLG Düsseldorf abgelehnt, eine Direktvergabe aufgrund der Ausnahme für zusätzliche Dienstleistungen nach § 3 EG Abs. 4 lit. f VOL/A zuzulassen. Das hierfür erforderliche unvorhergesehene Ereignis liege nicht vor, da während der in Rede stehenden Laufzeit kein Zwang zur Änderung bestehe. Auch hier erläutert das OLG Düsseldorf nicht, wie sich dieses Ergebnis mit der EU-Vorgabe ab 2015 verträgt. Zu vermuten ist daher auch hier, dass sich dieser Aspekt lediglich auf den Zeitraum vor 2015 beschränkt.

Seidel__JanDer Autor Dr. Jan Seidel ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer und Nürnberger Büro der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft. Dort betreut er Projekte der öffentlichen Hand mit einem Schwerpunkt auf der vergaberechtlichen und umweltrechtlichen Beratung. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Dr. Jan Seidel

Dr. Jan Seidel ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer und Nürnberger Büro der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Dort berät er öffentliche Auftraggeber und Bieter in Vergabeprojekten mit einem Schwerpunkt auf der kommunalen Infrastruktur (insbesondere Ver- und Entsorgung sowie ÖPNV).

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