EU-Binnenmarkt Ade? Dabei fordert die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen im Grunde nur etwas, was Viele seit langem denken und vielerorts ja auch versucht wird: Die öffentliche Nachfragemacht gezielt zur Stärkung der eigenen, regionalen Wirtschaft zu nutzen. Hintergrund: Die Bundesregierung solle neue Strategien zur Stärkung der regionalen Wirtschaft entwickeln, und dazu neben anderen Instrumenten auch das öffentliche Auftragswesen nutzen: Ortsnähe soll ein leistungsbezogenes Kriterium werden. Vergabepolitik nach Kirchturmprinzip?
”Green New Deal”
Hintergrund ist der von der Fraktion als solcher bezeichnete “Green New Deal” – darunter verstehen die Abgeordneten die “dringend notwendige Richtungsentscheidung für eine wirklich nachhaltige Wirtschaftsordnung”. Der Green New Deal sei die “grüne Antwort auf die sich immer bedrohlicher verstärkenden aktuellen ökologischen, sozialen und ökonomischen Krisen.” Mit ihm wolle man ein Fundament “für nachhaltiges Wachstum legen, das Arbeitsplätze und Wohlstand schafft sowie Perspektiven für die nachfolgenden Generationen eröffnet.” Soweit, so nebulös.
Ländliche Regionen Schlüsselfaktor
Der Auf- und Ausbau regionaler Wirtschaftskreisläufe und Wertschöpfungsketten für Lebensmittel, Verbrauchsgegenstände und Dienstleistungen sei ein wichtiger Baustein, diesen Green New Deal in ländlichen Räumen zu verankern. Denn, so die Abgeordneten: “Je häufiger ein Euro innerhalb der Region die Hand wechselt, desto mehr Wertschöpfung, qualifizierte Arbeits- und Ausbildungsplätze und regionale Entwicklungsperspektiven werden geschaffen”.
Gleichzeitig seien regionale Wertschöpfungsketten und Wirtschaftskreisläufe hinsichtlich Transport-, Energie-, und Versorgungsstrukturen ressourcensparend und böten Ansatzpunkte, ökologisch nachhaltiger zu arbeiten.
Staat in der Pflicht
Die Abgeordneten sehen die Stärkung und den Ausbau regionaler Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen daher als “zentrale politische Aufgaben”. Dazu fordern Sie in ihrem Antrag (17/7249) von der Bundesregierung, neue Strategien für die Regionalvermarktung zu entwickeln, eng mit „zivilgesellschaftlichen Akteuren“ wie z.B. Regionalvermarktungsinitiativen zusammenarbeiten, aber auch die öffentliche Nachfragemacht gezielt in diesem Sinne einzusetzen.
So solle der Bundestag u.a. beschließen, die Bundesregierung aufzufordern:
“im Rahmen der europarechtlichen Bestimmungen die Vorbildfunktion des öffentlichen Beschaffungswesens bei der Verwendung von Regionalprodukten zu stärken und über die Versorgung von Kitas, (Hoch-)Schulen, Altenheimen, Kliniken und öffentlichen Verwaltungen effiziente Absatzstrukturen aufzubauen;
– mit Beratung und Anreizen die öffentliche Verwaltung auf Bundes-, Länder und kommunaler Ebene dafür zu sensibilisieren, dass für Beschaffungsaufträge die Ortsnähe ein leistungsbezogenes Kriterium bei der Ausschreibung sein kann;”
Vergabefremdes Kriterium?
Stellt sich die Frage der Vereinbarkeit des Kriteriums “Ortsnähe” mit geltendem Vergaberecht. Denn eine Änderung dessen ist ganz offensichtlich nicht Teil des Antrags. Gut, die Förderung des Mittelstands wird in § 97 Abs. 3, Satz 1 GWB ausdrücklich erwähnt, aber ausweislich der amtlichen Begründung zur letzten GWB-Reform sollte die Neufassung des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB (“zusätzliche Anforderungen…die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen”) die Möglichkeit schaffen, dass der öffentliche Auftraggeber “zum Beispiel die Beschäftigung von Auszubildenden oder Langzeitarbeitslosen bezogen auf den konkreten Auftrag” fordern kann, sofern dies im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand steht – warum dann nicht auch die Förderung der lokalen Wirtschaft?
Rechtsprechung
In der vergaberechtlichen Literatur wird zwischen den Leistungskriterien “Ortsansässigkeit“ als räumliches Kriterium und „Präsenz vor Ort“ als zeitliches Kriterium unterschieden. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen beurteilt die Rechtsprechung das Zuschlagskriterium „Ortsansässigkeit“ wenig überraschend als vergaberechtswidrig. Dies sei sowohl mit dem Gebot der Gleichbehandlung als auch dem Diskriminierungsverbot nicht vereinbar (VK Südbayern, Beschluss vom 17.06.2009 – Z3-3194-1-21-05/09; VK Sachsen, Beschluss vom 31.01.2007 – 1/SVK/124-08; VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.01.2011 – 1 VK 69/10).
Selbst wenn der Antrag der Grünen also eine Mehrheit im Bundestag finden sollte, dürfte er ohne Rechtsänderung gleichwohl ins Leere laufen. Falls Beratungsbedarf für mögliche Gesetzesentwürfe besteht, lohnt ein Blick in unser Autorenverzeichnis. Und die Geschichte ist Anlass für uns, das Thema in einem der nächsten Beiträge vertieft rechtlich aufzubereiten.
Der Autor Marco Junk ist Rechtsanwalt und war bis 2011 als Bereichsleiter Vergaberecht beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) Mitglied im DVAL und im Beraterkreis eVergabe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Er ist Herausgeber des Vergabeblog und leitet seit März 2011 die Online-Redaktion des Verlags C. H. Beck.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren .
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
Betreffend des zeitlichen Kriteriums „Präsenz vor Ort“ sei auf einen Beschluss des OLG Düsseldorf vom 03.08.2011 hingwiesen.
Das OLG Düsseldorf kommt darin zum Ergebnis, dass ein Zuschlagskriterium „Verfügbarkeit und örtliche Präsenz“ ebenfalls vergaberechtswidirg sei. Nach Ansicht des Vergabesenats handele es sich bei dem Kriterium „Verfügbarkeit und Präsenz vor Ort“ um ein eignungsbezogenens Merkmal und dürfe daher nicht als Zuschlagskriterium herangezogen werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.08.2011 – Verg 16/11).