Die EVB-IT Arbeitsgruppe des IT-Planungsrates des Bundes, der auch die Autorin dieses Beitrags, Frau Rechtsanwältin Keller-Stoltenhoff von der IT-Recht Kanzlei angehört, hat nach der Veröffentlichung des EVB-IT Systemvertrages, Version 2, ihre Arbeiten an dem geplanten EVB-IT Servicevertrag kurz unterbrochen und den EVB-IT Systemvertrag auf einen Mustervertrag allein für werkvertragliche Leistungen rund um Software gekürzt. Nach Abstimmung mit dem ITK-Branchenverband BITKOM konnte dieser neue Mustervertrag am 09.07.2013 veröffentlicht werden. Eine ausführliche Darstellung:
Hintergrund
Behörden nutzten zur Vereinbarung von IT-Werkleistung seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts die „Besonderen Vertragsbedingungen für das Erstellen von DV-Programmen“ (BVB-Erstellung). Diese regeln das „Erstellen von Programmen für DV-Anlagen und -Geräte auf der Grundlage eines fachlichen Feinkonzeptes (Erstellungsleistungen) und andere mit der Programmerstellung zusammenhängende vereinbarte Leistungen“. Mit dem EVB-IT Systemvertrag, der im August 2007, modifiziert im September 2012 und mit leichten Änderungen noch einmal im Januar 2013 durch das Bundesinnenministerium (BMI) nach Abstimmung mit dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) veröffentlicht wurde, wurde ein weiterer Werkvertrag zur Erstellung von IT-Leistungen geschaffen.
Dieser ist ein ausgereifter IT-Projektvertrag und regelt die Erstellung komplexer IT-Gesamtsysteme, bestehend aus Hard-, Standard- und Individualsoftware und umfangreichen Anpassungsleistungen.
Da der Vertrag insgesamt ein IT-Werkvertrag ist, sollte er auch die Fälle regeln, in denen lediglich die Erstellung von Individualsoftware oder Customizingleistungen in Auftrag gegeben wurde.
Die EVB-IT System ersetzten daher bereits seit ihrer ersten Einführung die BVB-Erstellung, die somit ins Archiv wanderten. In den Hinweisen zu den EVB-IT System (hier Abschnitt I, Ziffer 3 wird dies zum Ausdruck gebracht:
„Die EVB-IT System kommen bei Vorliegen folgender Voraussetzungen zur Anwendung: …Es wird lediglich die Erstellung von Individualsoftware in Auftrag gegeben. Die EVB-IT System ersetzen damit auch den BVB-Erstellungsvertrag, solange kein spezieller EVB-IT Werkvertrag veröffentlicht wird. Bei der Nutzung der EVB-IT System nur für die Erstellung von Individualsoftware besteht das Problem darin, dass einige Regelungen (z.B. zu Lieferung von Hard- und Standardsoftware) der AGB ins Leere gehen, da im eigentlichen Sinne kein Gesamtsystem erstellt werden soll. Will der Beschaffer dennoch die EVB-IT System lediglich für Erstellung von Individualsoftware einsetzen, muss er im Vertragsformular unter Nummer 1.1 regeln, dass das Gesamtsystem im Sinne dieses Vertrages die Individualsoftware ist. ….„
Diese Anweisungen an die Beschaffer, die lediglich Erstellungsleistung rund um Software in Auftrag geben wollten, waren doch recht kompliziert und provisorisch. Auch schreckte die Länge des komplexen EVB-IT Systemvertrages viele Beschaffer bei der Vergabe von IT-Leistungen mit Bezug auf Standard- und Individualsoftware aber ohne Hardware ab.
Die EVB-IT Arbeitsgruppe des IT-Planungsrates, die mit Federführung des Bundesinnenministeriums (BMI) für die Erstellung der EVB-IT und deren Abstimmung mit dem BITKOM verantwortlich ist, entschloss sich daher, nach der Veröffentlichung des EVB-IT Systemvertrages, Version V.201 ihre Arbeiten an dem neuen EVB-IT Servicevertrag, kurz zu unterbrechen und die EVB-IT System auf einen handhabebareren Mustervertrag allein für werkvertragliche Leistungen rund um Software zu kürzen. Nach kurzer Abstimmung mit dem BITKOM konnte dieser neue Mustervertrag dann am 09.07.2013 veröffentlicht werden.
2. Anwendungsbereich
Die EVB-IT Erstellung regeln Softwareleistungen zur Erstellung von Individualsoftware, zur Anpassung von Software auf Quellcodeebene und zu umfangreichem, den Vertrag werkvertraglich prägenden Customizing von Standardsoftware. Er regelt auch den Kauf der Standardsoftware, die angepasst werden soll vom Auftragnehmer. Eine Miete der Standardsoftware, wie bei den EVB-IT System ist nicht möglich.
Der Vertrag entstand, wie oben aufgeführt, in erster Linie durch Streichen von Passagen der EVB-IT System die sich auf Hardware- und Mietleistungen bezogen. Auch wurden manche Streichungen vorgenommen, die für sich genommen im Einzelfall sinnvoll sein können, aber dem Bestreben zum Opfer fielen, möglichst viel zu kürzen, um einen handhabbaren Vertrag zu erstellen.
2.1. Verhandlungspunkte mit dem BITKOM
Zu diesen Streichungen und den damit einhergehenden notwendigen Änderungen konnte auch der BITKOM schnell seine Zustimmung geben. Der einzige wirklich strittige Regelungspunkt war die Frage, ob auf der Grundlage des neuen Erstellungsvertrages auch die anzupassende Standardsoftware vom AN gekauft werden könne.
Der BITKOM sah in dem Verkauf von Standardsoftware durch den Auftragnehmer eine Leistung, die zum Werkvertrag und zur Idee einer Kurzfassung nicht passe. Der BITKOM regte daher an, dass der Vertragsgegenstand nicht die Überlassung von Standardsoftware umfassen sollte, um eine klare Abgrenzung zu den EVB-IT System und den EVB-IT Systemlieferung zu gewährleisten und eine „Anwendungsverwirrung“ zu vermeiden. Er schlug vor, den Erwerb der Software und deren Pflege weiterhin über die EVB-IT Überlassung Typ A und die EVB-IT Pflege zu regeln.
Das BMI stand auf dem Standpunkt, dass nur auf den ersten Blick die Belassung der Leistung „Überlassung von Standardsoftware“ nicht zu passen scheine. Die Leistung sei aber auch für den EVB-IT Erstellungsvertrag unverzichtbar. Werde nämlich die Software, die gecustomized oder auf Quellcodeebene angepasst und auch vom Auftragnehmer bezogen wird, nicht auf der Grundlage eines Vertrages zusammen mit der Erstellungsleitung bezogen, müsste, wie der BITKOM mit Recht ausführt, die Überlassung auf der Grundlage der EVB-IT Überlassung Typ A geregelt werden. Der Beschaffer müsste in diesem Fall wieder drei Verträge (EVB-IT Erstellung, EVB-IT Überlassung Typ A, EVB-IT Pflege S) ausschreiben, die in keiner Weise harmonieren (z.B. bezüglich der Verzugs-, Gewährleistungs- und Haftungsregelungen). Es fehlten auch die mit dem BITKOM abgestimmten Regelungen zu den Nutzungsrechten an Standardsoftware, die auf der Grundlage des Erstellungsvertrages auf Quellcodeebene angepasst wird. Die Vergabestelle wäre gezwungen, selbst Regelungen zu schaffen, die die drei Verträge konsolidierten. Hier wäre sie in der Regel überfordert. Des Weiteren würde die Fülle der auszufüllenden Formulare wieder auf ein unzumutbares Maß anschwellen. Um dies zu vermeiden, wäre der Beschaffer weiterhin auch bei der Vergabe einer nicht aufwendigen, in kürzerer Zeit zu bewerkstelligen Werkleistung, die auf der Grundlage einer vom Auftragnehmer überlassenen Standardsoftware erfolgt, gezwungen, auf den Systemvertrag zurückzugreifen. Dies könne auch nicht im Sinne des BITKOM sein.
Der BITKOM wandte darauf ein, dass die Möglichkeit des Kaufes von Standardsoftware auf der Grundlage des Erstellungsvertrages, den Anwendungsbereich des EVB-IT Systemlieferungsvertrages „verwässere“.
Der Systemlieferungsvertrag ist ein Kaufvertrag mit Montageleistung. Die Frage ist daher tatsächlich, wie der neue Erstellungsvertrag mit dem auch Software gekauft werden kann, die dann auf die Bedürfnisse des Auftragnehmers angepasst werden soll, vom Systemlieferungsvertrag abzugrenzen ist.
Dies führte erneut zu der Frage, wann bei gemischttypologischen Verträgen eine werkvertragliche Leistung einen Vertrag so prägt, dass er insgesamt als Werkvertrag anzusehen ist. Hier hat die Rechtsprechung schon in den 90er Jahren die klare Linie aufgezeigt, dass dies immer dann der Fall ist, wenn die Software mehr als geringfügig auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten wird und nur so für den Kunden nutzbar ist (z.B. BGH 3.11.1992-X ZR 83/90, OLG Köln, 26.6.1992-19U 261/91).
2.2. Einigung mit dem BITKOM
Die Parteien einigten sich schließlich hinsichtlich des Anwendungsbereichs des EVB-IT Erstellungsvertrages und dessen Einordnung in die „EVB-IT Welt“ auf folgende Lesart:
Der EVB-IT Erstellungsvertrag ist ein auf Softwareleistungen reduzierter, gekürzter EVB -IT Systemvertrag
· zur Erstellung von Individualsoftware,
· zur Anpassung von Software auf Quellcodeebene bzw.
· zu umfangreichem, den Vertrag werkvertraglich prägenden Customizing von Standardsoftware, wobei die Standardsoftware zu diesem Zweck beigestellt oder vom Auftragnehmer auf der Grundlage dieses Vertrages überlassen werden kann. Der Vertrag ist insgesamt ein Werkvertrag
Dieser Anwendungsbereich ist definiert in der neuen Entscheidungshilfe zur Anwendung der EVB-IT Erstellung.
2.3. Wann ist Customizing eine wesentliche Leistung?
Wobei die Frage offen bleibt, wann eine Anpassungsleistung als wesentlich angesehen werden kann.
Hier gelten wohl nach wie vor die bereits in den Hinweisen zum EVB-IT Systemvertrag aufgeführten Abgrenzungskriterien:
· Die zeitliche Länge der Anpassungsarbeiten (5 Tage oder 5 Monate?)
· Sind die Anpassungsleistungen entscheidend dafür, ob die Standardsoftware überhaupt nutzbar ist für den AG?
· Hat der AG, die Standardsoftware nur deshalb erworben, weil der AN ihm erklärt hat, nur aufgrund dieser Standard-Software die gewünschten Funktionen vertragsgemäß erstellen zu können?
· Der Preis der Individualleistungen beträgt im Verhältnis zu den Standardleistungen 15 bis 20 Prozent (Das OLG Hamm hatte mit Urteil vom 22.08.1991 sogar schon ab 8 Prozent einen Werkvertrag angenommen)
3. Was ist neu in den EVB-IT Erstellung im Vergleich zu den EVB-IT System?
3.1. AGB
Die AGB der EVB-IT Erstellung, die EVB-IT Erstellungs-AGB, sind im Vergleich zu den EVB-IT System AGB kaum kürzer (25 Seiten statt 31 Seiten). Dies ist der Tatsache geschuldet, dass bis auf die Regelungen zur Miete von Hard- und Standardsoftware, zum Personal, zum Projektmanagement und zu möglichen Sicherheiten kaum Möglichkeiten zur Kürzung der AGB gesehen wurden.
Die Nutzungsrechtsregelungen für die Standardsoftware, Individualsoftware, Standardsoftware, die auf Quellcodeebene angepasst wird, und für vorbestehende Teil, die bei der Erstellung von Individualsoftware genutzt werden, sind dieselben wie bei den EVB-IT System. Wie bereits bei den EVB-IT Systemlieferung und den EVB-IT System, besteht auch bei den EVB-IT Erstellung die Möglichkeit, über das Muster „Nutzungsrechtsmatrix“ von den AGB abweichende Nutzungsrechte zu vereinbaren.
Der Auftraggeber hat auch im EVB-IT Erstellungsvertrag wie bei den Systemverträgen die Möglichkeit, Serviceleistungen (hier aber Pflege genannt) für die Individual- und Standardsoftware nach der Abnahme zu vereinbaren. Der Umfang der Pflegeleistungen hat sich im Verhältnis zu den Systemverträgen nicht verändert.
Ansonsten wurden die AGB nur sprachlich angepasst. Dort wo es unumgänglich war, das Ergebnis der Leistungen des Auftragnehmers zu benennen, z.B. in der Abnahmeklausel in Ziffer 11, wurden sie „Werkleistungen 2“ getauft.
3.2. Vertragsmuster
Das Vertragsmuster hingegen, das die Vergabestellen in erster Linie interessiert und über dessen Länge beim Systemvertrag Klage geführt wurde, ist stark gestrafft (21 Seiten statt 38 Seiten).
Im Unterschied zum EVB-IT Systemvertrag ist die Leistung der Parametrisierung der Standardsoftware (Customizing) als eigener Leistungspunkt in Nummer 4.3 des Vertrages geregelt. Diese Leistung verschwand beim Systemvertrag unter den Leistungen zur Herbeiführung der Betriebsbereitschaft des Gesamtsystems. Hier beim EVB-IT Erstellungsvertrag wird Customizing logischerweise zu eine der Hauptleistungen.
Ansonsten ist der Vertrag um viele an sich nützliche, ihn aber in der Summe aufblähende Passagen gekürzt worden, um ihn für die Vergabestellen attraktiver zu machen. Alle wesentlichen Regelungsmöglichkeiten aus dem EVB-IT Systemvertrag sind aber nach wie vor vorhanden.
Fazit
Die EVB-IT Erstellung regeln werkvertragliche Anpassungsleistungen (Anpassung von Standardsoftware auf Quellcodeebene und Customizing) sowie die Erstellung von Individualsoftware, die in kürzerer Zeit, also nicht im Rahmen eines längeren IT-Projektes, erbracht werden können. Die anzupassende Standardsoftware kann zu diesem Zweck selbst vom Auftraggeber beigestellt oder vom Auftragnehmer auf der Grundlage des EVB-IT Erstellungsvertrages gekauft werden. Der Vertrag ist insgesamt ein Werkvertrag. Hardwarelieferung sowie Mietleistungen können mit dem EVB-IT Erstellungsvertrag nicht vereinbart werden.
Durch die Aufnahme der Lieferleistungen in den Werkvertrag ist der Erstellungsvertrag bei Licht gesehen ein „kleinen Bruder“ des EVB-IT Systemvertrages.
Der EVB-IT Erstellung ist hier abrufbar.
Frau Rain Keller-Stoltenhoff ist spezialisiert auf IT-Vergabe- und IT-Vertragsrecht. Sie gründete 2004 die IT-Recht-Kanzlei, die sich auf Beratung in den Bereichen IT-Vertrags- und Vergaberecht, E-Commercerecht, Markenrecht sowie Internet- und Domainrecht konzentriert. Frau Keller-Stoltenhoff berät insbesondere Behörden bei der Ausschreibung komplexer IT-Projekte unter Beachtung der zunehmenden vergaberechtlichen Vorschriften und der Verwendung der IT-Einkaufsbedingungen der öffentlichen Hand, der EVB-IT. Letztere betreut sie als Beraterin des BMI mit dem Auftrag Ablösung der BVB-Vertragstypen, Überarbeitung der bisherigen EVB-IT Vertragstypen, Einführung von weiteren EVB-IT Vertragstypen, Verhandeln der neuen EVB-IT Vertragstypen mit dem ITK-Branchenverband BITKOM.
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