Das OLG Karlsruhe hat in seiner Entscheidung die Vergabe von Folgeaufträgen an den bisherigen IT-Dienstleister gebilligt (Beschluss v. 15.11.2013 – 15 Verg 5/13). Das Gericht sah das gewählte Verhandlungsverfahren ohne vorhergehenden Teilnahmewettbewerb mit Blick auf bestehende Urheberrechte des bisherigen IT-Dienstleisters an „seiner“ Software als rechtmäßig und den Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 4 lit. c) EG VOL/A (bzw. den inhaltlich parallelen § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) VSVgV) für ausschließliche Verhandlungen als eröffnet an.
GWB § 101b Abs. 2 S. 1, § 107 Abs. 3 Nr. 4, VSVgV § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. c); VOL/A § 3 Abs. 4 lit. c) EG
Leitsätze
- Die Bestimmung des Beschaffungsbedarfs ist dem eigentlichen Vergabeverfahren vorgelagert. Das Vergaberecht macht dem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich keine Vorgaben hinsichtlich dessen, was er beschaffen muss oder will. Das Vergaberecht regelt nur die Art und Weise der Beschaffung.
- Ist die Festlegung des Beschaffungsgegenstands aufgrund sachlicher und auftragsbezogener Gründe diskriminierungsfrei erfolgt, ist eine sich hieraus ergebende wettbewerbsverengende Wirkung grundsätzlich hinzunehmen.
- Die maßgebenden Gründe für die Festlegung des Beschaffungsbedarfs müssen im Vergabevermerk nachvollziehbar dokumentiert sein.
Sachverhalt
Konkret war um eine Auftragsvergabe des Innenministeriums Baden-Württemberg zur Erweiterung des vorhandenen Einsatzleitsystems der Polizei in Baden-Württemberg u.a. um die Funktion Notruf gestritten worden. Das Innenministerium hatte sich für einen integrierten Ansatz bei der Erneuerung des Notrufsystem entschieden und beschlossen, das bereits vorhandene und bewährte Einsatzleitsystem der Polizei rein softwareseitig so zu erweitern, dass künftig auch Notrufe auf einer einheitlichen Bedienoberfläche entgegen genommen und innerhalb eines Systems verarbeitet werden können. Die Gründe hierfür waren technischer (z.B. Erfüllung besonderer einsatztaktischer Anforderungen, Vermeidung von externen Schnittstellen und Kompatibilitätsrisiken mit Fremdsystemen, erleichterte Fehlersuche und Fehlerbeseitigung) sowie wirtschaftlicher Natur.
Die Entscheidung
Von entscheidender Bedeutung dafür, dass das OLG Karlsruhe die Auftragsvergabe im Ergebnis als rechtmäßig erachtete, war zum einen dessen Einschätzung, dass die Festlegung des Beschaffungsbedarfs (softwaremäßige Erweiterung des bestehenden Einsatzleitsystems) durch das Innenministerium ausschließlich auf sach- und auftragsbezogenen Gründen und nicht auf technisch offensichtlich unzutreffenden Annahmen beruhte. Das Innenministerium hatte im Vorfeld eine Markterkundung unter Einbindung der künftigen Nutzer durchgeführt und mehrere technische Lösungsansätze für die Einbindung des Notrufs in das vorhandene Einsatzleitsystem geprüft. Nach Abwägung der technischen und finanziellen Auswirkungen der einzelnen Lösungsansätze hatte sich das Innenministerium für eine rein softwaremäßige Lösung entschieden. Da der bisherige IT-Dienstleister Urheberrechte an der vorhandenen Software besitzt, war die ausschließliche Verhandlung mit ihm über den Auftrag zwingende Folge des festgelegten Beschaffungsbedarfs, auch wenn dadurch der Wettbewerb von vornherein eingeschränkt wurde. Dies sei, so das OLG Karlsruhe, in diesem Fall hinzunehmen.
Die Entscheidung des OLG Karlsruhe fügt sich insoweit in eine Reihe von aktuellen Entscheidungen des OLG Düsseldorf ein. Auch dieses hatte zuletzt betont, dass das Vergaberecht dem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich keine Vorgaben hinsichtlich dessen macht, was er beschaffen muss oder will, und die Festlegung des Beschaffungsbedarfs dem eigentlichen Vergabeverfahren vorgelagert ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.10.2009 – Vll-Verg 25/09 und Beschluss vom 22.05.2013 – VII-Verg 16/12).
Von Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der Auftragsvergabe war ferner, dass das Innenministerium seinen Beschaffungsbedarf und die Gründe, die für die gewählte Lösung einer rein softwaremäßigen Erweiterung des vorhandenen Einsatzleitsystems um die Funktion Notruf maßgebend waren, in einem Vergabevermerk ausführlich dargestellt und erläutert hatte. So konnte die getroffene Entscheidung vom Gericht nachvollzogen und festgestellt werden, dass das Innenministerium seinen bei der Definition des Beschaffungsbedarfs bestehenden Beurteilungsspielraum nicht durch sachfremde Erwägungen verletzt hatte.
Es ist das (gute) Recht des öffentlichen Auftraggebers, seinen Beschaffungsbedarf im Rahmen sach- und auftragsbezogener Erwägungen selbst zu bestimmen. Kann der so bestimmte Beschaffungsbedarf – z.B. aufgrund von bestehenden Urheberrechten – nur von einem bestimmten Unternehmen gedeckt werden, ist es gleichermaßen zwingend und zulässig, nur mit diesem Unternehmen über die Auftragsvergabe zu verhandeln. Da dies den Wettbewerb einschränkt und deshalb einen Ausnahmefall darstellt, muss der öffentliche Auftraggeber dafür allerdings über sachgerechte Gründe verfügen und diese in der Vergabeakte nachvollziehbar dokumentieren.
Dr. Beatrice Fabry
Die Autorin Dr. Beatrice Fabry ist Rechtsanwältin der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie berät seit vielen Jahren die öffentliche Hand und deren Unternehmen umfassend in allen Organisationsfragen sowie bei der Konzeption / Durchführung von Vergabeverfahren und Investorenwettbewerben.
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