Die Verpflichtungserklärungen nach TVgG-NRW sind keine Eignungsnachweise, sondern zusätzliche Bedingungen an die Auftragsausführung.
Mit Beschluss vom 29.01.2014 (Az. VII-Verg 28/13) hat der Vergabesenat des OLG Düsseldorf sich erstmals mit der Verpflichtungserklärung zur Beachtung der Mindeststandards der ILO-Kernarbeitsnormen nach § 18 TVgG-NRW auseinander gesetzt. Während er die Verpflichtungserklärung an sich (vorerst) nicht bemängelte, hielt er dem öffentlichen Auftraggeber entgegen, dass dieser die Erklärung fälschlicherweise als Eignungsnachweis forderte. Denn diese Verpflichtungserklärung enthalten ergänzende Bedingungen an die Auftragsausführung und sind daher als solche in der Bekanntmachung zu benennen.
§ 18 TVgG-NRW; § 97 Abs. 4 S. 2 GWB
Leitsätze
1. Das Fordern von Verpflichtungserklärungen zu den ILO-Kernarbeitsnormen gemäß § 18 TVgG NRW als Nachweis der beruflichen (technischen) Leistungsfähigkeit von Bietern verstößt ebenso gegen Vergaberecht, wie das Fordern als Nachweis zur persönlichen Lage eines Bieters. Die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen stellt keine allgemeine Anforderung an die Unternehmen dar.
2. Verpflichtungserklärungen zu den ILO-Kernarbeitsnormen gemäß § 18 TVgG-NRW können vom öffentlichen Auftraggeber als zusätzliche Anforderungen (Bedingungen) an die Auftragsausführung gemäß § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB verlangt.
3. Bei öffentlichen Lieferaufträgen (und Dienstleistungsaufträgen) liegen die Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB und von Art. 26 Richtlinie 2004/18/EG für die Forderung der Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen durch den öffentlichen Auftraggeber vor, weil sie den Prozess der Lieferung (oder Leistung) betreffen und einen sachlichen Zusammenhang zum Auftragsgegenstand aufweisen.
4. Beim Erlass des § 18 TVgG-NRW, hat der Landesgesetzgeber die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes nicht verletzt.
5. Die Verpflichtungserklärung gemäß § 18 TVgG-NRW stellt, soweit sie im Hinblick auf Nachunternehmer verlangt wird, keinen Vertrag zu Lasten Dritter dar.
Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber versuchte, bei der Ausgestaltung seines Verfahrens die Vorgaben des Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW (TVgG-NRW) zu beachten. In Umsetzung von § 18 TVgG-NRW verlangte er von den Bietern, dass diese mit Angebotsabgabe auch die Verpflichtungserklärung nach § 18 TVgG-NRW vorlegen. In dieser Erklärung verpflichten sich die Bieter, dass sie keine Waren liefern bzw. einsetzen, die unter Missachtung der Mindeststandards der sog. ILO-Kernarbeitsnormen hergestellt oder gewonnen wurden. Ergänzend zur Verpflichtungserklärung legte der Auftraggeber den Vergabeunterlagen besondere vertragliche Nebenbedingungen bei, die im Verhältnis zwischen Auftragnehmer und Nachunternehmer die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen regeln. In der europaweiten Bekanntmachung führte der öffentliche Auftraggeber die Verpflichtungserklärung als Eignungsnachweis zur technischen Leistungsfähigkeit (Ziffer III.2.3 der Bekanntmachung) auf. Auf eine Bieterrüge korrigierte der Auftraggeber die Bekanntmachung und führte fortan die Verpflichtungsklärung zu den ILO-Kernarbeitsnormen als Eignungsnachweis zur persönlichen Lage (Ziffer III.2.1 der Bekanntmachung). Ein Bieter wendete sich u.a. grundlegend gegen die Forderung dieser Verpflichtungserklärung und der besonderen vertraglichen Nebenbedingungen.
Die Entscheidung
Den grundsätzlichen Bedenken des Bieters folgte der Vergabesenat nicht. In der konkreten Ausgestaltung des Verfahrens hatte sich der öffentliche Auftraggeber nach Auffassung des OLG Düsseldorf gleichwohl fehlerhaft verhalten.
1. Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers für Nachhaltigkeit im Vergaberecht
Zunächst kann der Vergabesenat keinen Verstoß des nordrhein-westfälischen Gesetzgebers gegen Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes erkennen. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder ist gedeckt von dem Kompetenzfeld Recht der Wirtschaft. Hier hat der Bund nicht abschließend von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht und den Bundesländern damit die Möglichkeit gegeben, eigene Akzente zu setzen. Dies erfasst auch vergaberechtliche Regelungen, die zugleich andere Kompetenztitel (etwa Arbeitsrecht) berühren.
2. Forderung der Verpflichtungserklärung zu den ILO-Kernarbeitsnormen zulässig
Der Bieter hatte ergänzend vorgetragen, dass ein öffentlicher Auftraggeber nicht überprüfen könne, ob ein Bieter überhaupt seine Verpflichtungserklärung später einhalte. Dem folgte der Vergabesenat nicht. Dabei ließ er offen, ob diese zu Zuschlagskriterien aufgestellte Leitlinie aus der Wienstrom-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs überhaupt auf zusätzliche Bedingungen an die Auftragsausführung übertragen werden kann. Jedenfalls konnte der Vergabesenat auf der Grundlage des Bietervortrags nicht erkennen, dass der Auftraggeber weder in der Lage noch gewillt ist, die Beachtung der eingegangen Verpflichtungen zu überprüfen.
3. Auftraggeber wählte falsche Kategorie in der Bekanntmachung
Gleichwohl obsiegte der Bieter. Denn die Forderung, die Verpflichtungserklärung samt besonderen vertraglichen Nebenbedingungen als Nachweis zur Eignung abzugeben, war vergaberechtswidrig. So ist der Katalog der Eignungsnachweise zur technischen Leistungsfähigkeit in der Vergaberichtlinie und in § 7 VOL/A jeweils abschließend, ohne die Erklärungen nach § 18 TVgG-NRW sinngemäß aufzuführen. Auch wird die persönliche Lage nicht tangiert. Es handelt sich also nicht um einen Nachweis zur Eignung, sondern vielmehr um eine zusätzliche Bedingung an die Auftragsausführung im Sinne von § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB. Zu deren Einhaltung verpflichtet sich der Bieter für den Fall der Auftragserteilung. Indem der Auftraggeber diese Erklärung aber fälschlicherweise als Mindestanforderung an die Eignung verlangte, verstieß er gegen Vergaberecht. An der von ihm vorgenommenen Kategorisierung als Eignungsnachweis musste sich der Auftraggeber messen lassen, zumal er auch nach Rüge ohne Erfolg korrigierend eingriff.
4. Besondere vertragliche Nebenbedingungen
Abgesehen von der Einordnung als Mindestanforderung an die Eignung lässt der Vergabesenat die Forderung der besonderen vertraglichen Nebenbedingungen zur Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen unbeanstandet. Im Wege der Auslegung kommt er zu dem Ergebnis, dass sich hierdurch der Bieter lediglich verpflichtet, die in seiner Person auferlegte Bindung an die ILO-Kernarbeitsnormen an von ihm eingesetzte Nachunternehmer weiterzureichen.Rechtliche Würdigung
Während die Ausführung des OLG Düsseldorf zur Gesetzgebungskompetenz angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Vergabegesetz (BVerfG, Beschl. v. 11.07.2006, 1 BvL 4/00) nicht wirklich überraschen, schafft der Beschluss zumindest in mancherlei Hinsicht Rechtssicherheit.
So qualifiziert der Vergabesenat die Verpflichtungserklärung zur Beachtung der Mindeststandards der ILO-Kernarbeitsnormen nach § 18 TVgG-NRW zutreffend als zusätzliche Anforderungen an die Auftragsausführung. Hierbei handelt es sich um eine eigenständige Kategorie neben Eignungs- und Zuschlagskriterien sowie technischen Spezifikationen. Denn es ist der Ware schlichtweg nicht anzusehen, ob diese zusätzliche Anforderungen an die Auftragsausführung beachtet wurden oder nicht. Auf die technische Qualität hat es keine Auswirkungen. Anders als bei Eignungsnachweisen, die das bisherige Bieterverhalten in den Blick nehmen, richtet die Verpflichtungserklärung zu den ILO-Kernarbeitsnormen ihren Blick auf zukünftiges Verhalten.
Etwas umfassendere Ausführungen des Vergabesenats hätte sich der Leser aus der Beschaffungspraxis aber im Hinblick auf die Anforderungen gewünscht, die die Verpflichtungserklärung an die Bieter stellt. Wer einmal die acht völkerrechtlichen Abkommen, die als sog. ILO-Kernarbeitsnormen firmieren, gelesen hat, fragt sich an der ein oder anderen Stelle nicht grundlos, was denn genau die Mindestbedingungen sind, deren Einhaltung ein Bieter zusichern muss. Wann ist die Arbeit Minderjähriger bei Tätigkeiten, die die Gesundheit nicht schädigen, noch zulässig und wann nicht? Darf bei einem Unternehmen aus einem Land gekauft werden, in dem keine freien Gewerkschaften existieren? etc.
Die Grundwerte der ILO-Kernarbeitsnormen sind erkennbar und alle Beteiligten wissen um die Vernunft der verfolgten Ziele. Nur die tatsächliche Reichweite der Verpflichtungserklärung, deren Verletzung immerhin sanktioniert werden soll, bleibt an so mancher Stelle unklar. Eindeutige und transparente Maßstäbe wären insoweit den teils diffus gehaltenen Kernarbeitsnormen, die sich an Staaten richten, vorzuziehen. Und so stellt sich nicht nur die vom Vergabesenat aufgeworfene Frage, ob ein Auftraggeber die Einhaltung der Verpflichtungen überhaupt prüfen kann und will. Vorrangig ist vielmehr zu fragen: Ist es den Bietern wirklich zuzumuten, diese Verpflichtungserklärung überhaupt abzugeben?
Schließlich beleuchten die zutreffenden Ausführungen des Vergabesenats zu den besonderen vertraglichen Nebenbedingungen nur einen Teil des Problems. In der Tat handelt es sich bei diesem als Anlage 5 zur RVO TVgG-NRW zur Verfügung gestellten Muster um eine Musterklausel, die ein Bieter mit seinen Nachunternehmern vereinbaren kann. Dies ergibt sich bereits aus den Erläuterungen zur Verpflichtungserklärung nach § 18 TVgG-NRW (Anlage 4 zur RVO TVgG-NRW). Eine Unterschrift (wessen?) ist hier ohne erkennbaren Wert; eine Auslegung dahingehend, dass sich der Bieter verpflichtet, diese Klausel mit Nachunternehmern zu vereinbaren, wäre zwar denkbar. Sie ist aber vom Autor der Klausel, dem Verordnungsgeber, nicht gewollt. Dies folgt nicht nur aus den Erläuterungen zur Verpflichtungserklärung, sondern auch aus den Stellungnahmen der Landesregierung. So heißt es in der aktuellen FAQ-Liste zum TVgG-NRW (Stand: 19.12.2013):
„Kann ein Bieter die nach Anlage 4 erforderlichen Nachweise nicht erbringen um die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen bei der Herstellung seiner Produkte zu belegen, hat er die Möglichkeit stattdessen anzugeben, dass er unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns wirksame Maßnahmen ergriffen hat, um einen Verstoß gegen die ILO-Kernarbeitsnormen auszuschließen. Um diese Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu gewährleisten, kann der Bieter einem etwaigen Nachunternehmer die Anlage 5 als ergänzende Vertragsbedingung vorlegen. Die in der Anlage 5 vorformulierte Besondere Nebenbedingung wird dann Vertragsbestandteil im Vertrag zwischen dem Bieter und einem etwaigen Nachunternehmer bzw. Lieferanten oder Händler. Da der Bieter in der Anlage 4 erklärt, dass er die Besondere Nebenbedingung im Nachunternehmervertrag regelt, ist diese nicht Bestandteil des Angebotes gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber, sondern wird ggf. nachgelagert Bestandteil des Nachunternehmervertrages.“ (Hervorhebungen durch Autor)
Es steht dem Bieter also frei, diesen Musterbaustein in Verträgen mit Nachunternehmern und Lieferanten etc. zu verwenden, wenn er andernfalls den erhöhten Anforderungen bei der Beschaffung sensibler Waren aus sensiblen Ländern nicht genügen kann. Er muss es aber nach dem Willen des Gesetzgebers bzw. Verordnungsgebers nicht.
Sind öffentliche Auftraggeber aufgrund des TVgG-NRW oder vergleichbarer Regelungen in Landesvergabegesetzen verpflichtet, Erklärungen zur Tariftreue und Mindestvergütung (etwa nach § 4 TVgG-NRW), zur Beachtung der Mindeststandards der ILO-Kernarbeitsnormen (etwa § 18 TVgG-NRW), zur Beachtung des geltenden Gleichbehandlungsrechts (etwa § 19 TVgG-NRW) oder zur Durchführung von Maßnahmen zur Frauen- und Familienförderung (etwa § 19 TVgG-NRW) abzugeben, so sollten sie darauf achten, diese nicht versehentlich als Eignungskriterien zu kategorisieren. Ein Hinweis hierauf ist gleichwohl anzuraten. Zutreffender Stelle, um dies in der EU-Bekanntmachung anzusprechen, ist die Rubrik Sonstige besondere Bedingungen (Ziffer III.1.4).
Von der Verwendung der in NRW als Muster verfügbaren Besonderen vertraglichen Nebenbedingung zur Beachtung der in den ILO-Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards durch Nachunternehmer (Anlage 5 zur RVO TVgG-NRW) kann hingegen abgeraten werden.
Dr. Alexander Fandrey
Der Autor Dr. Alexander Fandrey ist Rechtsanwalt bei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB in Düsseldorf. Er berät nahezu ausschließlich öffentliche Auftraggeber und Fördermittelempfänger in allen Fragen des Vergabe- und Zuwendungsrechts. Er ist Referent bei Seminaren, Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen sowie eines monatlichen Newsletters zum Landesvergaberecht NRW.
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