6 Minuten

Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 18/03/2014 Nr. 18603

Achtung: Fallstrick für präqualifizierte Unternehmen mit VOB- und VOL-Leistungsspektrum

ParagraphZwei Entscheidungen der Vergabekammern Sachsen-Anhalt (Beschl. 2 VK LSA 02/13 v. 16.05.2013) und Südbayern (Beschl. Z 3 – 3 – 3194 – 138 – 10 /13 v. 05.12.2013) hatten über eine in der Praxis nicht seltene Fallkonstellation zu entscheiden, die präqualifizierten Unternehmen trotz guter Vorbereitung auf ihre Eignungsprüfung das Aus im Vergabeverfahren bescherten: In beiden Fällen hatten sich Unternehmen für eine nach VOB bekannt gemachte Ausschreibung mit einer Präqualifikationsurkunde beworben, die überwiegend für Liefer- und Dienstleistungen ausgestellt war. In beiden Entscheidungen der Vergabekammern wird ein Nachfordern der Eignungsnachweise abgelehnt, da die Unterlagen nicht fehlten sondern als „fehlerhaft“ betrachtet wurden.

In der Regel entscheidet der öffentliche Auftraggeber mit der Festlegung des Leistungsgegenstands, ob das Verfahren nach VOB oder VOL läuft. Sich bewerbende Unternehmen haben daraufhin die entsprechenden Nachweise einzureichen, die ihre Eignung belegen. An dieser Stelle ist entsprechende Vorsicht geboten: Präqualifizierte Unternehmen, die mit ihrem Kerngeschäft sowohl Liefer- und Dienstleistungen als auch Bauleistungen erbringen, müssen darauf achten, ob die eingereichte Urkunde den gewählten Leistungsbereich abdeckt.

In Deutschland kennen wir verschiedene Präqualifikationsurkunden: PQ-VOB (Präqualifikationsdatenbank-VOB), HPQR (Hessisches Präqualifikationsregister), ULV (Unternehmensleistungsverzeichnis) und PQ-VOL (Präqualifikationsdatenbank VOL). Sie alle ermöglichen, dass zur Prüfung der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Unternehmens statt vieler Einzelnachweise eine Urkunde ausreicht, um die Basics der Eignung nachzuweisen. Die Einrichtung solcher Präqualifizierungssysteme ist auch absolut sinnvoll und eine Erleichterung im Rahmen des administrativen Aufwands für alle Beteiligten. Leider wird gerade das bekannteste Zertifikat „PQ-VOB“ ausschließlich für die Beauftragung mit Bauleistungen ausgestellt. Lediglich das in Hessen ausgestellte HPQR und einige ULVs (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt) können von sich behaupten, dass es auf das Leistungsspektrum nicht ankommt, weil das Zertifikat sich auf sämtliche Leistungsarten bezieht, die ein Unternehmen für öffentliche Auftraggeber erbringen kann.

In den vorgenannten Fällen waren Unternehmen betroffen, die Küchentechnik liefern und einbauen. Ihnen ist gemeinsam, dass der Auftraggeber nicht VOL-Leistungen, sondern VOB-Leistungen ausgeschrieben hatte. Die Problematik kann genauso Branchen treffen, die bspw. IT-Leistungen, Telekommunikationstechnik, sonstige Installationstechnik oder Möblierungen liefern und einbauen. Auch Unternehmen im Garten- und Landschaftsbau lassen sich mit ihrem Leistungsspektrum nicht eindeutig der VOL oder VOB zuordnen.

Da der Auftraggeber Herr des Verfahrens ist, wird mit seiner Entscheidung über die anzuwendende Vergabeordnung VOB bzw. VOL auch die Weiche dahingehend gestellt, welche Präqualifikation bei der Eignungsprüfung vorzulegen ist. Entscheidend für betroffene Unternehmen ist, dass bei Ausschreibungen nach VOB die Vorlage einer PQ-VOL-Urkunde zum zwingenden Ausschluss des Angebots führt und ein Nachfordern nach der VOB/A nicht zulässig ist. Nach der Auslegung der Rechtsprechung fehlen in diesen Fällen nämlich keine Nachweise ‑ dann wäre ein Nachfordern des

Auftraggebers sogar zwingend ‑ sondern die mit der PQ-Urkunde betroffenen Nachweise gelten als fehlerhaft und damit irreparabel. Zunächst erscheint es konsequent, dass der Auftraggeber den Ausschluss vom Vergabeverfahren damit begründet, der Betroffene „habe eine Präqualifikationsbescheinigung eines nicht zugelassenen Vereins (PQ-Stelle) vorgelegt“. Die Vergabekammern bestätigten, dass nur eine PQ-VOB-Urkunde hätte helfen können, die vorgelegten Urkunden dagegen „nicht ausreichende Präqualifikationsnachweise“ darstellen würden. Bei genauerer Betrachtung liegt hier eine Fehlinterpretation der Auftraggeber und Vergabekammern vor.

Deutsches VergabenetzwerkIhrer Argumentation muss entgegengehalten werden, dass es erforderlich ist, nicht nur darauf zu achten, wie eine Urkunde heißt, sondern sich ‑ zumindest in Grenzfällen ‑ mit den Inhalten der Präqualifizierungsurkunde zu befassen. Es ist unzutreffend, PQ-VOL als eine Präqualifizierung zu bezeichnen, die ausschließlich Dienst- und Lieferleistungen präqualifiziert. Richtig ist, dass die präqualifizierten Unternehmen, die eine PQ-VOL Urkunde besitzen, überwiegend für Dienst- und Lieferleistungen, aber ebenso für Leistungen präqualifiziert sind, die dem Bauleistungsbereich zuzuordnen sind.

In den Nachprüfungsverfahren wurde lediglich der äußere Anschein der Urkunde beurteilt. Eine inhaltliche Kontrolle fand nicht statt. Hierbei sind die CPV-Codes hilfreich, die in jeder Präqualifikationsurkunde aufgelistet werden und eindeutig die Leistungsbereiche des Unternehmens identifizieren. Im Falle der Küchentechnik umfasst der CPV-Code bspw. VOL-Leistungen aus den Bereichen 391 „Möbel“, 392 „Ausstattung und Zubehör“, 293 „Diverse Ausrüstungen“, 397 „Haushaltsgeräte“, 42 „Industrielle Maschinen“ und 508 „Diverse Reparatur- und Wartungsdienste“, aber auch VOB-Leistungen aus dem CPV-Bereich 4542 „Bautischlerei-Einbauarbeiten“. Unternehmen mit überschneidenden Leistungsbereichen sollten der lästigen Benennung von CPV-Codes nicht zu wenig Aufmerksamkeit schenken, damit die Präqualifikationsurkunde tatsächlich ihr gesamtes Leistungsspektrum widerspiegelt.

Unternehmen, die zunächst Küchentechnik herstellen, sind typische Unternehmen im Lieferleistungsbereich. Da der Auftraggeber sie mit der Dienstleistung des Einbaus beauftragt, mutiert die Leistung zur Bauleistung. Dass gerade diese Konsequenz oft eine schwierige Abgrenzungsfrage sein kann, macht die Sache nicht leichter. Es kann aber nicht sein, dass diese Unternehmen sich zweimal, jeweils nach VOL und VOB, präqualifizieren müssen. Eine doppelte Präqualifizierung ist weder erforderlich noch mittelstandsfreundlich. Sie ist im Grunde genommen unnötig, denn es würden im Wesentlichen dieselben Einzelnachweise zur Eignungsprüfung vorzulegen sein: Alle PQ-Stellen zertifizieren nach ähnlichen Leitlinien und stellen gleichwertige Urkunden aus.

Präqualifizierungssysteme werden zukünftig immer stärker ausgebaut. Hierauf deutet zum Beispiel auch die zu erwartende europäische Richtlinie hin. Es muss daher ein Weg eröffnet werden, der ein Unternehmen in allen Leistungsbereichen abschließend präqualifizieren kann. Das HPQR und einige ULVs könnten hier Vorbild sein. In Hessen hat man mit dem HPQR von vornherein auf die Differenzierung verzichtet und eine einheitliche Präqualifizierung über sämtliche Leistungen eines Unternehmens eingerichtet.

Die Entscheidungen der Vergabekammern lassen die eigentlich spannende Frage unbeantwortet: Wird der Bund endlich auch andere Zertifizierungen neben PQ-VOB bei Bauausschreibungen anerkennen? Für den Bereich der EU-Ausschreibungen musste er zumindest zurückrudern. Gut versteckt in § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Satz 5 VOB/A wird zugestanden: „ Die Eintragung in ein gleichwertiges Verzeichnis anderer Mitgliedsstaaten ist als Nachweis zugelassen.“ Den Vergabestellen Sachsen-Anhalt und Südbayern ist dies offensichtlich entgangen. Sie haben den Ausschluss des Bieters mit einer PQ-Urkunde damit gerechtfertigt, dass in den Vergabeunterlagen ausschließlich eine PQ-VOB-Zertifizierung zugelassen wurde. Wie ist das damit zu vereinbaren, dass gleichwertige PQ-Urkunden gemäß § 6 EG VOB/A zuzulassen sind? Gebieten der Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatz sowie der Mittelstandsgedanke nicht, dies auch für den Unterschwellenbereich zu praktizieren? In Deutschland sollte sich kein Raum für eine Inländerdiskriminierung auftun.

Deutsches VergabenetzwerkFazit

Die strenge Differenzierung der PQ-Urkunden in die Schubladen VOB oder VOL ist mittelstandsfeindlich. Bis zu einer Klärung müssen Unternehmen genau darauf achten, ob es sich um eine Ausschreibung im Bau- oder Lieferleistungsbereich handelt und die passende PQ-Urkunden vorlegen, ansonsten werden sie bei Vorlagen der „falschen“ PQ-Urkunde zwingend ausgeschlossen.

PQ-VOL wird für Unternehmen ausgestellt, die überwiegend in Liefer- und Dienstleistungsbereich tätig sind, aber auch VOB-Leistungen erbringen. Ist bspw. eine PQ-VOB Urkunde nicht erworben worden, ist bei VOB-Ausschreibungen dennoch dringend zu raten, die Einzelnachweise vorzulegen. HPQR und ULVs sind „Allrounder“, sie präqualifizieren über sämtliche Leistungsbereiche und sind als gleichwertige Nachweise i. S. d. Vergabeordnungen auch EU-weit anzuerkennen.

Avatar-Foto

Brigitta Trutzel

Die Autorin Rechtsanwältin Brigitta Trutzel leitet seit Oktober 2007 die Auftragsberatungsstelle Hessen e.V. Sie berät Unternehmen, Handwerksbetriebe, freischaffende Büros und Vergabestellen zu Themen rund um das Vergaberecht und hält Seminare, Inhouseschulungen und Vorträge zum aktuellen Vergaberecht für Bieter und öffentliche Auftraggeber.

1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (11 Bewertungen, durchschn.: 2,91aus 5)

Loading…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert