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Mindestlohn in Vergabeverfahren: Bundeseinheitlicher Mindestlohn nur „Mindeststandard“ (VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 23.02.2015 – VK 1-39/14)

EntscheidungMit Wirkung zum 1. Januar 2015 wurde mit dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) ein branchenunabhängiger, bundesweit geltender Anspruch auf Zahlung eines Mindestlohns von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde eingeführt. Diese Neuerung ist für Vergabeverfahren vor allem im Hinblick auf die vielfach landesrechtlich geregelten, vergabespezifischen Mindestentgelte von Bedeutung. Die Vergabekammer Rheinland-Pfalz hat in dieser Hinsicht entschieden, dass Auftraggeber auch nach Inkrafttreten des MiLoG die Zahlung eines höheren, vergabespezifischen Mindestentgelts nach Landesrecht fordern dürfen (Beschl. v. 23.02.2015 VK 1-39/14 (nicht bestandskräftig)).

GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Art. 12; LTTG-RP § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 2; MiLoG § 1 Abs. 2

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb die Erbringung von Postdienstleistungen im Offenen Verfahren europaweit aus. In den Vergabeunterlagen war die Einhaltung der Bestimmungen des Landesgesetzes zur Schaffung tariftreuerechtlicher Regelungen des Landes Rheinland-Pfalz (LTTG) durch Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung nach § 3 Abs. 1 LTTG vorgegeben. Hierdurch sollte die Zahlung des nach LTTG aktuell gültigen Mindestlohns in Höhe von 8,90 Euro (brutto) pro Stunde sichergestellt werden. Gegen diese Vorgabe ging ein Bieter mit der Begründung vor, dass für den ausgeschriebenen Auftrag allein das MiLoG maßgeblich sei, weil dieses die landesrechtliche Regelung des LTTG verdränge.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer stellte fest, dass mit dem Erlass des MiLoG und der dortigen Festsetzung des Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro keine Sperrwirkung in Bezug auf die landesspezifische Tariftreueregelung nach § 3 Abs. 1 LTTG eingetreten ist, die einen vergabespezifischen Mindestlohn in Höhe von 8,90 Euro vorsieht. Zur Begründung führte Sie im Wesentlichen zwei Argumente an: Zum einen fußen Mindestlohngesetz und Landestariftreuegesetz auf unterschiedlichen Kompetenznormen. Das MiLoG unterfalle dem „Arbeitsrecht“, das Vergaberecht mit dem Landestariftreuegesetz dem „Recht der Wirtschaft“. Mit der Ausgestaltung des GWB habe der Bund zwar von dieser Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht, durch die Öffnungsklausel in § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB jedoch klargestellt, dass dies nicht abschließend gelten solle und landesspezifische Regelungen zulässig sind. Zum anderen weisen MiLoG und LTTG unterschiedliche Zielrichtungen auf. Das MiLoG begründe einen unmittelbaren Rechtsanspruch gegen den Arbeitgeber, das LTTG einen vertraglichen Anspruch des öffentlichen Auftraggebers gegen den Auftragnehmer.

Vor diesem Hintergrund stelle die Festlegung des Bundesmindestlohns in Höhe von 8,50 Euro nur einen „Mindeststandard“ mit der Maßgabe dar, dass landesspezifische Abweichungen nach oben zulässig sind. Daher war es dem Auftraggeber unbenommen, den höheren vergabespezifischen Mindestlohn in Höhe von 8,90 Euro (brutto) zu fordern.

Rechtliche Würdigung

Das MiLoG bietet weder aufgrund des Wortlauts noch anhand einer Auslegung dem Sinn und Zweck des Gesetzes nach Anhaltspunkte dafür, dass der Bund landesspezifische Regelungen ausschließen wollte. Es ist mit der entscheidenden Vergabekammer vielmehr davon auszugehen, dass der bundeseinheitliche Mindestlohn primär eine arbeitsrechtliche Bestimmung darstellt und somit besondere Regelungen für Vergabeverfahren möglich bleiben. Allerdings enthält auch das MiLoG in § 19 eine Vorschrift über den „Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge“, deren Vorgaben Auftraggeber in Vergabeverfahren berücksichtigen müssen.

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Praxistipp

Aufgrund der Vielzahl von landesrechtlichen Tariftreue- und Vergabegesetzen, die bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eine bestimmte Mindestvergütung vorgeben, ist die Entscheidung auch für andere Bundesländer von großer Bedeutung. Der vergabespezifische Mindestlohn steht aber auch auf übergeordneter Ebene derzeit auf dem Prüfstand: Die noch ausstehende grundsätzliche Entscheidung des EuGH über die Vereinbarkeit mit europäischem Recht bleibt abzuwarten (vgl. hierzu den Beitrag des Autors Vergabeblog.de vom 12/06/2014, Nr. 19224).

Anmerkung der Redaktion
Dieser Beitrag wurde in die Serie “Mindestlohn” aufgenommen. Weitere Besprechungen zu dieser Thematik finden Sie auf der Serienseite, hier.

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Über Dr. Martin Ott

Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).

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