Tritt eine Interimsbeauftragung selbstständig neben den Hauptauftrag hat die Auftragswertberechnung eigenständig zu erfolgen.
Nachprüfungsanträge sind für öffentliche Auftraggeber in der Regel lästig: Die Auftragserteilung verschiebt sich-nicht selten auf unbestimmte Zeit. Die fünfwöchige Frist des § 113 Abs.1 GWB ist allein schon für die Parteien, die häufig mehrere Schriftsätze wechseln, kaum einzuhalten. Rechnet man die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung mit ein und berücksichtigt die personelle Ausstattung der Vergabekammern, können sich schnell Verzögerungen von mehreren Monaten bis hin zu über einem Jahr ergeben.
Bei vielen Leistungen ist dies vor allem ärgerlich, da sich der Beginn der Leistung, bzw. die Lieferung des Produktes verzögern. Handelt es sich jedoch um Dienstleistungen, die auf regelmäßiger Basis erbracht werden müssen (Abfallentsorgung, Reinigung, Postdienstleistungen) kann ein Nachprüfungsantrag die Versorgungssicherheit des öffentlichen Auftraggebers gefährden. Daher greifen öffentliche Auftraggeber in diesen Fällen häufig auf eine Interimsvergabe zurück. Dabei wird ein Auftrag für die voraussichtliche Laufzeit des Nachprüfungsverfahrens vergeben. Der Auftrag geht dabei meistens in einem freihändigen Verfahren an den bisherigen Leistungserbringer (der nicht selten für den Nachprüfungsantrag verantwortlich ist). Dabei ist unbestritten, dass es sich auch bei Interimsbeauftragungen um öffentliche Aufträge handelt, die dem Vergaberecht unterliegen. Wie bei diesen Aufträgen die Wertberechnung vorzunehmen ist, war nun Gegenstand eines Beschlusses des OLG Koblenz.
§ 118 Abs.1 S.3 GWB, § 2 Abs.1 VgV § 3 Abs.2 VgV
Leitsatz
Sachverhalt
Eine Stadt in Rheinland-Pfalz schrieb einen Rahmenvertrag über die Erbringung von Postdienstleistungen aus. Aufgrund von Zweifeln an der Europarechtskonformität des vergabespezifischen Mindestlohns nach § 3 Abs.1 LTTG wurde das Nachprüfungsverfahren vom OLG Koblenz ausgesetzt und ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt (vgl. Vergabeblog.de vom 12/06/2014, Nr. 19224). Durch das Zuschlagsverbot nach § 115 Abs.1 GWB und das Auslaufen des Vertrags mit dem bisherigen Leistungserbringer wurde es für die öffentliche Auftraggeberin notwendig, für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens bis zur Entscheidung des EuGH einen Interimsauftrag für die Erbringung der Postdienstleistungen zu vergeben. Dazu führte sie eine öffentliche Ausschreibung nach dem Unterschwellenvergaberecht der VOL/A durch, da sie von einem Auftragswert für die Interimsvergabe von weniger als 100.000 ausging.
Die Antragstellerin griff die Ausschreibung an und stützte ihren Antrag auf dieselben Argumente wie für ihren Nachprüfungsantrag zur Hauptvergabe. Die Vergabekammer bejahte zwar die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags, lehnte diesen aber als unbegründet ab. Im Hinblick auf das Erreichen der EU-Schwellenwerte behandelte sie den Interimsauftrag wie eine einzelne Losvergabe des Hauptauftrags und legte daher den Gesamtauftragswert zugrunde.
Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde an das OLG Koblenz.
Die Entscheidung
Das OLG Koblenz wies die sofortige Beschwerde bereits wegen der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags zurück. Nach der Auffassung des Gerichts handelt es sich bei der Interimsbeauftragung nicht um einen Teil des Hauptauftrags, sondern um einen selbstständigen Auftrag, dessen Schwellenwert eigenständig zu ermitteln ist. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Interimsauftrag den Hauptauftrag ganz oder teilweise ersetzen soll. Dies war hier aber nicht der Fall. Das Gericht sah es insoweit auch als unbeachtlich an, dass die Laufzeit der Interimsbeauftragung sich mit der Laufzeit des ursprünglichen Auftrags überschneidet. Der Interimsauftrag tritt insofern nicht an die Stelle des Hauptauftrags, sondern dieser folgt der Interimsbeauftragung zu den ausgeschriebenen Fristen (die möglicherweise dann anzupassen sind).
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des OLG Koblenz überzeugt. Nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus praktischen Gründen. Es ist vergaberechtlich nicht geboten, eine Interimsbeauftragung als ein Los des ausgeschriebenen Auftrags zu werten. Wenn überhaupt, ließe sich dies allenfalls für den Vertrag mit dem bisherigen Leistungserbringer sagen (der häufig die interimsweise Leistungserbringung übernimmt). Dann würde der bestehende Vertrag in seiner Laufzeit erweitert. Auch dies dürfte aber nach der Rechtsprechung des OLG Koblenz unproblematisch möglich sein. Aus praktischen Gründen ist die Entscheidung jedoch ebenso geboten: Anderenfalls hätten es die Bieter in der Hand, auch gegen die interimsweise Beauftragung mit einem Nachprüfungsantrag vorzugehen und auf diese Weise die Versorgungssicherheit des öffentlichen Auftraggebers zu gefährden. Es ist aber der Zweck eines Nachprüfungsverfahrens einem unterlegenen Bieter die Möglichkeit einer fairen Überprüfung der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers einzuräumen und nicht ihm die Mittel in die Hand zu geben, den öffentlichen Auftraggeber von dringend benötigten Leistungen abzukoppeln.
Praxistipp
Für öffentliche Auftraggeber bedeutet die Entscheidung des OLG Koblenz eine Erleichterung. Sie können im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens ihre Versorgungssicherheit sicher stellen, indem sie interimsweise Aufträge bis zum Ende des Nachprüfungsverfahrens vergeben, ohne dass aufgrund des Wertes des Hauptauftrags gleich eine Überprüfung vor der Vergabekammer möglich ist. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten. Zwar wird der Schwellenwert des Auftragswertes separat ermittelt, überschreitet er jedoch die EU-Schwellenwerte ist er der Nachprüfungsmöglichkeit ebenso unterworfen wie jeder andere Auftrag.
André Siedenberg ist Berater bei der Kommunal Agentur NRW und Rechtsanwalt in Düsseldorf. In dieser Funktion unterstützt er öffentliche Auftraggeber und NGO’s bei verschiedenen vergaberechtlichen Fragestellungen. Nach seinem Referendariat in Würzburg war er zunächst im Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen im Referat für Vergaberecht beschäftigt.
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