Im Fokus des Vergaberechts steht derzeit nicht nur die Vergabe von Bauleistungen für Flüchtlingsunterkünfte. In derselben Weise praktisch schwierig wie rechtlich umstritten sind Fragen im Zusammenhang mit der Vergabe von Dienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte und Landeserstaufnahmeeinrichtungen. Mit Blick auf die Vergabe von Sicherheits- und anderen Dienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte hat das OLG Karlsruhe vor kurzem verallgemeinerungsfähige Feststellungen für eine vergaberechtskonforme Eignungsprüfung und Angebotswertung getroffen.
§ 16 Abs. 5 und Abs. 7 VOL/A bzw. § 19 Abs. 5 und Abs. 8 EG VOL/A; § 20 VOL/A bzw. § 24 VOL/A; § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB.
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb im offenen Verfahren Sicherheitsdienstleistungen und weitere Dienstleistungen für eine Landeserstaufnahmeeinrichtung aus. Für die Prüfung der Eignung der Bieter war u. a. eine Referenzliste vorzulegen. Mindestreferenzen waren nicht gefordert. Für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots sollte der Pauschalpreis mit 60 % gewichtet werden, das vorzulegende Konzept mit 40 %. Die fachliche Bewertung der Angebote, also die Beurteilung der Antworten, sollte anhand bestimmter vorgefertigter objektiver Kriterien erfolgen.
Gegen die vorgesehene Bezuschlagung eines Wettbewerbers wendete sich ein Bieter mit dem Argument, dass zum einen die Eignung des Wettbewerbers nicht positiv festgestellt worden sei und zum anderen die vorgesehenen objektiven Kriterien nicht angewendet wurden.
Die Entscheidung
Mit Erfolg! Der Vergabesenat bemängelte, dass der Auftraggeber möglicherweise Aspekte für die Begründung der Eignung des Bestbieters herangezogen hat, die nur eine eingeschränkte Aussagekraft mit Blick auf die ausgeschriebenen Leistungen aufweisen. Entscheidend aber sei, dass der Vergabevermerk weder über die Eignung noch über die Grundlagen, anhand derer die Eignung festgestellt worden ist, eine Aussage enthalte. Damit fehle es letztlich an einer positiven Eignungsfeststellung und an einer entsprechenden Dokumentation des Wertungsvorgangs.
In ähnlicher Weise beanstandete das Gericht die Angebotswertung auf der vierten Wertungsstufe. Dabei ging der Vergabesenat von folgenden in der vergaberechtlichen Rechtsprechung allgemein anerkannten Grundsätzen aus:
Gemäß § 16 Abs. 7 VOL/A bzw. § 19 Abs. 8 EG VOL/A berücksichtigt der Auftraggeber bei der Wertung der Angebote die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen benannten Kriterien und gewichtet sie entsprechend der Bekanntmachung. Er darf grundsätzlich keine anderen zusätzlichen Kriterien verwenden, die er nicht bekannt gemacht hat, darf aber auch nicht von den bekannt gemachten abweichen und auch nicht nachträglich auf die Bewertung bekannt gemachter Kriterien verzichten. Hält er sich nicht an ein bekannt gemachtes Punktesystem, ist die Bewertung vergaberechtswidrig.
Diesen Anforderungen genügte der Auftraggeber im entschiedenen Fall nicht. Einerseits war der Dokumentation des Wertungsvorgangs nicht zu entnehmen, welche Zuschlagskriterien der Auftraggeber mit welcher Gewichtung jeweils bewertet hatte, weil nur eine Gesamtpunktzahl vergeben wurde. Andererseits hatte der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen objektive Kriterien vorgegeben, die ebenfalls nicht transparent angewendet wurden. Bei diesen objektiven Kriterien handelte es sich nicht um eigentliche Zuschlagskriterien, weil diese nicht mit einer Gewichtung oder einer bestimmten Punktzahl versehen waren, sondern um wertungsausfüllende Maßstäbe, die zur Begründung des übergeordneten Wertungskriteriums heranzuziehen waren.
Fazit und Praxistipp
Für die Eignungsprüfung ist wichtig, dass eine positive Feststellung der Bietereignung erfolgt. Diese muss hinreichend dokumentiert werden. Im Hinblick auf die eigentliche Eignungsprüfung verbleiben Auftraggebern Beurteilungsspielräume. Dies gilt insbesondere dann, wenn etwa Mindestreferenzen nicht gefordert waren.
Auftraggebern ist des Weiteren zu empfehlen, bei der Vergabe von Dienstleistungen die Wertungssystematik so anzulegen, dass hinreichend Differenzierungsmöglichkeiten bestehen. Die Wertungssystematik sollte aber auch praktisch noch handhabbar sein. Dabei ist genau zwischen Wertungskriterien, die mit einer Gewichtung oder Punktzahl versehen sind, und wertungsausfüllenden Parametern, die lediglich der verbalen Begründung der Zuschlagskriterien dienen, zu unterscheiden. Diese Differenzierung findet in der Praxis häufig nicht statt und bewirkt, dass die Angebotswertung vergaberechtlich angreifbar ist und den Erfolg von Nachprüfungsanträge begründet. Dabei sind wertungsausfüllende Maßstäbe durchaus sinnvoll, weil eine reine Bepunktung für eine hinreichende Begründung und Dokumentation der Angebotswertung nicht ausreicht. Vielmehr sind immer auch schriftliche Feststellungen zu treffen.
Hinweis der Redaktion
Das Thema ist auch Gegenstand des ausgebuchten 2. Deutschen Vergabetages am 15./16.10.2015 in Berlin. Diesen Autor treffen Sie auf dem Deutschen Vergabetag 2015.
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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