Das OLG Düsseldorf legt nach und unser Autor auch. Hatten die Richter bereits in der Entscheidung vom 21.10.2015 (VII-Verg 28/14, Vergabeblog.de vom 10/12/2015, Nr. 24401) die Hürde an den Bewertungsmaßstab hoch gelegt, bekräftigen sie ihre (strenge) Rechtsauffassung nun mit diesem weiteren Beschluss. Folge ist, dass u.a. die UfAB VI teilweise neu geschrieben werden muss.
§ 97 Abs. 1 GWB; § 107 Abs. 3 GWB
Sachverhalt
Der öffentliche Auftraggeber schreibt Briefdienstleistungen aus. Wertungskriterien waren neben dem Preis unter anderem Prozesse und Organisation sowie Logistikkonzept. Gemäß dem bekannt gegebenen Bewertungssystem konnten bei den Wertungskriterien 0-3 Punkte erzielt werden.
Der Bewertungsmaßstab wurde in den Vergabeunterlagen wie folgt erläutert: Null Punkte, wenn es (das Angebot) nicht den sich aus den Ausschreibungsbedingungen ergebenden Anforderungen genügt,
Weiterhin heißt es in den Vergabeunterlagen, dass ein Bieter mindestens zwei Punkte erreichen müsse, damit sein Angebot in die weitere Wertung gelange. Zu dem Wertungskriterium Logistikkonzept waren in den Vergabeunterlagen sieben Unterthemen (Unterpunkte, Unterkriterien) angegeben, auf welche Bieter im Angebot insbesondere eingehen sollten.
Die Entscheidung
Zunächst sei an die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21.10.2015 – Verg 28/14 erinnert.
Darin hat das Gericht betont, dass der Transparenzgrundsatz erfordere, dass der Auftraggeber mitteilt, auf welche Gesichtspunkte es ihm bei der Bewertung vor allem ankommt. Daraus folgt in aller Regel, dass die Unterkriterien und ggf. Unter-Unterkriterien bekannt zu machen sind.
Diesen Anforderungen ist der Auftraggeber in der hier zu besprechenden Entscheidung zunächst gefolgt. Allerdings hat der Auftraggeber das o.g. Punkteschema allgemein gehalten und kein Punkteschema für das einzelne Unterkriterium vorgenommen. Dies sah der Vergabesenat als ungenügend an.
Wörtlich heißt es: Der vorstehend wiedergegebene Bewertungsmaßstab ist intransparent. Er lässt in Verbindung mit den aufgestellten Unterkriterien nicht zu, im Vorhinein zu bestimmen, welchen Erfüllungsgrad (Zielerreichungsgrad) die Angebote bei den Unterkriterien zum Logistikkonzept aufweisen müssen, um mit den festgelegten Punkten bewertet zu werden.
Anders ausgedrückt: Für Bieterunternehmen ist nicht zu erkennen gewesen, unter welchen Voraussetzungen konkret das Kriterium Logistikkonzept als nicht den Anforderungen genügend (null Punkte), als mit Einschränkungen den Anforderungen genügend (ein Punkt) oder als den Anforderungen besonders dienlich (drei Punkte) bewertet wird.
Auch bei der für das Erreichen der Mindestpunktzahl wichtigen mittleren Bewertung mit zwei Punkten (den Anforderungen vollumfänglich genügend) bleibt offen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen kleinere Einschränkungen gegebenenfalls noch das Testat vollumfänglich genügend rechtfertigen können.
Wie ich bereits in der Besprechung der Entscheidung vom 21.10.2015 – Verg 28/14 resümierte, kann eine solche Transparenzstrenge einen Nivellierungseffekt der Angebote mit sich bringen, da die Bieter (wenn sie nicht ganz auf den Kopf gefallen sind) den Bewertungsmaßstab des Auftraggebers, also dessen Erwartungshaltung, spiegelbildlich beantworten werden, um eine möglichst hohe Leistungspunktzahl zu erzielen.
Dem Vergabesenat ist dies auch bewusst, wenn er weiter schreibt: Bieterunternehmen haben deswegen nicht im Vorhinein beurteilen können, auf welche konkreten Leistungen die Antragsgegnerin besonderen und gegebenenfalls unverzichtbaren Wert gelegt hat, und sie haben ihre Angebote nicht daran ausrichten können. So ist Anbieter-Unternehmen aufgrund des bekannt gegebenen Wertungsmaßstabs auch verschlossen geblieben, welche Angebotsdefizite bei welchen Unterkriterien ein Abzug von einem oder von zwei Punkten veranlassen ein im Streitfall für das Erreichen der Mindestpunktzahl (zwei Punkte) ganz wesentlicher Umstand.
In einer Entscheidung aus dem Jahre 2009 hieß es noch, dass dem Auftraggeber auf der letzten Ebene der Angebotswertung ein Wertungsspielraum verbleibt (Beschluss vom 30.07.2009 – VII-Verg 10/09). Es fragt sich in Anbetracht der jüngsten Rechtsprechung, wann diese Ebene für den Auftraggeber beginnt. Dies gilt es in Zukunft genauer auszuloten. Beurteilungsfreiräume sollten den Auftraggebern meiner Meinung nach auf jeden Fall verbleiben, wo innovative Lösungen bewertet werden sollen, da es dem Auftraggeber naturgemäß nicht möglich ist und von ihm auch nicht gewünscht sein dürfte mögliche innovative Lösungswege vorzuschlagen. Überträgt man diesen Gedanken auf das hier in Rede stehende Logistikkonzept, so wäre etwa denkbar, dass der Auftraggeber ein Unterkriterium Innovative Aspekte der angebotenen Lösung vorsieht und dann beim Bewertungsmaßstab zwar einen konkreten Punktemaßstab zuordnet, aber zwangsläufig nicht weiter konkretisiert. Ein Beispiel:
Dass ein allgemeines Punkteschema, das quasi vor die Klammer gezogen ist, nicht zulässig ist, bekräftigt der Vergabesenat in der Entscheidung durch folgenden Hinweis: Der Streitfall weist zugleich Parallelen zu solchen Fallgestaltungen auf, in denen der Auftraggeber den Bewertungsmaßstab ausschließlich an einem sogenannten Schulnotensystem ausgerichtet hat. Darauf dürften diese Mängel, wie vorstehend erörtert, zutreffen.
Die Relevanz der neuen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf sei für die in diesem Beitrag zu lesenden Praktika noch einmal besonders hervorgehoben: Sie läutet eine neue Strenge in Bezug auf die Bewertungsmatrix ein. Hierauf weist der Vergabesenat auch selbst hin, indem er mitteilt, dass eine Verletzung der Rügeobliegenheit nicht infrage stehe, weil die Bieter den Rechtsverstoß nicht hätten erkennen können. Im Gegenteil, so das Gericht: Bewertungsmaßstäbe der vorliegenden Art gelten weiterhin als statthaft.
In der jüngst erschienenen Neuauflage der UfAB VI, Version 1.0 vom 30.04.2015 heißt es auf Seite 153: An die Antworten der Bieter, beispielsweise unterteilt in drei Wertebereiche:
Wünschenswert wäre eine genaue Festlegung der Zielerfüllungsgrade (auch: Erwartungshaltungen) für jeden Punktewert von 1 bis 10. Dies ist aber aus Aufwandsgründen kaum praktikabel. Die Mütter und Väter der UfAB weisen nicht zu Unrecht auf die fehlende Praktikabilität eines differenzierten Punktemaßstabs hin. Leider ist dieser Hinweis aber überholt und kann bei Auftraggebern zu einem eklatanten Fehler im Vergabeverfahren führen. Hier ist Vorsicht geboten, der Hinweis sollte spätestens in der UfAB VI, Version 2.0, überarbeitet werden.
Die Entscheidung führt, zumindest soweit das OLG Düsseldorf für Sie zuständig ist, dazu, dass sämtliche Vordrucke in Bezug auf Bewertungsmaßstäbe und Bewertungsmatrizen überprüft und gegebenenfalls angepasst (konkretisiert) werden müssen.
Außerdem wird es nicht mehr so einfach möglich sein, allgemeine Vorlagen zu verwenden; der Bewertungsmaßstab ist immer für die konkret benannten und beschriebenen Unterkriterien anzugeben. Die Entscheidung betraf den Oberschwellenbereich. Da das Gericht die tragenden Gründe jedoch aus dem Transparenzgrundsatz abgeleitet hat, ist kein Grund ersichtlich, im Unterschwellenbereich eine andere Wertung vorzunehmen.
Ich wage abschließend noch die Prognose, dass einige Auftraggeber wegen der strengen Anforderungen an eine vergaberechtskonforme Bewertungsmatrix (und dem damit verbundenen Aufwand und Risiken) dazu übergehen werden, den Preis als alleiniges Zuschlagskriterium festzulegen.
Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.
Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 9. Januar 2013 – Az. VII-Verg 33/12 – entschieden, dass die Bewertung des Preises mit 90% vergaberechtswidrig ist. Es sollte also der Preis oder die Leistung in der Wertung nicht zur marginalen Größe degradiert werden, da auf diese Weise das Gebot, auf das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag zu erteilen, nicht mehr befolgt wird.
In der Modernisierung des Vergaberechts ist nur die „Marginalisierung“ des Preises geregelt, da ja sogar Festpreise vorgegeben werden dürfen.
Was aber ist mit der Leistung?
* Gibt es nach dem Beschl. des OLG Düsseldorf v. 16.12.2015 überhaupt einen Leistungswettbewerb, wenn die wertbare Leistung (eine nicht wertbare wird keiner anbieten) transparent (und am besten noch algorithmisch) festgelegt werden muss?
* Darf ein Bieter im Wettbewerb eben nicht nur von einem niedrigeren Preis, sondern auch von einer besseren Leistung (innerhalb der Schranken des konkreten Bedarfes des Auftraggeber) eines Mitbewerbers überrrascht werden?
* In der Praxis ist ein Naturalrabatt (= Mehr an Leistung) leichter zu erhalten als ein Preisrabatt (= Weniger an Preis).
Zum Verständnis:
* Der Bedarf des AG wird beschrieben durch einen konkreten Nutzen, den der AG auch kennt (z. B. in seiner WiBe).
* Die Leistung wird beschrieben durch die Erfüllung von Anforderungen (= Merkmale der Leistung) als Bestandteil der Lösung.
* Wenn der AG nicht nur den Bedarf sondern auch die Lösung abschließend festschreibt, wechselt er faktisch in die Rolle des AN und schreibt das (für alle gleiche) Angebot.