Mit der Vergaberechtsreform und der Neufassung des 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wurden erstmalig in § 108 GWB ausdrückliche Regelungen zur Zulässigkeit von In-house-Vergaben geschaffen. Die Vergabekammer des Bundes hat nun in einer Entscheidung zur alten Rechtslage wichtige Aussagen zu den Voraussetzungen eines vergaberechtsfreien In-house-Geschäftes nach den neuen Vorschriften, insbesondere zum sogenannten Wesentlichkeitskriterium, getroffen.
Sachverhalt
Im Rahmen eines noch bis zum 31. Juli 2017 laufenden Vertrags mit der Bundesrepublik Deutschland (Antragsgegnerin) erbringt die Antragstellerin derzeit bestimmte Chauffeurdienstleistungen. Anfang 2016 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin darüber, dass sie beabsichtige, die entsprechenden Dienstleistungen nach Auslaufen des Vertrages „im Wege einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit“ an die „bundeseigene“ BwFuhrparkService GmbH (Beigeladene) zu übertragen.
Die BwFuhrparkService GmbH wurde 2002 gegründet. Seit 2006 sind ihre Gesellschafter die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit 75,1% der Anteile, vertreten durch das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg), und die Deutsche Bahn AG (DB AG) mit 24,9% der Anteile. Alleiniger Anteilseigner an der DB AG ist ebenfalls der Bund.
Der Gesellschaftszweck der BwFuhrparkService GmbH besteht in der „Entwicklung eines übergreifenden Flottenmanagement-Systems“ und in der „Übernahme von Mobilitäts- und Flottenmanagementaufgaben für den Geschäftsbereich […]“. Gemäß Gesellschaftsvertrag ist die BwFuhrparkService GmbH auch berechtigt, bestimmte Leistungen gegenüber Dritten zu erbringen, soweit sichergestellt bleibt, dass die Gesellschaft im Wesentlichen für den Bund tätig wird.
Die Antragstellerin setzte sich gegen die geplante Beauftragung der BwFuhrparkService GmbH zur Wehr und reichte einen Nachprüfungsantrag mit dem Argument ein, die Voraussetzungen für ein In-house-Geschäft lägen nicht vor, der Auftrag sei daher auszuschreiben.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer des Bundes weist den Nachprüfungsantrag zurück. Die beabsichtigte Beauftragung der Beigeladenen stelle ein vergaberechtlich zulässiges In-house-Geschäft dar.
Auch wenn der Vertragsschluss zwischen der BRD und der BwFuhrparkService GmbH erst nach Inkrafttreten des neuen Vergaberechts erfolgen wird, legt die Vergabekammer ihrer Prüfung die Rechtslage vor dem 18. April 2016 zugrunde, da es bei Auftragsvergaben ohne geregeltes Vergabeverfahren, wie im vorliegenden Fall, zeitlich auf die nach außen erkennbar gewordene Umsetzung eines internen Beschaffungsbeschlusses eines öffentlichen Auftraggebers ankommt; Voraussetzung ist, dass der öffentliche Auftraggeber über das Stadium bloßer Vorbereitungshandlungen oder Vorstudien des Marktes hinaus organisatorische und planerische Maßnahmen ergriffen hat, um einen konkreten Auftragnehmer zu ermitteln. Solche Handlungen sind hier schon vor Inkrafttreten des neuen § 108 GWB erfolgt, wie sich aus der Information an die Antragstellerin im Januar 2016 ergibt. Da die entsprechenden Regelungen in den europäischen Vergaberichtlinien, hier Art. 12 der Richtlinie 2014/24/EU, jedoch ohne Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten umzusetzen waren und Vorwirkung entfalteten, setzt sich die Vergabekammer in ihren Ausführungen detailliert mit den Voraussetzungen der neuen Normen zur In-house-Vergabe auseinander.
Die Beauftragung der BwFuhrparkService GmbH ist nach Ansicht der Vergabekammer des Bundes vergaberechtsfrei zulässig, da die erforderlichen Voraussetzungen für ein In-house-Geschäft, das heißt,
• Kontrollkriterium,
• Wesentlichkeitskriterium und
• keine direkte private Kapitalbeteiligung am Auftragnehmer,
vorliegen:
1. Kontrollkriterium
Die Antragsgegnerin, die Bundesrepublik Deutschland, übt über die BwFuhrparkService GmbH eine ähnliche Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle aus.
Maßgeblich hierfür ist nach der zu In-house-Vergaben ergangenen Rechtsprechung und den neuen Vorschriften, dass der öffentliche Auftraggeber einen ausschlaggebenden Einfluss sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wesentlichen Entscheidungen des Auftragnehmers ausübt.
Als Anhaltspunkte und Argumente für die Kontrolle und den ausschlaggebenden Einfluss des Bundes über die beigeladene BwFuhrparktService GmbH führt die Vergabekammer verschiedene Aspekte an:
• Mehrheitsanteile: Die BRD hält mit 75,1 % der Geschäftsanteile der BwFuhrparkService GmbH die eindeutige Mehrheit der Anteile.
• Bestellung der Geschäftsführung: Die Geschäftsführer der BwFuhrparkService GmbH werden durch die Gesellschafterversammlung bestellt, angestellt und gegebenenfalls abberufen.
• Weisungsbefugnis: Die Gesellschafter dürfen der Geschäftsführung Weisungen erteilen, insbesondere kann der Gesellschafter Bund geschäftsleitende Weisungen erteilen und Richtlinien für die Geschäftspolitik aufstellen.
• Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafter: Bestimmte, für die Gesellschaft der Beigeladenen besonders bedeutende Geschäfte dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Gesellschafterversammlung vorgenommen werden (z. B. Abschluss, Änderung oder Aufhebung von Unternehmensverträgen, Bestellung von Prokuristen, Erteilung und Widerruf von Generalvollmachten, endgültige Festlegung des jährlichen Geschäftsplans).
• Besetzung Aufsichtsrat: Über den Aufsichtsrat der Beigeladenen hat der Bund erhebliche Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten auf das Unternehmen. Von den insgesamt sechs Aufsichtsratsmitgliedern stammen derzeit, abgesehen von den zwei Arbeitnehmervertretern, alle Mitglieder aus einem Bundesministerium.
• Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrates: Der Aufsichtsrat entscheidet über die Aufnahme neuer Geschäftszweige oder die Aufgabe vorhandener Tätigkeitsbereiche, sowie über grundlegende Änderungen in der Unternehmens- und Konzernorganisation.
2. Wesentlichkeitskriterium
Die BwFuhrparkService GmbH ist als kontrollierte Person im Wesentlichen für die Bundesrepublik Deutschland tätig. Die Mehrheit ihrer Tätigkeiten dient der Ausführung von Aufgaben, mit denen sie von der Auftraggeberin BRD oder von einer anderen juristischen Person, die von dieser kontrolliert wird, betraut wurde.
Nach den Ausführungen der Vergabekammer sind alle Tätigkeiten der BwFuhrparkService GmbH als „inhouseunschädliches“ Eigengeschäft anzusehen, die für den Bund selbst und dem Bund zuzurechnende Stellen erbracht werden, also auch für Bundesministerien, Bundesbehörden, -anstalten und -ämter.
Anders als die Antragstellerin vorträgt, sind bei der Berechnung des Anteils der Tätigkeiten für den Auftraggeber für das Wesentlichkeitskriterium nicht nur Tätigkeiten hoheitlicher Natur, sondern auch fiskalische Tätigkeiten zu berücksichtigen. Wie die Vergabekammer zu Recht ausführt, würde die Auslegung der Formulierung „betraut wurde“ in § 108 GWB lediglich im Sinne einer Betrauung mit hoheitlichen Tätigkeiten ansonsten die Möglichkeiten der vergaberechtfreien In-house-Beauftragung erheblich einschränken, was vom Gesetzgeber bei der Schaffung der neuen Normen offenbar nicht beabsichtigt war. Auch die Ansicht, inhouseunschädliche Tätigkeiten seien nur solche, bei denen der Auftragnehmer nicht mit privaten Anbietern konkurriere, lehnt die Vergabekammer richtigerweise ab.
Als inhouseschädliche Fremdgeschäfte der Bw FuhrparktService GmbH qualifiziert die Vergabekammer daher allein die Tätigkeiten, die nicht für den Bund, sondern für „Dritte (Private)“ erbracht werden. Dies sind hier das Carsharingangebot, das auch Privatpersonen in Anspruch nehmen können, und die Entgelte, die die Beigeladene aus der Überlassung ihrer Fahrzeuge an die übrigen Mitglieder der sogenannten Fuhrpark-Gruppe erzielt. In der Fuhrpark-Gruppe arbeitet die Beigeladene auf Basis einzelner Vertragsbeziehungen in einigen Geschäftsbereichen mit anderen Unternehmen punktuell zusammen, um „Synergien zu generieren“.
Umsätze, die die Beigeladene mit dem Verkauf von nicht mehr genutzten Fahrzeugen erzielt, sind dagegen nach den Ausführungen der Vergabekammer nicht zu berücksichtigen, da es sich hierbei lediglich um außerordentliche betriebliche Vorgänge (Veräußerung von Anlagegegenständen) handele und diese Tätigkeit nicht dem eigentlichen Betriebszweck der Gesellschaft diene.
Entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Ansicht sind der BwFuhrparkService GmbH auch nicht Umsätze von den anderen Unternehmen der Fuhrpark-Gruppe zuzurechnen. Nach richtiger Auffassung der Vergabekammer sind die Umsätze dieser Unternehmen bei der Betrachtung der Umsätze der BwFuhrparkService GmbH nicht zu berücksichtigen, da es sich um unabhängige und eigenständige Unternehmen handelt. Die Tätigkeiten anderer Unternehmen seien nach Ansicht der Vergabekammer nur dann bei der Bestimmung des Fremdgeschäftsanteils einer Inhouse-Einrichtung zu berücksichtigen, wenn diese Unternehmen wirtschaftlich, rechtlich, vertraglich und personell miteinander verbunden und aufeinander angewiesen sind. Dies ist hier bezüglich der BwFuhrparktService GmbH und den weiteren Unternehmen der Fuhrpark-Gruppe jedoch nicht der Fall; die Beigeladene verfügt insbesondere über ausreichende eigene personelle und technische Kapazitäten.
Die demzufolge als Fremdgeschäfte zu betrachtenden Leistungen und Umsätze der BwFuhrparkService GmbH machen für die Jahre 2013 bis 2015 lediglich zwischen 0,01 und 0,16 % des Gesamtumsatzes aus. Der Anteil liegt somit weit unter dem gemäß § 108 GWB für Fremdgeschäfte nun zulässigen Anteil von 20 % und dem in der zuvor ergangenen Rechtsprechung als zulässig qualifizierten Anteil von ca. 10 %. Die BwFuhrparkService GmbH ist damit eindeutig im Wesentlichen für den Auftraggeber tätig, beziehungsweise dient die Mehrheit ihrer Tätigkeiten der Ausführung von Aufgaben, mit denen sie von der BRD oder von einer anderen juristischen Person, die von dieser kontrolliert wird, betraut wurde.
3. Keine direkte private Kapitalbeteiligung am Auftragnehmer
An der Auftragnehmerin, der BwFuhrparkService GmbH, besteht zudem keine direkte private Kapitalbeteiligung. Dabei ist es nach Auffassung der Vergabekammer des Bundes unschädlich, dass 24,9 % der Anteile von der DB AG, einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen, gehalten werden. Die Beteiligung eines Unternehmens in Staatsbesitz, das jedoch privatwirtschaftlich tätig ist, stellt keine inhouseschädliche private Kapitalbeteiligung dar. Mit dem nun ausdrücklich in § 108 GWB geregelten Tatbestandsmerkmal „keine direkte private Kapitalbeteiligung“ ist nach Auslegungsgrund 32 der Richtlinie 2014/24/EU lediglich die Beteiligung eines privaten Wirtschaftsteilnehmers gemeint. Zur Auslegung des Begriffs der privaten Kapitalbeteiligung hat der Europäische Gerichtshof auch Begriffe wie „privates Unternehmen“, „Privatperson“ oder „privatwirtschaftliche Einrichtung“ verwendet. Die Beteiligung eines vom Staat gehaltenen Unternehmens in lediglich privatwirtschaftlicher Organisationsform (beispielsweise GmbH oder AG, im Gegensatz zu öffentlich-rechtlichen Organisationsformen wie Körperschaft des öffentlichen Rechts, Anstalt des öffentlichen Rechts etc.) ist keine private Kapitalbeteiligung in diesem Sinne.
Hintergrund des Verbots der privaten Kapitalbeteiligung ist die Annahme, dass die Anlage von privatem Kapital in einem Unternehmen auf anderen, nämlich mit privaten Interessen zusammenhängenden Überlegungen beruht als die im öffentlichen Interesse liegenden Ziele des öffentlichen Auftraggebers. In Staatsbesitz befindliche Unternehmen haben jedoch stets öffentliche Interessen zu verfolgen, unabhängig davon, in welcher Rechtsform sie organisiert sind.
Rechtliche Würdigung
Die Vergabekammer des Bundes prüft in dieser Entscheidung die Voraussetzungen eines In-house-Geschäftes nach der neu geschaffenen Norm des § 108 GWB anhand des festgestellten Sachverhaltes schulbuchmäßig und korrekt durch. Losgelöst von dem konkreten Fall trifft sie dabei allgemeingültige Aussagen zur Auslegung der neuen Vorschrift, insbesondere zu den Begriffen „betraut wurde“ im Rahmen des Wesentlichkeitskriteriums und „private Kapitalbeteiligung“, die wichtige Hilfestellungen für die Prüfung der Inhousefähigkeit vergaberechtsfreier Beauftragungen anhand der neuen Regelung liefern.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer wurde sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf (Az. Verg 23/16) eingelegt. Es bleibt daher abzuwarten, ob das Oberlandesgericht die Ausführungen bestätigen wird.
Hinweis der Redaktion
Die Themen In-house-Vergaben und horizontale Kooperationen nach der neuen Vorschrift § 108 GWB werden im Rahmen eines Seminars der DVNW Akademie, das die Autorin Julia Gielen gemeinsam mit Herrn Dipl.-Verwaltungswirt Wilhelm Kruth am 24. November 2016 in Berlin hält, behandelt. In diesem Seminar werden die Möglichkeiten der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeiten nach d en neuen Vorschriften vorgestellt und anhand von Praxisbeispielen erläutert. Weitere Informationen und Anmeldung hier.
Julia Gielen ist Rechtanwältin bei der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) am Standort Berlin. Sie ist spezialisiert auf das Vergaberecht und das Öffentliche Wirtschaftsrecht und bildet einen Teil der Practice Group Öffentlicher Sektor. Sie berät und vertritt Auftraggeber und Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe, insbesondere im Bereich Bau, Immobilien, Infrastruktur und Informationstechnologie. Ihre Tätigkeit umfasst dabei u. a. die Verfahrens- und Vertragsgestaltung, die Vertretung in Nachprüfungsverfahren und Beschwerdeverfahren sowie die Beratung und Vertretung bei Prüfungen durch Rechnungsprüfungs- und Revisionsinstanzen. Der Beitrag gibt die persönlichen Ansichten der Autorin wieder und repräsentiert nicht unbedingt die Ansichten der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft.
Man sollte in der Tat nicht zu viel in das aus den Richtlinien übernommene Verb „betrauen“ hinein interpretieren. Es ist auch in § 105 GWB zu finden, ohne dass bisher jemand auf die abwegige Idee kam, Bau- oder Dienstleistungskonzessionen seien nur im Zusammenhang mit hoheitlichen Aufgaben der Konzessionsgebers möglich.