Kann ein Bieter im Rahmen der Angebotserstellung erkennen, dass ein Leitfabrikat den an anderer Stelle geforderten technischen Mindestanforderungen nicht entspricht, muss er dies vor Ablauf der Angebotsfrist rügen. Versäumt ein Bieter die Rüge eines solchen erkennbaren Vergaberechtsverstoßes, kann er sich im Nachprüfungsverfahren nicht darauf berufen, dass das von einem Konkurrenten angebotene Leitfabrikat nicht wegen Abweichens von den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses ausgeschlossen wurde. Denn die Fehler sind identisch.
GWB § 160 Abs. 3, Satz 1 Nr. 3
Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb die Belüftungsinstallation für eine Kläranlage europaweit aus. Für die Position Turboverdichter war ein Leitfabrikat vorgegeben. Zusätzlich enthielt das Leistungsverzeichnis technische Mindestanforderungen für den anzubietenden Turboverdichter. Die Antragstellerin gab zwei Hauptangebote ab. Eines davon enthielt, ebenso wie das Angebot der Beigeladenen auch, für die Position Turboverdichter das bezeichnete Leitfabrikat. Nach der Submission teilte die Antragstellerin dem Auftraggeber mit, dass das Leitfabrikat nicht den geforderten technischen Mindestanforderungen entspreche. Nach Gesprächen hierzu zwischen Auftraggeber, Antragstellerin, Beigeladener und dem Hersteller des Leitfabrikats teilte der Auftraggeber dennoch mit, dass beabsichtigt sei, dem Angebot der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Einen Tag nach der Bieterinformation rügte die Antragstellerin, dass das Angebot der Beigeladenen zwingend auszuschließen sei, da es von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abweiche. Denn bei der Position Turboverdichter seien mehrere technische Mindestanforderungen nicht erfüllt.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag bereits als unzulässig zurück, weil die Antragstellerin ihrer Rügeverpflichtung aus § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB nicht genügte. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des OLG Celle (Beschl. v. 31.07.2008 – 13 Verg 3/08) nimmt die Kammer einen Fall der Fehleridentität an. Der gerügte Fehler sei identisch mit dem von der Antragstellerin bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbaren Fehler. Diesen Fehler hätte die Antragstellerin bei Anwendung der üblichen Sorgfalt bei der Erstellung eines ihrer Hauptangebote, worin ebenfalls das Leitfabrikat angeboten wurde, erkennen können. Auf die Erkennbarkeit deute nach Einschätzung der Vergabekammer außerdem hin, dass die Antragstellerin bereits kurz nach der Submission auf diesen Fehler hingewiesen habe und diesen bereits einen Tag nach der Bieterinformation rügte.
Der Nachprüfungsantrag sei jedoch entgegen der Rechtsauffassung des Auftraggebers nicht wegen Treuwidrigkeit und daher fehlendem Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, weil bei einem Vorliegen des geltend gemachten Verstoßes das zweite Hauptangebot der Antragstellerin auszuschließen gewesen wäre. Treuwidrigkeit sei im Rahmen der Zulässigkeit von Vergabenachprüfungsverfahren nicht zu prüfen.
Praxistipp
Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass die Nichtbeanstandung von bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbaren Fehlern oder Widersprüchen zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags führt. Für Bieter ist es daher mit erheblichen Risiken verbunden, von einer förmlichen Rüge abzusehen, solange sich ein erkennbarer Vergaberechtsverstoß im Vergabeverfahren (noch) nicht nachteilig auswirkt. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der ursprüngliche Fehler und der vor der Vergabekammer vorgetragene Verfahrensverstoß rechtlich gleich zu bewerten sind. Maßgeblich ist, dass der Verstoß in tatsächlicher Hinsicht auf demselben Fehler des Auftraggebers beruht.
Dr. Martin Ott
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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