Mit dieser zweiteiligen Analyse widmet sich Hans-Peter Müller dem Thema: Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen. Dieser Teil 1 behandelt den Vorrang der martwirtschaftlichen Preisbildung und beleuchtet den Marktpreisbegriff im Sinne der VO PR Nr. 30/53. Den Abschluss dieses ersten Teils bildet dann die Untersuchung des Verhältnisses der Verordnung PR Nr. 30/53 zu den Regelungen des Vergaberechts. Im kommenden Teil 2 soll sodann die marktwirtschaftliche Preisbildung im Rahmen von Vergabeverfahren untersucht werden.
Der Vorrang marktwirtschaftlicher Preisbildung
Das System der sozialen Marktwirtschaft fußt auf dem Prinzip freier Märkte. Der Markt (lat.: Mercatus = Handel) ist der Ort, an dem Güter gehandelt werden. Die Wirtschaftswissenschaft bezeichnet allgemein den Markt als den Ort, an dem sich Angebot und Nachfrage nach einem Gut treffen. Dabei schreibt sie dem Markt verschiedene Funktionen zu. Unter anderem eine Versorgungs-, eine Verteilungs- sowie eine Preisbildungsfunktion.
Die Menge des Angebots und die Intensität der Nachfrage beeinflussen dabei wechselseitig das Zustandekommen eines bestimmten Preises für das nachgefragte bzw. angebotene Gut. Bei Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage spricht man von einem Marktgleichgewicht. Der unter Gleichgewichtsbedingungen zustande kommende Preis ist der Gleichgewichtspreis.
Ein solcher Gleichgewichtspreis kann sich nur bei homogenen – vollkommenen – Märkten, auf denen die Bedingungen für alle Teilnehmer identisch sind, ergeben. Anbieter erzielen auf einem gleichgewichtigen oder vollkommenen Markt keine höheren Preise als den Gleichgewichtspreis, Nachfrager können ein Gut nicht zu einem niedrigeren Preis erstehen. Es gibt nur einen Preis.[i] Die daraus zu ziehende Schlussfolgerung kann nur lauten, dass sich auf einem vollkommenen Markt jeglicher Wettbewerb erübrigt.
Die Wirklichkeit stellt sich allerdings anders dar. Ein vollkommener Markt mit einem Gleichgewichtspreis ist praktisch nicht auffindbar. Vielmehr setzt sich der Preis eines Gutes aus dem wechselseitigen Reagieren von Angebot und Nachfrage zusammen und ist marktgerecht, wenn der geforderte Preis und die angebotene Leistung zueinander in einem marktüblichen und akzeptablen Verhältnis stehen.[ii]
Von dieser Wirklichkeit ist der Verordnungsgeber ausgegangen, als er die Verordnung über die Preise bei öffentlichen Aufträgen – VO PR Nr. 30/53 erließ. Sie hat zum Ziel, für den Bereich des öffentlichen Auftragswesens den Grundsatz des Wettbewerbs ebenso durchzusetzen, wie dies im privaten Auftragsbereich erfolgt ist.[iii]
Um marktwirtschaftliche Grundsätze auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens verstärkt durchzusetzen, verlangt die Verordnung deshalb, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge vorrangig zu Marktpreisen zu erfolgen hat.[iv] Die Tatsache, dass es mit § 4 der Verordnung eine eigenständige Definition des Marktpreises gibt zeigt, dass der Verordnungsgeber keinesfalls den genannten Gleichgewichtspreis im Sinn hatte, sondern einen an der Marktwirklichkeit orientierten Preistyp schaffen wollte. Die Ausrichtung eines solchen Preistyps an dem Gleichgewichtspreis des vollkommenen Marktes wäre gemessen an dem Ziel der Verordnung, den Preis eines öffentlichen Auftrags im Wettbewerb entstehen zu lassen, sogar ein Widerspruch in sich.
Der Marktpreisbegriff im Sinne der VO PR Nr. 30/53
Der Vorrang marktwirtschaftlicher Preisbildung bedeutet allgemein, dass soweit wie immer möglich auf Preise zurückgegriffen werden muss, die sich im funktionierenden Wettbewerb herausgebildet haben. Dies gilt auch für marktmäßig zustande gekommene Bestandteile innerhalb von Selbstkostenpreisen.[v]
Der Marktpreis der Verordnung definiert sich durch zwei Grundelemente. Zum einen ist dies eine notwendigerweise vorliegende marktgängige Leistung für die es zum anderen einen im Verkehr üblichen Preis geben muss. Schon daraus lässt sich erkennen, dass der Verordnungsgeber nicht einen statischen gleichgewichtigen Markt im Sinn hatte, sondern einen an der Wirklichkeit orientierten, sich an die ständig verändernden Bedingungen anpassenden dynamischen Markt. Dies bestätigen die Richtlinien für öffentliche Auftraggeber vom 1. Juli 1955 i.d.F. vom 6. März 1961 (Beilage zum BAnz Nr. 74), geändert am 18. Juli 1962 (BAnz Nr. 142) zur Anwendung der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen in Nummer 18 Buchst. b). Dort wird festgestellt, dass der Markt in aller Regel nicht so vollkommen ist, dass sich für die gleiche Leistung ein einheitlicher Preis herausbildet; vielmehr umfasst der Begriff des verkehrsüblichen Preises eine Mehrzahl verschiedener, am Markt wiederholt gezahlter Preise.
Marktgängig ist eine Leistung, die allgemein im wirtschaftlichen Verkehr hergestellt und gehandelt wird. Voraussetzung ist ein funktionierender Markt. Ein Markt funktioniert, wenn mehrere Unternehmen unabhängig im Wettbewerb stehen und die Leistung anbieten, die auch nachgefragt wird. Nur dann ist die gewollte marktwirtschaftliche Preisbildung insgesamt überhaupt möglich.
Zwingende zweite Voraussetzung ist, dass die angebotene Leistung einen verkehrsüblichen Preis hat.[vi] Dies ist der Fall, wenn das Unternehmen über eine Mehrzahl von Umsatzakten den verlangten Preis stetig und kontinuierlich nachweisen kann. Da es in der Regel keinen vollkommenen Markt und damit keinen „Gleichgewichtspreis“ gibt, hat die Literatur das Konzept des „betriebssubjektiven Marktpreises“ entwickelt.[vii] Betriebssubjektiver Marktpreis ist der Preis, den derselbe Anbieter für gleiche marktgängige Leistungen wiederholt bei tatsächlich funktionierendem Wettbewerb auf dem Markt durchsetzen konnte.[viii] Es kommt darauf an, dass das Unternehmen seinen Preis in einer vorhandenen Konkurrenzsituation durchsetzen kann. Dabei ist es unerheblich, wie viele Nachfrager für die Leistung vorhanden sind.
Mit der Bestätigung des Konzepts des betriebssubjektiven Preises durch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 13.04.2016 wurde allen entgegenstehenden Auffassungen eine Abfuhr erteilt. Ebenfalls bestätigt hat das Bundesverwaltungsgericht, dass die Voraussetzungen zum Entstehen eines Marktpreises nach § 4 VO PR Nr. 30/53 kumulativ vorliegen müssen. Damit hat das Gericht auch hier entgegenstehende Mindermeinungen, die aus dem Vorliegen einer marktgängigen Leistung automatisch einen verkehrsüblichen schließen wollten, in die Schranken verwiesen und die herrschende Meinung in Schrifttum[ix] und Rechtsprechung[x] zu diesen Fragen bestätigt.
Das Verhältnis der Verordnung PR Nr. 30/53 zu den Regelungen des Vergaberechts
Der Notwendigkeit, neben dem Vergaberecht ein Preisrecht für das öffentliche Auftragswesen überhaupt einzuführen liegen verschiedene Faktoren zugrunde. Zunächst ist zu nennen, dass die Vorschriften der Verordnung dazu dienen sollen, den Preisstand zu wahren. Dies ergibt sich aus ihrer Rechtsgrundlage, § 2 Preisgesetz.[xi] Geht man davon aus, dass bundesweit jährlich öffentliche Aufträge im Wert von geschätzt etwa 250 – 400 Mrd. Euro vergeben werden, liegt unstreitig ein Volumen zugrunde, welches geeignet ist, den Preisstand nicht nur unmaßgeblich zu beeinflussen. Hierdurch möglichen inflationären Tendenzen wirkt die Verpflichtung zur marktwirtschaftlichen Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen entgegen.
Die Regelungen zur Vergabe öffentlicher Aufträge sind darauf ausgerichtet, ein transparentes, diskriminierungsfreies und wettbewerbliches Verfahren zu gewährleisten. Durch die hierdurch bezweckte Gleichbehandlung aller sowohl deutscher als auch grenzüberschreitender Unternehmen sollen die Märkte für öffentliche Aufträge geöffnet und allen Unternehmen gleiche Chancen auf einen öffentlichen Auftrag eingeräumt werden.
Ziel der Vergaberegeln ist es schließlich, das wirtschaftlichste Angebot, also dasjenige mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis, zu ermitteln. Dieses erhält den Zuschlag.
Es zeigt sich, dass die Vergaberegeln diejenigen Grundsätze regeln, nach denen die Auswahl des Unternehmens vorgenommen wird, welches den öffentlichen Auftrag erhalten soll.[xii] Die Vergaberegeln enthalten keinerlei Vorgaben in Bezug auf die Preisbildung an sich. Grundsätzlich ist es Auftraggebern und Unternehmen sogar untersagt, während des Vergabeverfahrens in einer Weise zu agieren oder zu reagieren, wie es im privaten Auftragswesen selbstverständlich ist. Insbesondere Verhandlungen und Anpassungen jeglicher Art sind unzulässig. Sie können sogar einen schweren Vergabeverstoß darstellen. Lediglich im Verhandlungsverfahren/Verhandlungsvergabe, welches allerdings als Ausnahmeverfahren konzipiert ist und nur bei Vorliegen gesetzlich vorgegebener Voraussetzungen gewählt werden darf, ist ein solches Verhalten von Auftraggeber und Unternehmen statthaft.
Der öffentliche Einkauf ist also Regeln unterworfen, die ein Verhalten, wie es im privaten Auftragswesen selbstverständlich ist, nahezu unmöglich machen. Vor allem diese besonderen Gründe haben den Gesetz-/Verordnungsgeber dazu veranlasst, den Wettbewerbsgedanken auf die Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen selbst auszuweiten.
[i] William Stanley Jevons, Das Gesetz der Unterschiedslosigkeit der Preise, 1871 in: The Theory of political economy.
[ii] Gick, in: Rechtsaspekte bei Preisen, 2010 LIBER, London, Berlin, m.w.N.
[iii] S. Ludwig Erhard, Geleitwort zur VO PR Nr. 30/53.
[iv] S. § 1 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53
[v] Müller/Waldmann, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, § 4 Rn 4.
[vi] So auch: BVerwG, Urteil vom 13.04.2016 – 8 C 2.15 Rn 22.
[vii] Müller/Waldmann, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, § 4 Rn 17 ff.
[viii] BVerwG, Urteil vom 13.04.2016 – 8 C 2.15 Rn 20.
[ix] So vor allem: Müller/Waldmann, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, § 4 Rn 17 ff u. 27 ff.
[x] Für viele: VG München, Urteil vom 19.06.2012 – VG 16 K 11.3887; VGH München, Urteil vom 06.11.2014-VGH 22 B 14.174.
[xi] Preisgesetz vom 10.04.1948 in der vom im BGBl Teil III, Gliederungsnummer 720-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, geändert durch Gesetz vom 18. Februar 1986 (BGBl. I S. 265).
[xii] Vgl. Richtlinien für öffentliche Auftraggeber vom 01. Juli 1955 zur Anwendung der VO PR Nr. 30/53, Nr. 6.
Hans-Peter Müller
Der Autor Hans-Peter Müller war über 20 Jahre im für die VO PR Nr. 30/53 federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für deren Inhalt und Anwendung zuständig. Zudem wirkte er maßgeblich im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2004 und 2014 in nationales Recht mit. Er ist Mitherausgeber des Standardkommentars „Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller“ zum Preisrecht und er fungierte im April 2016 als Sachverständiger des Bundes vor dem zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen eines Verwaltungsstreitverfahrens zum Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen. Mittlerweile ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Kunz Rechtsanwälte, Koblenz/Mainz.
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