Aufträge dürfen im Wege der Verhandlungsvergabe gemäß § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO nur vergeben werden, wenn die Leistung besonders dringlich ist. Dies gilt entsprechend für die Regelung bei der freihändigen Vergabe nach § 3 Abs.5 lit.g VOL/A. Eine besondere Dringlichkeit ist dann anzunehmen, wenn – so das Verwaltungsgericht Würzburg in seiner aktuellen Entscheidung – es aufgrund von unvorhersehbaren, nicht vom Auftraggeber zu vertretenen, Umständen „brennt und das Feuer gelöscht muss“. Subjektive Dringlichkeitserwägungen oder das Vorliegen einer lediglich abstrakten Gefahr reichen hierfür nicht aus.
§§ 6, 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO
Sachverhalt
Der Entscheidung liegt die Vergabe einer Ersatzvornahme zur Beseitigung von Tierkadavern in einem Mastschweinestall zugrunde. Nachdem die Betreiberin des Mastschweinestalls der Ende April 2018 erlassenen Anordnung zur Beseitigung der verendeten Mastschweine nicht nachgekommen ist, beauftragte das zuständige Landratsamt (Veterinäramt) hierfür Anfang Mai eine Firma im Wege der freihändigen Vergabe aufgrund besonderer Dringlichkeit. Die entstandenen Kosten legte es per Bescheid der Betreiberin auf, gegen den sich diese vor dem VG Würzburg wehrte.
Die Betreiberin machte geltend, dass die Vergabe fehlerhaft erfolgt sei. Eine besondere Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Ersatzvornahme habe nicht vorgelegen. Die Mastschweine seien bereits vollständig verwest, aufgelöst und verflüssigt. Der Umstand, dass die Stallungen hochmodern und versiegelt gewesen seien, habe das Austreten von Gerüchen und Keimen verhindert. Von der Rattenpopulation sei wegen der räumlichen Entfernung keine Gefährdung für die Allgemeinheit ausgegangen. Etwaige Verschlechterungen durch den Zeitaufwand bei einer öffentlichen oder zumindest beschränkten Ausschreibung, die zu einem kostengünstigeren Angebot geführt hätte, waren damit nicht zu befürchten.
Das Landratsamt führte demgegenüber im Wesentlichen aus, dass das Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz (TierNebG) die umgehende und sachgerechte Entsorgung gesetzlich fordere und diese zudem erforderlich gewesen sei, um gesundheitliche Gefahren für Mensch und Tier abzuwenden. Die besondere Dringlichkeit folge auch aus dem enormen öffentlichen Interesse aufgrund der zunehmend wärmer werdenden Witterungsverhältnisse bei fortschreitenden Verwesung der Tierkadaver.
Die Entscheidung
Die Klage der Betreiberin war neben anderen Aspekten auch im Hinblick auf die geltend gemachte fehlerhafte Vergabe vollumfänglich begründet.
Nach Auffassung des Gerichts lag die für eine Verhandlungsvergabe bzw. freihändige Vergabe erforderliche besondere Dringlichkeit weder objektiv noch sachlich nachvollziehbar dokumentiert vor.
Gemäß § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO kann ein Auftrag im Wege der Verhandlungsvergabe nur vergeben werden, wenn
Dies sei nach Auffassung des VG Würzburg nur anzunehmen, wenn es bildlich gesprochen „brennt und der Auftraggeber das Feuer rasch zu löschen hat“.
Ausgehend von diesen Vorgaben verneinte das VG bereits die Annahme einer besonderen, über eine einfache hinausgehende, Dringlichkeit. Dem insoweit beweispflichtigen Landratsamt sei es nicht gelungen, das Bestehen objektiver Dringlichkeitsgründe vorzutragen und nachzuweisen.
Das Vorliegen bzw. der unmittelbar drohende Ausbruch einer Tierseuche konnte auch nach Aussagen der Veterinärfachleute nicht festgestellt werden. Das Landratsamt hat auch nicht bewiesen, dass eine konkrete Gefahr der weiteren Verwesung der in den Ställen befindlichen Kadaver mit den zunehmend wärmer werden Witterungsverhältnisse bestand, die zu steigenden Gefahren durch Ungezieferbefall und Ausbreitung von Keimen und Bakterien geführt hätte. Nur das Vorliegen einer abstrakten Gefahr im Sinne der Verteilung von Keimen in der Umwelt sei nicht ausreichend, zumal die Kadaver schon seit längerem in den Ställen liegen. Eine eventuell sinnvolle zeitnahe Beseitigung der verendeten Mastschweine rechtfertige nicht die Annahme einer besonderen Dringlichkeit.
Hinzu komme die nicht hinreichende Dokumentation der besonderen Dringlichkeit.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des VG Würzburg beschäftigt sich im Rahmen der Prüfung der verwaltungsrechtlichen Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme intensiv mit der vergaberechtlichen Frage, wann eine besondere Dringlichkeit nach § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO vorliegt.
Das Gericht stellt zutreffend fest, dass der Begriff der besonderen Dringlichkeit aufgrund des Ausnahmecharakters der Verhandlungsvergabe restriktiv auszulegen ist. Eine die Verhandlungsvergabe rechtfertigende besondere Dringlichkeit ist danach anzunehmen, wenn
Die Gründe, auf die die Verhandlungsvergabe gestützt wird, sind vom öffentlichen Auftraggeber zu beweisen und ausführlich zu dokumentieren. Das Gericht betont in diesem Zusammenhang, dass die ungenaue oder unvollständige Dokumentation des Auftraggebers zu einer Beweislastumkehr führen kann.
Praxistipp
Auch wenn beim Lesen des nicht immer appetitlichen Sachverhalts nachvollziehbar ist, dass eine schnelle Kadaverbeseitigung wegen der Geruchsbelästigung und der Schädlingsbekämpfung durchaus sinnvoll war, zeigt die Entscheidung zugleich, dass dies nicht der Maßstab für die besondere Dringlichkeit ist. Es muss eine konkrete unmittelbare Gefahr drohen, die ein rasches Handeln erfordert.
Auftraggeber müssen diese Voraussetzungen sorgfältig prüfen und beweiskräftig dokumentieren, da eine fehlerhafte Verhandlungsvergabe auch ein erhebliches Kostenrisiko birgt. Denn das Landratsamt musste vorliegend neben den Gerichtskosten die Kosten der Ersatzvornahme in vollem Umfang tragen. Zwar sah das VG Würzburg, dass selbst bei rechtmäßigem Verhalten die Betreiberin einen Teil hätte zahlen müssen. Eine Teilbarkeit der Kosten lehnte es aber mit dem Argument ab, dass die Höhe der Kosten unter Einhaltung der Vergabevorschriften nicht mehr verlässlich rekonstruiert werden könne.
Bei „Grenzfällen“ sollte deswegen immer auf die beschränkte Ausschreibung zurückgegriffen werden, zumal sich die zeitliche Komponente bei den nationalen Angebotsfristen im Hinblick auf die Regelung in § 13 Abs. 1 UVgO mit „angemessenen Fristen“ durchaus flexibel handhaben lässt.
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Rechtsanwältin Dr. Jana Dahlendorf verfasst.
Dr. Jana Dahlendorf ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei SammlerUsinger Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Berlin. Sie berät öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren ebenso wie Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt sie ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen.
Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
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