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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 09/12/2019 Nr. 42870

The one – the only? Die Grenzen der Ein-Hersteller-Strategie (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.10.2019 – VII-Verg 66/18)

EntscheidungBei einer Ausschreibung für ein digitales Alarmierungssystem hat das OLG Düsseldorf klare Grenzen für Produktvorgaben gezogen. Zudem ordnet es die Errichtung eines digitalen Alarmierungssystems als Liefer- und Dienstleistungsauftrag und nicht als Bauauftrag ein.

 

§ 97 Abs. 2, § 103 Abs. 3, § 110 GWB, § 7 Abs. 2 VOB/A, § 31 Abs. 1,6 VgV

Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb einen Auftrag zur Errichtung eines flächendeckenden digitalen Alarmierungssystems für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr mit einem geschätzten Auftragswert von ca. 2,3 Mio. Euro aus. Der Auftrag sollte national als Bauleistung unter Anwendung der VOB/A vergeben werden.

Das Leistungsverzeichnis enthielt zahlreiche Produktvorgaben zugunsten des Herstellers Swissphone. Die „Ein-Hersteller-Strategie“ begründete die Auftraggeberin mit der angestrebten Kooperation der Alarmierungstechnik mit den benachbarten Landkreisen. Sie begründet dies im Einzelnen damit, dass sie über ein mit dem System der Nachbarkreise „typenkompatibles System“ verfügen müsse, um sicherzustellen, dass die Bearbeiter an allen Standorten ihre gewohnte Umgebung, d.h. ihre Bildschirmmasken und spezifischen Daten wiederfänden. Die andernfalls notwendigen Bedienungsschulungen ließen sich „organisatorisch nicht auch noch zusätzlich zu den ohnehin regelmäßig anstehenden Schulungen zur eigenen Technik realisieren“. Eine homogene Technik mit redundanten Bedieneroberflächen sei erforderlich, da bei fehlerhafter Alarmierung der Einsatzkräfte eine Gefahr für Leib und Leben der Bevölkerung ausgehen könne. Die herstellerspezifischen Anforderungen an die digitalen Meldeempfänger seien wegen der schwierigen Topografie im abzudeckenden Gebiet nötig.

Ein Bieter hat die Produktvorgaben als wettbewerbsverzerrend gerügt. Er führt zudem an, die zu erbringenden Leistungen seien als Liefer- und Dienstleistungsauftrag im EU-weiten Vergabeverfahren losweise auszuschreiben. Nachdem seiner Rüge nicht abgeholfen wurde, wehrt er sich im Nachprüfungsverfahren.

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf bestätigt größtenteils die Rechtsauffassung des Bieters.

Zum Einen bejaht es die Auffassung, dass der Auftrag EU-weit als Liefer- und Dienstleistung hätte ausgeschrieben werden müssen. Für die Auslegung, ob es sich um eine Bauauftrag oder Dienstleistungsvertrag handelt, kommt es – so das OLG – auf den funktionalen Zusammenhang und die wesentlichen vorrangigen Verpflichtungen aus dem Auftrag an. Bei dem digitalen Alarmierungssystem sind zwar neben den Elementen der Lieferung bei den Meldeempfänger und der Dienstleistung mit Service und Schulung auch die Errichtung von Antennenmasten als Bauelement enthalten. Der Schwerpunkt des Vertrags ist aber die Bereitstellung eines flächendeckenden digitalen Funk-Netzes, zu der die Lieferung der Hard- und Softwarekomponenten sowie Dienstleistung benötigt wird. Der Anteil der Bauleistungen im Rahmen von Montagsleistungen und geringfügigen Eingriffen stellt dabei eine untergeordnete Nebenleistung dar.

Zum Anderen teilt es ebenso die Ansicht, dass die vorliegende Beschränkung auf Produkte des Herstellers Swissphone sachlich nicht gerechtfertigt und damit wettbewerbsverzerrend ist.

Das OLG führt grundsätzlich aus, dass die Leistungsbeschreibung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 VgV, § 7 Abs. 2 VOB/A so zu erstellen ist, dass allen Unternehmen der gleiche Zugang zum Vergabeverfahren gewährt wird. Es darf deswegen nur dann auf bestimmte Produkte  bzw. wie vorliegend auf einen Hersteller verwiesen werden, wenn dies durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist (§ 31 Abs. 6 S. 1 VgV, § 7 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A). Der Auftraggeber muss dabei nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angeben, die Bestimmung muss also willkürfrei getroffen worden sein, die Gründe müssen tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sein und andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminieren. Bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, steht der Vergabestelle zwar ein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung muss aber nachvollziehbar begründet und dokumentiert sein.

Eine Produktvorgabe aus technischen Gründen bejaht das OLG Düsseldorf unter Berücksichtigung der aufgeführten Punkte immer dann als sachlich gerechtfertigt, wenn im Interesse der Systemsicherheit und Funktion Risikopotentiale (Risiko von Fehlfunktionen, Kompatibilitätsproblemen) wesentlich verringert werden.

Genau diese Vorgaben sieht es vorliegend als nicht erfüllt bzw. als nicht nachgewiesen an. Im Hinblick auf die gewünschte Kooperation mit den anderen Landkreisen kann das Gericht keine Inkompatibilität feststellen. Denn die Verbindung von zwei Funksystemen unterschiedlicher Hersteller erfordert zwar die Nutzung von Schnittstellen des Herstellers Swissphone. Voraussetzung für eine solche Nutzung ist die Zustimmung von Swissphone und die Zahlung einer Lizenzgebühr. Dass eine solche Zustimmung/Lizenz von Swissphone nicht zu erlangen ist, wurde nicht dargelegt. Eben so wenig ist eine bereichsübergreifende Alarmierung – auch nach Auffassung der Auftraggeberin – zwingend von identischer Alarmierungstechnik in beiden Kreisgebieten abhängig, sondern bedürfe weiterer Maßnahmen. Dass diese Maßnahmen einen unverhältnismäßigen Mehraufwand oder nicht hinnehmbare Beeinträchtigungen der Funktionalität nach sich zögen, sei nicht nachgewiesen. Auch bei der Verschlüsselungstechnik und bei der topgrafischen Lage mangelt es an einer Begründung, warum die Produkte des Herstellers  Swissphone nicht in der Lage sind, die Verschlüsselungssysteme anderer Hersteller zu unterstützen bzw. dass Endgeräte mit geringerer Empfindlichkeit die notwendige Feldverstärkung im Versorgungsgebiet nicht leisten können. Das dargestellte Ausfallszenarium im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedienoberflächen und den Umstellungsaufwand weist es als substanzlos zurück, da völlig unklar bleibt, wodurch sich die Bedienoberflächen unterscheiden und welcher Umstellungsaufwand tatsächlich erforderlich wäre. Nur ein Umstellungsaufwand rechtfertigt eine Ausnahme von dem Gebot der produktneutralen Ausschreibung nicht.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung grenzt klar ab, wann eine Leistung als Bauauftrag oder als Liefer- und Dienstleistungen einzuordnen ist und stellt in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf noch einmal anschaulich dar, wie die Anforderungen für eine sachliche Rechtfertigung bei technischen Produktvorgaben festgestellt werden müssen.

Letztendlich scheitert die Produktvorgabe vorliegend größtenteils nicht an den vorgetragenen Rechtfertigungsgründen selbst, sondern daran, dass die angegebenen Gründe nicht hinreichend hinterfragt und nachgewiesen worden sind.

Praxistipp

Technische Produktvorgaben sind durchaus möglich. Allerdings reichen dafür allgemeine technische und/oder wirtschaftliche Erwägungen, die sinnvoll, aber nicht zwingend sind, nicht aus. Auch wenn eine Markterkundung nicht erforderlich ist, müssen die Gründe für Produktvorgaben deswegen immer detailliert überprüft, nachgewiesen und entsprechend dokumentiert werden.

Monika Prell

Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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