Juristen beschäftigen sich bekanntermaßen ungern mit mathematischen Sachverhalten, bei der vergaberechtlichen Angebotswertung lassen sich diese jedoch nicht umgehen. Diesem Tenor folgt auch der Generalanwalt Michal Bobek in seinen Schlussanträgen vom 28.05.2020. Im Rahmen dieses Vorabentscheidungsverfahrens muss sich der Gerichtshof, wie bereits in einer am gleichen Tag ergangenen Entscheidung (Urt. v. 28.05.2020 – Rs. C-796/18, vgl. ), mit der Definition des öffentlichen Auftrags i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 RL 2014/24/EU und der Entgeltlichkeit befassen. Im Ergebnis geht es um einen der Grundstein des Anwendungsbereichs des Vergaberechts. Die zweite Vorlagefrage eröffnet in Anknüpfung daran den Bereich der ungewöhnlich niedrigen Angebote, die im deutschen Recht in § 60 VgV geregelt sind.
Die Schlussanträge stellen eine klare Marschroute auf, allerdings ist vorerst unklar, ob der Gerichtshof diesen Weg folgen wird.
Art. 2 Abs. 1 Nr. 5, Art. 69 RL 2014/24/EU; vgl. § 103 Abs. 1, GWB § 20 VgV
Leitsatz
Sachverhalt
Den Vorlagefragen liegt eine Ausschreibung des slowenischen Innenministeriums für die Vergabe des Zugangs zu einem Rechtsinformationssystem für 2 Jahre zugrunde. Obwohl der geschätzte Auftragswert unterhalb der Schwelle lag, war nach slowenischem Recht der Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet. Für das gegenständliche Los wurden zwei fristgerechte Angebote eingereicht. Das Angebot der Rechtsbehelfsführerin im Ausgangsverfahren gab einen Preis von 0 € (in Worten: Null Euro) an. Dies stehe im Widerspruch zu den Vergabevorschriften und wurde deshalb von der Auftraggeberin abzulehnen. Zur Begründung verwies diese darauf, dass mangels Entgeltlichkeit bei einer Bezuschlagung gar kein öffentlicher Auftrag zustande kommen könnte. Die Bieterin machte geltend, sie habe ein Recht zur freien Gestaltung des Angebotspreises und würde als Gegenleistung für die Auftragsausführung Zugang zu einem neuen Markt erhalten. Das befasste slowenische Gericht hat dem Gerichtshof zwei Fragen zur Auslegung vorgelegt:
1. Ist die „Entgeltlichkeit des Vertragsverhältnisses“ als Merkmal eines öffentlichen Auftrags im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 gegeben, wenn der öffentliche Auftraggeber zwar zu keiner Gegenleistung verpflichtet ist, der Wirtschaftsteilnehmer jedoch mit der Auftragsausführung Zugang zu einem neuen Markt und zu Referenzen erlangt?
2. Ist es möglich bzw. erforderlich, Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass er die Grundlage für die Ablehnung eines Angebots zu einem Preis von null Euro darstellt?
Die Schlussanträge
Zuerst geht der Generalanwalt auf die Frage ein, ob ein Angebot i.H.v. 0 € zum Abschluss eines entgeltlichen Vertrages führen kann, so dass ein öffentliche Auftrag vorliegt. Dies ist erforderlich, damit der Anwendungsbereich des Vergaberechts überhaupt eröffnet ist.
Der Generalanwalt bemüht die klassischen Auslegungsmethoden, um sich dem Inhalt des entgeltlichen Vertrages zu nähern. Wortlaut und Systematik des Unionsrechts seien insoweit nicht klar, so dass auf die bisherige Rechtsprechung zurückzugreifen sei. Eine enge Auslegung, wonach eine Vergütung gezahlt werden müsste, sei demnach abzulehnen. Vielmehr arbeitet der Generalanwalt drei Voraussetzungen heraus: (1) es bedarf einer Gegenleistung von bestimmtem wirtschaftlichen Wert (2) welche aus dem Vertrag hervorgehen und (3) unmittelbar rechtlich durchsetzbar sein müsse. Diese Gegenleistung müsse nicht finanzieller Art sein und auch nicht der Höhe nach kostendeckend sein. Im Ergebnis sei eine synallagmatische Verknüpfung, in Abgrenzung zur einseitigen Verpflichtung zu fordern.
Da es im zugrundeliegenden Fall nicht zum Zuschlag kam, fehle es zwar an einer vertraglichen Regelung, welche zur Auslegung herangezogen werden könne, allerdings sei keine rechtlich durchsetzbare Gegenleistung erkennbar. Die gewonnene Erfahrung könne als einfache rechtliche Tatsache ihrer Natur nach bereits keine Gegenleistung des Auftraggebers sein. Auch die Referenz aus der Auftragserfüllung sei lediglich eine zufällige und ungewisse Bedingung, auf welche der Bieter jedenfalls keinen durchsetzbaren Anspruch aus dem Vertrag habe. Gleiches gelte für einen guten Ruf und bessere Chancen bei künftigen Vergaben.
Die zweite Vorlagefrage beschäftigt sich mit den Rechtsfolgen dieser Einordnung und der Frage, auf welcher Grundlage ein Ausschluss von Angeboten, die mit 0 € bepreist sind und keine andere Gegenleistung beinhalten, möglich sein soll.
Das vorlegende Gericht bezieht sich dabei primär auf den Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 RL 2014/24/EU, während der Generalanwalt vor allem auf den vom Auftraggeber auch geprüften Art. 69 RL 2014/24/EU eingeht. Insofern sei auch ein 0 €-Angebot anhand der Regeln für ungewöhnlich niedrige Angebote zu prüfen, sofern nicht von vornherein offensichtlich keinerlei Gegenleistung vorläge. Dies sei jedoch selbst bei einem 0 € Angebot nicht der Fall, da entsprechend der Antwort auf die erste Frage auch nicht finanzielle Gegenleistungen in Betracht kommen. Im Ergebnis spräche vieles dafür, ein nominales Angebot von 0 €, genauso wie eines über 10 € an den Vorschriften über ungewöhnlich niedrige Angebote zu messen. Insofern würde die Prüfung anhand des Art. 69 RL 2014/24/EU erfolgen und eine Ausschlussentscheidung auf der Argumentation fußen, dass mit dem Angebot kein entgeltlicher Vertrag zustande kommen könnte.
Rechtliche Würdigung
Der entgeltliche Vertrag ohne Geld
Die Beantwortung der ersten Frage zur Auslegung des entgeltlichen Vertrages vermag nicht zu überraschen. Der Generalanwalt schließt sich hier der einschlägigen Rechtsprechung an. Insbesondere das am gleichen Tag ergangene Urteil des EuGH (Rs. C-796/18), auf dessen Schlussanträge der Generalanwalt auch verweist, folgt derselben Linie. Dabei hat ein öffentlicher Auftraggeber dem anderen eine Software kostenfrei zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug wurde jedoch die gegenseitige Verpflichtung vereinbart, sich etwaige Weiterentwicklungen abermals kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Obwohl dies in zwei verschiedenen Verträgen vereinbart wurde und kein Geld fließen sollte, nahm der EuGH einen entgeltlichen Vertrag an, da die (verpflichtenden) Weiterentwicklungen jedenfalls eine Gegenleistung von gewissem wirtschaftlichen Wert sei. Dazu passt es entsprechend, auch bei Angeboten mit einem Nominalwert von 0 € den Anwendungsbereich des entgeltlichen Vertrages nicht per se für geschlossen zu halten. Die Gegenleistung kann also variable Formen einnehmen, muss allerdings synallagmatisch mit dem Auftrag verbunden sein. Beide Aussagen legen also den Schluss nahe, bei öffentlichen Aufträgen müsse es sich immer um synallagmatische, also gegenseitige Verträge handeln.
Vergaberechtliches Schenkungsverbot durch Bindung an Beauftragungsabsicht?
Insofern stellt sich die Frage, ob sich öffentliche Auftraggeber nichts schenken lassen dürfen oder dies nur nicht unter das Vergaberecht fällt. Allerdings sind Geld- und Sachschenkungen von Privatpersonen an Kommunen keine Seltenheit. Insofern muss das Problem hier im Vergaberecht liegen. Hinsichtlich einer OLG Entscheidung zu Minuspreisen wurde dafür in den Raum geführt, dass bei einer Bepreisung mit 0 € aus dem Auftrag eine Schenkung würde, was wiederum eine Änderung der Vergabeunterlagen darstelle. Ein Ausschluss könnte also im deutschen Vergaberecht auch auf § 53 Abs. 7 S. 1 VgV begründet werden. Mithin muss der eingeschlagene Weg zu Ende gegangen werden.
Hat der öffentliche Auftraggeber mithin Pech gehabt, wenn er sich für eine Ausschreibung entscheidet und später erfährt, dass er die Leistung auch geschenkt bekommen hätte? Haushaltsgrundsätze und die Wirtschaftlichkeit sprechen jedenfalls eindeutig dagegen Schenkungen abzutun. Möchte der Auftraggeber den einmal beschrittenen Weg zur Auftragsvergabe verlassen, bleibt ihm eigentlich nur die Aufhebung. Um sich nicht in erheblichem Umfang schadensersatzpflichtig zu machen, muss allerdings ein Aufhebungsgrund nach § 63 VgV gegeben sein. In Frage kommt, sofern es weitere Angebote mit Preis gäbe, wohl nur § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV andere schwerwiegende Gründe. Dieser eng auszulegende Ausnahmetatbestand kann auch aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen einschlägig sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.12.2006 VII-Verg 54/06). In so gelagerten Fällen wäre eine Aufhebung also denkbar unter Verweis darauf, dass sich nachträglich herausgestellt hat, dass es eine erheblich kostengünstigere Möglichkeit gibt, die ausgeschriebene Leistung zu bekommen.
Sind 0 € noch ungewöhnlich niedrig?
Die Einordnung des 0 € Angebots erscheint richtig, auch der nominale Betrag von 0 € ist im Verhältnis zum Auftragsgegenstand wohl ungewöhnlich niedrig. Der Generalanwalt scheint hier nahelegen zu wollen, dass dies immer der Fall sei. In der Tat ist es schwer vorstellbar, in welcher Konstellation ein Auftrag mit 0 € nicht im Missverhältnis zum Auftragsgegenstand erscheint. Allerdings wurde zuvor festgehalten, dass die wirtschaftliche Gegenleistung eben auch nicht finanzieller Art sein kann. Der Wortlaut des § 60 VgV bezieht sich hingegen nur auf den Preis und die Kosten, mithin nur auf den finanziellen Teil der Gegenleistung. Demnach erscheint die Annahme des Generalanwalts wiederum gerechtfertigt. Der § 60 VgV setzt insofern eine dreistufige Prüfung voraus. In der ersten Stufe der Einordnung des Angebots als ungewöhnlich niedrig würde ein 0 €-Angebot also immer geprüft werden müssen. Erst in der zweiten Stufe der Abwägung wären die nicht finanziellen Aspekte zu berücksichtigen, worauf im dritten Schritt dann auch die Entscheidung über einen Ausschluss basiert.
Ausschlusspflicht oder nicht?
Der Generalanwalt geht in seiner Darstellung leider nicht auf die Frage ein, ob ein Auftraggeber sich auch dazu entschließen dürfte ein Angebot zu bezuschlagen, dass keine Entgeltlichkeit aufweist.
Der § 60 VgV als Umsetzung des Art. 69 RL 2014/24/EU räumt dem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich Ermessen über die Ausschlussentscheidung ein. Eine Pflicht zum Ausschluss ist nur bei Verstößen gegen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Vorschriften vorgesehen.
Der Generalanwalt führt einige Gründe ins Feld, warum ein Auftraggeber geneigt sein könnte sich für den Ausschluss zu entscheiden. Transparenz, Korruptionsbekämpfung, erhöhtes Risiko und Verdrängungsproblematiken seien entsprechend zu berücksichtigen. Hieraus lässt sich vielleicht die Motivation hinter den Ausführungen erkennen.
Der öffentliche Auftraggeber wird allerdings auch geneigt sein, ein eben besonders niedriges Angebot annehmen zu wollen, sofern die Seriosität und Zuverlässigkeit des Bieters seines Erachtens gegeben sind. Neben den hier vom Bieter ins Feld geführten Aspekte des Marktzugangs und der Referenzen sind insofern auch altruistische Motive, die Förderung des eigenen Ansehens oder Lerneffekte denkbar. Demnach können auch zuverlässige Bieter geneigt sein ein 0 €-Angebot abzugeben. Diesen ist nach den Anträgen entsprechend der vorherrschenden Praxis zu empfehlen, jedenfalls mindestens eine symbolische Bepreisung i.H.v 1 € anzugeben.
1 = 0 oder 1 0?
Wirtschaftlich betrachtet gibt es im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe kaum tragfähige Gründe, Angebote über 0 € anders zu behandeln als Angebote über 1 €. Aus den Anträgen des Generalanwalts ist für diese Distinktion nur das Entfallen eines entgeltlichen Vertrages und die damit wohl verbundene Änderung der Vergabeunterlagen als Argument zu entwickeln. Ob dies überzeugt, wird der EuGH klären.
Neele Schauer ist seit 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei FPS Fritze Wicke Seelig, Frankfurt am Main im Bereich des Vergaberechts tätig. Zusammen mit Dr. Annette Rosenkötter, Aline Fritz und Tim Kuhn hat sie bereits zahlreiche Veröffentlichungen, insbesondere zur Sektorenverordnung und im Bereich der Verteidigung und Sicherheit, publiziert.
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