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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 23/11/2020 Nr. 45689

Abfrage der technischen Ausrüstung eines Unternehmens zum Beleg der Versorgungssicherheit: Eignungs- oder Zuschlagskriterium? (OLG Rostock, Beschl. v. 12.08.2020 – 17 Verg 2/20)

EntscheidungDer Vergabesenat des Oberlandesgerichts Rostock befasste sich gleich mit mehreren interessanten vergaberechtlichen Fragen rund um die Versorgungssicherheit betreffend Rettungshubschrauberleistungen. So geht es in dem Beschluss um die Abgrenzung von Eignungs- und Zuschlagskriterien und um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Gesamtflottenstärke eines Bieters ein zulässiges Zuschlagskriterium sein kann. Ebenfalls stellte sich die Frage der Zulässigkeit des Verbots des Einsatzes von Unterauftragnehmern. Die Entscheidung betraf eine Konzession, dürfte aber für alle Vergaben relevant sein, bei denen die Versorgungssicherheit eine Rolle spielt, insbesondere im Bereich der sog. Daseinsvorsorge.

GWB § 46, § 97, § 127; 152

Leitsatz

  1. Die Abgrenzung von Eignungs- und Zuschlagskriterien erfolgt danach, ob sie im Schwerpunkt die Leistungsfähigkeit und fachliche Eignung des Bieters oder die Wirtschaftlichkeit des Angebots betreffen.
  2. Der Eigenbetrieb von Hubschraubern kann danach ein zulässiges Zuschlagskriterium sein, wenn aufgezeigt wird, dass er das Ausfallrisiko reduziert.
  3. Die Gesamtflottenstärke eines Bieters lässt ohne weitere Regelungen einen Bezug zur Ausfallsicherheit nicht erkennen und ist deshalb kein nach § 152 Abs. 3 Nr. 2 GWB zulässiges Zuschlagskriterium.

Sachverhalt

Das Land Mecklenburg-Vorpommern beabsichtigte für das Versorgungsgebiet des Landes eine Konzession zur Durchführung von Intensivtransporten im Rettungsdienst mit einem Intensivtransporthubschrauber für die Dauer von vier Jahren zu vergeben. Ein Bieter fühlte sich durch zwei Zuschlagskriterien diskriminiert: Zum einen durch das Zuschlagskriterium Hubschraubergestellung. Dort konnte ein Bieter mehr Punkte erreichen – nämlich 50 -, wenn er die Hubschrauber selbst stellt, aber nur 30, wenn er diese über Partnerunternehmen stellt. Der Bieter war auf Partnerunternehmen angewiesen. Zum anderen bemängelte der Bieter ein Zuschlagskriterium, nach dem die Anzahl an Hubschraubern an anderen Standorten bewertet und einer Bepunktung zugeführt wurde: Ab fünf vorhandenen Hubschraubern gab es zwei, ab zehn vier, ab 15 sechs und ab 20 acht Punkte. Bei diesen Zuschlagskriterien, so der Bieter, handele es sich um Eignungskriterien, die nicht für die Wertung der Wirtschaftlichkeit des Angebots herangezogen werden durften. Weiterhin monierte der Bieter das vom Auftraggeber vorgeschriebene Selbstausführungsgebot, das ihn ebenfalls benachteiligen würde.

Der Auftraggeber hielt dagegen, dass eine möglichst große Gesamtflotte dem Zwecke der Versorgungssicherheit diene. Es handele sich um leistungsbezogene und damit zulässige Zuschlagskriterien. Auch der Ausschluss eines Subunternehmereinsatzes diene der Ausfallsicherheit.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer folgte noch der Argumentation des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Der Vergabesenat hob die Entscheidung der Vergabekammer in der zweiten Instanz jedoch auf und ordnete die Neuwertung der Angebote an. Der Nachprüfungsantrag sei nämlich begründet, soweit er sich gegen das Bewertungskriterium der Gesamtflottenstärke richte. Dabei könne dahinstehen, ob Eignungs- und Zuschlagskriterien unzulässig vermischt würden. Denn das Kriterium der Gesamtflottenstärke würde unabhängig davon rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten, weil es nicht mit dem Konzessionsgegenstand in Verbindung stehe (§ 152 Abs. 3 Satz 2 GWB). Aus der konkreten Ausschreibungsgestaltung folge, dass der Einsatz von Hubschraubern von anderen Standorten aus am ausschreibungsgegenständlichen Standort rechtlich und auch tatsächlich nicht gesichert und damit letztlich vage sei.

Das Zuschlagskriterium, das die Zahl an eigenen Hubschraubern vor Ort höher honoriert, sei hingegen nicht zu beanstanden. Eine unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterium läge nicht vor. Entscheidend sei, ob die betreffenden Kriterien schwerpunktmäßig im Wesentlichen mit der Beurteilung der Leistungsfähigkeit und der fachlichen Eignung der Bieter für die Ausführung des betreffenden Auftrags (§§ 122 Abs. 1, 152 Abs. 2 GWB) oder mit der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots zusammenhängen. Die Prüfung der Eignung diene dabei dazu, diejenigen Bieter zu ermitteln, die zur Erbringung der konkret nachgefragten Leistung nach Fachkunde und Leistungsfähigkeit generell in Betracht kommen, und die unzureichend qualifizierten Bieter auszusondern. Sie dient nicht der Ermittlung qualitativer Unterschiede zwischen den einzelnen Bewerbern. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung bezieht sich dagegen nicht auf die konkurrierenden Unternehmen, sondern auf ihre Angebote.

Unterstelle man die Prognose des Landes, der Eigenbetrieb der Hubschrauber durch den Bieter selbst ohne Subunternehmereinsatz reduziere das Ausfallrisiko, als richtig, betrifft dies jedenfalls im Schwerpunkt die Qualität dessen, was der Bieter an Leistung anbieten kann bzw. angeboten hat. Diese Prognose sei vom Beurteilungsspielraum des Landes gedeckt. Das Gericht dürfe nur überprüfen, ob dessen Grenzen überschritten wurden, was zu verneinen sei. Es lasse sich nicht von der Hand weisen, dass mit der Einschaltung eines Subunternehmers jedenfalls abstrakt eine Kumulierung von Insolvenzrisiken einhergeht, die sich potentiell als zusätzliches Ausfallrisiko erweisen kann. Dass sich der Einsatz eines Subunternehmers hinsichtlich der Frage der Ausfallsicherheit in einzelnen Hinsichten auch neutral oder sogar umgekehrt risikoeinschränkend auswirken kann, wie der Bieter meint, falle nicht ausschlaggebend ins Gewicht. Das Land durfte und musste insoweit im Ergebnis selbst bei Zugrundelegung des vorstehenden Ansatzes eine Abwägungsentscheidung treffen, die mit Blick auf das vorstehend Ausgeführte jedenfalls nicht unvertretbar erscheint.

Rechtliche Würdigung

Man könnte ja meinen, das Trennungsgebot oder Vermischungsverbot in Bezug auf Eignungs- und Zuschlagskriterien sei ein alter Schuh. Dem ist aber schon deshalb nicht so, da auch das zuletzt 2016 novellierte Gesetz bei Eignungskriterien nicht nur allgemein auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens abstellt, sondern konkrete Bezüge zur Leistungserbringung enthält. So heißt es in § 46 Abs. 3 VgV:

– Angabe der technischen Fachkräfte oder der technischen Stellen, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung eingesetzt werden sollen;

– Angabe des Lieferkettenmanagement- und Lieferkettenüberwachungssystems, das dem Unternehmen zur Vertragserfüllung zur Verfügung steht;

– Erklärung, aus der ersichtlich ist, über welche Ausstattung, welche Geräte und welche technische Ausrüstung das Unternehmen für die Ausführung des Auftrags verfügt.

Darüber hinaus gibt es § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV, wonach das Personal, das für die Leistung eingesetzt werden soll, unter bestimmten Voraussetzungen als Zuschlagskriterium abgefragt werden kann. Mit der gleichen Festlegung könnte diese Anforderung aber auch als Eignungskriterium festgelegt werden, so zumindest die Meinung der Vergabekammer des Bundes (Beschluss vom 24.01.2020 – VK1 97/19).

Meines Erachtens hilft es, dass man sich nochmal vor Augen führt, was dieses für Vergaberechtsfremde zunächst seltsam anmutende Trennungsdogma eigentlich bezweckt: Es dient der Förderung des Mittelstandes. Ohne das Trennungsgebot könnte ein Unternehmen, das über sehr viel Personal, über etliche Standorte und eine beachtliche technische Ausrüstung verfügt, auf der Zuschlagsebene immer die kleinen Unternehmen abhängen, vorausgesetzt, solche Leistungsmerkmale werden auch bewertet. Auf der Ebene des Zuschlags darf es jedoch nur darum gehen, wie ein Unternehmen die konkrete Leistung, am spezifischen Ort und mit seinem für die Leistung konkret einzusetzenden Personal und seinen technischen Mitteln erbringt.

Schwieriger wird es freilich, wenn die Qualität und Quantität des Personals und der technischen Mittel (auch) für die Leistungserbringung relevant sind. Dies könnte etwa zum Zwecke der Versorgungssicherheit der Fall sein, wenn etwa Personal oder technische Mittel an einem Standort ausfallen und nahtlos Ersatz bereitstehen muss. Allerdings muss der Auftraggeber begründen, warum er die Versorgungssicherheit zum Zuschlagskriterium erhebt und es daher auch auf die Anzahl an technischer Ausrüstung ankommt. Dieses Begründungserfordernis folgt zum einen daraus, dass Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und diese so festgelegt und bestimmt sein müssen, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet ist (§§ 152 Abs. 3 Nr. 2 GWB, 127 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 GWB; § 43 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 UVgO). Zum anderen folgt dies auch aus dem Grundsatz, dass mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen sind (§ 97 Abs. 4 S. 1 GWB; § 2 Abs. 4 UVgO).

Daraus folgt, dass der Aspekt der Versorgungssicherheit sachlich begründet sein muss. Der Grund darf nicht nur vorgeschoben sein, sondern muss belegt werden. Im Rahmen der Prüfung ist auch zu berücksichtigen, dass der Auftragnehmer vertraglich zur Leistung verpflichtet ist. Der Auftraggeber muss also ein erhöhtes Interesse daran haben, sich bereits im Vergabeverfahren belegen zu lassen – und dies auch zum Zuschlagskriterium zu erheben -, dass der Bieter über die Ausrüstung zur Gewährleistung einer erforderlichen Versorgungssicherheit auch tatsächlich selbst verfügt. Ähnlich wie eine Wertung des eingesetzten Personals voraussetzt, dass das Personal einen erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben muss (vgl. § 43 Abs. 2 Nr. 2 UVgO; § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV), muss auch die Festlegung und Wertung der Versorgungssicherheit und eine damit einhergehende Einschränkung der oben genannten vergaberechtlichen Prinzipien im Einzelfall gerechtfertigt sein.

Dies dürfte vor allem zur Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (z.B. Rettungsdienste, Abfallentsorgung), Daseinsvorsorge und bei kritischen Dienstleistungen nach § 1 Nr. 3 BSI-Kritisverordnung der Fall sein. Im Anwendungsbereich der VSVgV ist die Versorgungssicherheit in § 8 explizit aufgenommen, so dass dort die Begründungsanforderungen geringer sein dürften als im Anwendungsbereich etwa der VgV oder UVgO.

Weiterhin gilt, dass ein Unternehmen grundsätzlich die Möglichkeit erhalten muss, die Versorgungssicherheit durch Partnerunternehmen nachzuweisen. Die Abwertung bei der Punktevergabe in solchen Fällen oder gar ein Subunternehmerverbot sind Ausnahmen, die begründet werden müssen. Die Entscheidung des Vergabesenats darf also auf keinen Fall verallgemeinert werden. Hierauf weist auch der Vergabesenat hin: Jedenfalls im Rahmen der hier in Rede stehenden rettungsdienstlichen Leistungen kommt dem Gesichtspunkt der Ausfallsicherheit eine herausgehobene Bedeutung nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Verpflichtung des Staates zum Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu, die den vorliegend streitbegriffenen Inhalt der Bewertungsmatrix rechtfertigen.

Praxistipp

Möchte ein Auftraggeber die Quantität (Anzahl) der technischen Ausrüstung anhand einer Punkteskala zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots bewerten, hat er Folgendes zu beachten:  Die Anzahl der Ausrüstungen muss unmittelbar für die konkret zu beauftragende Leistung relevant sein. Kann die Leistung mit einer bestimmten Quantität an Ausrüstung erbracht werden, soll aber gleichwohl ein Mehr an Ausrüstung positiv bewertet werden, dann könnte ein entsprechendes Bewertungskriterium aus Gründen der Versorgungssicherheit zulässig sein. Der Auftraggeber hat die Voraussetzungen an ein solches Kriterium im Einzelfall zu prüfen und die Gründe zu dokumentieren. In Betracht kommen dürfte ein solches Kriterium idR im Bereich der sog. Daseinsvorsorge. Möchte der Auftraggeber darüber hinaus festlegen, dass die gesamte Ausrüstung beim Bieter vorhanden sein soll, also der Einsatz von Unterauftragnehmern verboten wird, dann bedarf es ebenfalls einer gesonderten Begründung, die zu dokumentieren ist.

Dr. Roderic Ortner

Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.

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