Die VK Bund hat in ihrem Beschluss vom 28.05.2020 (AZ.: VK 1-34/20) ausdrücklich geklärt, wie eine „schulbuchmäßige“ Rüge zu formulieren ist bzw. wann eine solche (noch) nicht vorliegt. Die Entscheidung ist insbesondere aus Bietersicht relevant: Bieter haben vorab genau zu durchdenken, wie sie ihren eventuellen Unmut gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber äußern. Diese Überlegung ist deshalb wichtig, um nicht in die Fristen- oder Präklusions-„Falle“ zu treten. Einem bloßen „Taktieren“ mit vermeintlich „unechten“ Rügen erteilt die VK eine klare Absage.
§§ 97 Abs. 1, 160 Abs. 3 GWB
Leitsatz (nicht amtlich)
Sachverhalt
Die Auftraggeberin (und spätere Antragsgegnerin) initiierte ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, um planmäßige Instandhaltungsmaßnahmen zu beschaffen. Als Teil der Vergabeunterlagen übermittelte die Auftraggeberin den Bietern einen Vertrags-Entwurf. Dieser enthielt z. T. neue Regelungen, die die Auftraggeberin in früheren Verträgen nicht verwendete. In der Auftragsbekanntmachung verwies die Vergabestelle im Hinblick auf den Rechtsschutz u. a. auf die Präklusions- und Fristenregeln der § 160 Abs. 3 Nr. 1 – 4 GWB. Das Vergabeverfahren lief zunächst ohne besondere Vorkommnisse an. Zu Beginn der Angebotsphase machte die Auftraggeberin gegenüber den Bietern deutlich, der avisierte Vertrags-Entwurf sei inhaltlich nicht verhandelbar. Ein Bieter hielt diverse Vertragsaspekte für fehlerhaft und wendete sich mit entsprechenden Bieterfragen an die Vergabestelle. In diesen Bieterfragen machte das Unternehmen seinem Unmut „Luft“ und kritisierte deutlich die betreffenden Vertrags-Passagen. Teilweise schloss der Bieter seine Ausführungen mit der folgenden Frage ab:
„Wie stellt sich [die Auftraggeberin] (…) zu dieser Problematik?“
Die Auftraggeberin reagierte zwar, änderte jedoch nicht den Vertrags-Entwurf. Der Bieter gab daraufhin dennoch ein Angebot ab. Er konnte sich schlussendlich nicht gegen einen Konkurrenten – den Zuschlagsdestinatär – durchsetzen. Das Unternehmen rügte die Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin. Es argumentierte, die – bereits kritisierten – vertraglichen Regelungen hätten sich insbesondere nachteilig auf seine Preiskalkulation ausgewirkt. Die Auftraggeberin half der Rüge nicht ab, sodass der Bieter einen Nachprüfungsantrag stellte. Bemerkenswert ist, dass der Bieter im Laufe des Nachprüfungsverfahrens zunächst argumentierte, er habe vor der Angebotsabgabe „gerügt“, dies später jedoch lediglich als „Fragen“ klassifiziert.
Die Entscheidung
Die VK Bund verwarf den Nachprüfungsantrag bereits als unzulässig. Die gestellten „Fragen“ des Bieters seien vielmehr als Rügen i. S. d. § 160 Abs. 3 GWB zu qualifizieren. Insofern sei zum Zeitpunkt des Nachprüfungsantrages bereits die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB verstrichen.
Die VK Bund stellt zunächst fest, dass es nicht auf den subjektiven Horizont der Verfahrensbeteiligten ankomme. Insofern sei es unerheblich, wie der Bieter seine eigenen Ausführungen verstehe oder ob eine derartige Kommunikation mit der Vergabestelle „üblich“ sei. Vielmehr sei es die Aufgabe der Nachprüfungsinstanzen, zu beurteilen, ob ein konkretes Bieterverhalten eine Rüge i. S. d. § 160 Abs. 3 GWB darstelle. Die Rüge solle dem Auftraggeber frühzeitig Gelegenheit geben, ein vergaberechtswidriges Verhalten zu erkennen und dieses ggf. zu beseitigen. Eine Rüge sei dann ordnungsgemäß, wenn der Rügende die beanstandeten Aspekte so konkret wie möglich benenne. Es müsse folgendes deutlich werden: Der Bieter wende sich gegen einen Vergaberechtsverstoß und fordere vom Auftraggeber Abhilfe ein. Für eine zulässige Rüge seien keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Erforderlich – und ausreichend – sei vielmehr, dass der Bieter den beanstandeten Sachverhalt nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht durchdrungen habe. Er habe also die gerügten Aspekte nicht nur als nachteilig zu empfinden, sondern auch für rechtswidrig zu halten.
Für eine Rüge sei es ferner unerheblich, ob diese – wie vorliegend – mit einer Frage ende. Auch in einem solchen Fall handele es sich nicht um reine Fragen. Der Bieter habe vielmehr das Vorgehen der Auftraggeberin für vergabefehlerhaft gehalten. Er habe zudem konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, die – monierten – Vergaberechtsverstöße zu beseitigen. Teilweise habe der Bieter auch lediglich rhetorische Fragen gestellt, die für eine Rüge unerheblich seien.
Außerdem seien die Antworten der Auftraggeberin als Nichtabhilfemitteilungen zu qualifizieren. Diese habe klar zum Ausdruck gebracht, sie folge nicht der Auffassung des Bieters und werde der Rüge nicht abhelfen. Eine abweichende Interpretation des Bieters sei – gerade vor dem Hintergrund der Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB – unerheblich. Etwas anderes gelte lediglich bei Normen, die schuldhaftes oder sonst individuell vorwerfbares Verhalten voraussetzen. Vorliegend normiere § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB jedoch eine Rechtsbehelfsfrist. Insofern komme es nicht auf eine individuelle Kenntnis des Betroffenen über die Rechtsfolgen an. Die Auftraggeberin habe bereits in der Auftragsbekanntmachung auf § 160 Abs. 3 GWB hingewiesen (und darüber belehrt), indem sie die Vorschrift wortidentisch zitiert habe. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Rechtsbehelfsfrist nicht nur dem Bieterschutz diene, sondern auch dem Auftraggeber Rechtssicherheit geben solle.
Unabhängig davon sei der Bieter – unterstellt, es hätte sich tatsächlich um „Fragen“ gehandelt – bereits präkludiert gewesen, § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB. Die kritischen Ausführungen des Bieters zeigen, er habe die geltend gemachten Aspekte in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht durchdrungen. So sei es für ihn jedenfalls erkennbar gewesen, dass es sich um mutmaßliche Vergaberechtsverstöße handele. Insofern hätte der Bieter bereits vor Angebotsabgabe Nachprüfung beantragen müssen.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung der VK Bund fügt sich konsequent in die bisherige Entscheidungspraxis zu § 160 Abs. 3 GWB ein. Ein zentraler Aspekt ist die Abgrenzung zwischen einer bloßen Bieterfrage und einer – prozessual relevanten – Rüge. Insofern geht die VK Bund zweckmäßig vor und stellt insbesondere auf das Telos ab: Sofern der Bieter konkrete Aspekte benennt und deutlich macht, sich mit dem (rechtswidrigen) status quo nicht zufrieden zu geben, ist dies als Rüge zu qualifizieren. Ob der Bieter seine Ausführungen mit dem Wort „Rügen“ bzw. „rügen“ unterstreicht, ist unerheblich (vgl. nur OLG München, B. v. 21.04.2017 – AZ.: Verg 1/17; OLG Düsseldorf, B. v. 07.12.2011 – AZ.: Verg 81/11).
Die VK Bund stellt richtig fest, dass sowohl formal als auch materiell keine überzogenen Anforderungen an eine Rüge zu stellen sind. Das soll insbesondere dem Bieterschutz dienen, da sich ansonsten der Auftraggeber – v. a. bei nicht anwaltlich vertretenen oder sonst rechtsunkundigen Bietern – im (Nachprüfungs-)Verfahren leicht auf Präklusion berufen könnte. Der rügende Bieter muss zumindest deutlich machen, dass er dem Auftraggeber eine letzte Chance zur Korrektur bietet. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass der Bieter bereits ein Nachprüfungsverfahren im Falle der Nichtabhilfe androht. Mit anderen Worten ist objektiv zu eruieren, was der Bieter vernünftigerweise meint und will (vgl. OLG München, B. v. 06.12.2012 – AZ.: Verg 29/12). Entgegen der VK Bund reicht nach Ansicht des Verfassers bereits die Perspektive einer „verständigen Vergabestelle“ aus. Lediglich im Falle einer (rechtswidrigen) Nichtabhilfe des Auftraggebers ist die Sicht der Nachprüfungsinstanz relevant (bei einer Abhilfe wäre ja das Begehr des Bieters in jedem Fall erfüllt).
Maßgeblich sind dennoch der konkrete Einzelfall und die entsprechende Formulierung des Bieters. Sofern dieser lediglich seinen Unmut äußert, resp. rein pauschal – und damit „ins Blaue hinein“ – auf Verstöße im Verfahren verweist, reicht dies für sich genommen grundsätzlich nicht aus, um eine Rüge anzunehmen (vgl. OLG München, B. v. 11.06.2007 – AZ.: Verg 6/07; OLG Düsseldorf, B. v. 23.01.2008 – AZ.: Verg 36/07; OLG Brandenburg, B. v. 14.01.2013 – AZ.: Verg W 12/12). Eine Rüge liegt etwa dann vor, wenn der Bieter aufgrund seiner Branchen- und Marktkenntnis konkrete Umstände anzweifelt und diese substantiiert darlegt (OLG Düsseldorf, B. v. 13.04.2011 – AZ.: Verg 58/10).
Bloße unverbindliche Fragen sind hingegen allgemeine Hinweise bzw. Aussagen wie etwa „man werde das nicht hinnehmen“. Bei der Rüge ist der Bieter mit dem derzeitigen Verfahren nicht einverstanden und beanstandet dies deutlich. Aus diesem Grund legte die VK Bund im vorliegenden Fall die kritischen Ausführungen des Bieters auch als Rüge aus: Dieser bezeichnete nicht nur konkrete Sachverhaltsaspekte als rechtswidrig, sondern schlug sogar Maßnahmen vor, um die Verstöße zu beseitigen.
Der Auftraggeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, auf die Rüge eines Bieters zu antworten, geschweige denn ihr abzuhelfen. Die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB beginnt jedoch erst dann, wenn der rügende Bieter tatsächlich eine Nichtabhilfemitteilung oder -erklärung erhält. Dies unterstreicht der Gesetzeswortlaut („nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen“). Im Gegensatz zu der Rüge sind an die Nichtabhilfe des Auftraggebers indes hohe Anforderungen zu stellen: Insbesondere muss diese für den Bieter eindeutig sein (siehe OLG München, B. v. 21.04.2017 – AZ.: Verg 2/17; OLG Celle, B. v. 04.03.2010 – AZ.: 13 Verg 1/10). Diese strenge Vorgabe an den Auftraggeber ergibt sich aus den verfassungs- und unionsrechtlichen Garantien des effektiven Rechtsschutzes: Der Primärrechtsschutz des Bieters ist aufgrund der in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB normierten Frist zeitlich begrenzt.
Die VK Bund fügt sich zudem in die ständige Rechtsprechung ein, demnach es sich um eine echte Rechtsbehelfsfrist handelt (siehe nur OLG Düsseldorf, B. v. 14.12.2016 – AZ.: VII Verg 15/16; OLG München, B. v. 21.04.2017 – AZ.: Verg 2/17; VK Bund, B. v. 07.06.2016 – AZ.: VK 2 37/16). Dies hat der Bieter für den Fall eines Nachprüfungsantrages zu berücksichtigen. Der genannte Grundsatz der Rechtsbehelfsfrist ist jedoch insoweit eingeschränkt, dass es dem Auftraggeber obliegt, explizit auf die Frist und die Rechtsfolgen in der Auftragsbekanntmachung hinzuweisen. Dafür sprechen folgende Gründe:
– Aus praktisch-zweckmäßiger Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass bereits überwiegende Teile der Rechtsprechung eine solche Pflicht bejahen (vgl. etwa OLG Düsseldorf, B. v. 12.06.2013 – AZ.: VII Verg 7/13; B. v. 14.04.2010 – AZ.: Verg 60/09; B. v. 09.12.2009 – AZ.: Verg 37/09; OLG Brandenburg, B. v. 13.09.2011 – AZ.: Verg W 10/11).
– Ferner ist der Auftraggeber gehalten, die unionsrechtlichen Vorgaben (insbesondere aus den einschlägigen Richtlinien) auch im nationalen Recht richtlinienkonform auszulegen und zu berücksichtigen. Das ergibt sich bereits aus den entsprechenden Anhängen der EU-Vergaberichtlinien (z. B. Anhang V Teil B II Nr. 13 der RL 2014/24/EU).
– Ferner bestätigt dies ein Blick in die Standard-Formulare zu Auftragsbekanntmachungen: Der Auftraggeber hat nicht nur Name und Anschrift der zuständigen Nachprüfungsbehörde, sondern auch die Fristen für die Rechtsbehelfe genau anzugeben (siehe VK Sachsen, B. v. 11.12.2009 – AZ.: 1/SVK/054-09).
Unabhängig von den o. g. Argumenten sind Bieter bereits aus praktischen Gründen auf die Frist hinzuweisen. Dem Auftraggeber entsteht jedenfalls kein rechtlicher Nachteil, da in der Auftragsbekanntmachung lediglich der Gesetzeswortlaut zitiert bzw. sinngemäß wiedergegeben wird. Sinnvoll ist auch, dem Bieter gegenüber mitzuteilen, wenn man eine Bieterfrage als Rüge klassifiziert. Damit wird ein Bieter bösgläubig. Man kann dies durch einen nochmaligen Hinweis auf die Präklusionsfristen noch unterstreichen.
Aus Bieterperspektive sind stets die Präklusionsvorschriften der § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 – 3 GWB zu beachten. Während sich der o. g. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB primär auf die Frist des Nachprüfungsantrages bezieht, unterliegt auch die Rüge gewissen Fristerfordernissen (sofern diese nicht entbehrlich ist). Diese sind insbesondere von Umständen abhängig, die sich auf die Kenntnis des Bieters über den Vergaberechtsverstoß beziehen.
– Kennt der Bieter den Vergaberechtsverstoß bereits vor Einreichen des Nachprüfungsantrages positiv, d. h. vermutet er nicht nur, hat er diesen grundsätzlich innerhalb von 10 Kalendertagen zu rügen; § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB (vgl. EuGH, U. v. 28.01.2010 – Rs. C-406/08 – „Uniplex“, Rn. 32). Fahrlässige oder grob fahrlässige Unkenntnis reichen nicht aus – es sei denn, der Bieter verschließt sich dem mutwillig (vgl. nur BGH, B. v. 26.09.2006 – AZ.: X ZB 14/06).
– Im Rahmen der § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB (Erkennbarkeit in der Auftragsbekanntmachung) resp. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB (Erkennbarkeit in den Vergabeunterlagen) kommt es nicht auf die positive Kenntnis des Bieters an. Derartige Verstöße sind spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber zu rügen.
Der Verstoß müsste in der Auftragsbekanntmachung bzw. in den Vergabeunterlagen erkennbar sein. Die Anforderungen an einen „erkennbaren“ Verstoß müssen jedoch realistisch sein. Vertiefte vergaberechtliche Rechtskenntnisse dürfen nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. In rechtlicher Hinsicht ist grundsätzlich auf einen Bieter, der nicht anwaltlich vertreten ist, abzustellen. Dabei dürfen bei lebensnaher Betrachtung die Anforderungen nicht überspannt werden. Es erscheint ausreichend, dass ein durchschnittlicher Bieter einen Sachverhalt zumindest als rechtlich problematisch einstufen würde. Maßgeblich ist, ob das Unternehmen unter der üblichen Sorgfalt den Verstoß erkannt hätte. Der Verstoß muss ferner sowohl tatsächlich als auch rechtlich erkennbar sein. Nach Maßgabe des EuGH (U. v. 12.03.2015 – Rs. C-538/13 – „eVigilo“, Rn. 55 ff.) kommt es darauf an, ob der betroffene Bieter die in Rede stehenden Kriterien tatsächlich nicht nachvollziehen kann oder ob er sie hätte nachvollziehen können müssen, wenn man den Maßstab eines durchschnittlich fachkundigen Bieters anlegen würde. Erkennbar sind in der Regel daher nur Verstöße, die nach allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis vorliegen und ins Auge fallen (vgl. BGH, B. v. 26.09.2006 – AZ.: X ZB 14/06).
Da der Bieter im vorliegenden Fall der VK Bund bereits konkrete Aspekte aus den Vergabeunterlagen (insbesondere dem Vertrags-Entwurf) monierte, waren diese für ihn auch „erkennbar“ i. S. d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB.
Praxishinweis
1. Aus Sicht der Bieter lässt sich der Entscheidung der VK Bund insbesondere entnehmen, dass vermeintliche „Fragen“ bereits eine Rüge darstellen können. Es gibt keine „unechte“ Rüge, die lediglich dazu dient zu testen, wie der Auftraggeber reagiert. Prinzipiell hilft die Rüge dem Bieter, bestimmte rechtswidrige Aspekte zu monieren. Der öffentliche Auftraggeber kann nunmehr entscheiden, ob er der Rüge abhilft. Im Falle einer Nichtabhilfe hat der Bieter jedoch die Frist von 15 Kalendertagen zu beachten: Verstreicht diese, ist ein Nachprüfungsantrag verfristet und damit unzulässig.
Insofern hat der Bieter zunächst zu eruieren, ob er tatsächlich einen Vergaberechtsverstoß monieren will – oder es sich vielmehr um eine bloße Unklarheit handelt. Abhängig davon ist das weitere Vorgehen abzuwägen:
– Tatsächliche Vergaberechtsverstoße sollten – insbesondere, wenn diese schon erkennbar sind – unverzüglich gerügt werden, um nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 – 3 GWB präkludiert zu sein. Es sollte sich insbesondere um Verstöße handeln, bei denen ein Angebot unzumutbar ist bzw. im Ergebnis nicht „gewinnt“. In einem solchen Fall dient die Rüge (und das Nachprüfungsverfahren) dem Bieterschutz, den rechtswidrigen status quo zu beseitigen.
– Möchte der Bieter hingegen lediglich vertiefte Informationen erhalten – ohne gleichzeitig das gesamte Verfahren bzw. -teile zu beseitigen – empfiehlt es sich, eine entsprechend neutrale Bieterfrage zu stellen. Zum einen bewahrt man eine positive bis neutrale Kommunikationsatmosphäre mit dem öffentlichen Auftraggeber. Zum anderen hält man sich selbst „im Spiel“ und damit die Möglichkeit offen, das (wirtschaftlichste) Angebot abzugeben. Man kann durch taktische Bieterfragen auch dem Auftraggeber eine „goldene Brücke“ bauen, eine ungünstige Situation aufzulösen.
In jedem Zweifelsfall empfiehlt es sich, anwaltlichen Rat einzuholen. Es ist stets der Einzelfall und die konkrete Situation maßgeblich, so dass es keine „Universal-Strategie“ gibt.
2. Aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers sollte das Bewerber- und Bieterfeld bereits in der Auftragsbekanntmachung auf das Rechtsbehelfsverfahren, die zuständigen (Nachprüfungs- oder Schlichtungs-)Stellen sowie die genauen Fristen hingewiesen werden. Vor dem Hintergrund der o. g. Ausführungen erscheint es zweckmäßig, die Vorschrift des § 160 (Abs. 3) GWB entweder wortidentisch zu zitieren – wie im entschiedenen Fall – oder zumindest auf die Rechtsfolgen der gesetzlichen Vorgaben hinzuweisen. Insofern ist gewährleistet, dass insbesondere die Antragsfrist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB zu laufen beginnt. Der konkrete Hinweis kann auch in der Rügeantwort wiederholt werden.
Sven Müller ist Rechtsanwalt im Berliner Büro von Dentons. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der Beratung zu allen Aspekten der öffentlichen Auftragsvergabe, einschließlich der Begleitung von Vergabeverfahren und Vertretung in Nachprüfungsverfahren. Er verfügt über mehrjährige Erfahrung im Vergaberecht und war als Mitarbeiter in internationalen Wirtschaftskanzleien in diesem Rechtsgebiet tätig.
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