Digitalisierungsprojekte der öffentlichen Hand begegnen hohen Anforderungen in rechtlicher und technologischer Hinsicht. Eine zentrale Festlegung ist die Beachtung des Gebots der Losaufteilung (§ 97 Abs. 4 S. 2 GWB). Danach sind Leistungen der Menge nach aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben.
Komplexe IT- und Kommunikationsinfrastrukturprojekte bestehen regelmäßig aus zahlreichen Komponenten, spezifischen Anwendungen und Lösungen, Teilsystemen und den für die Errichtung und den Betrieb notwendigen Dienstleistungen. Dementsprechend gibt es bei der Errichtung von Plattformen oder integrierten Gesamtsystemen häufig Anbietermärkte für technische Infrastruktur, Softwarelösungen, planerische Aspekte sowie Service- und Wartungsleistungen.
Bis in die jüngere Vergangenheit hat die vergaberechtliche Rechtsprechung bei der Überprüfung, ob ein Digitalisierungsprojekt in Lose aufgeteilt werden muss oder gesamthaft vergeben werden kann, einen vergleichsweise großzügigen Maßstab angelegt.
So hat das OLG Düsseldorf in einer jüngeren Entscheidung (Beschl. v. 16.10.2019, VII-Verg 66/18) in Bezug auf die Errichtung eines digitalen Alarmierungssystems festgestellt, dass die ausgeschriebenen Leistungen keine bloße Ansammlung von Einzelkomponenten darstellt. Vielmehr handele es sich um ein Gesamtsystem, in dem verschiedene digitale Komponenten aufeinander abgestimmt sein müssen. Die Erbringung aller Leistungsschritte aus einer Hand diene dem legitimen Ziel des öffentlichen Aufgabenträgers, ein Höchstmaß an Betriebssicherheit zu gewährleisten, das eine Gesamtvergabe grundsätzlich rechtfertigen kann. Das gelte in besonderem Maße bei Digitalsystemen, die der Abwehr von Gefahren für Leib und Leben dienen. Außerdem dürfe besonderer Wert auf die Gesichtspunkte Systemsicherheit und Funktion gelegt werden. Öffentliche Auftraggeber dürfen zudem berücksichtigen, dass die Verwendung von Komponenten unterschiedlicher Lieferanten die Fehlersuche und die Behebung etwaiger Störungen erschweren.
Dem ist das OLG Karlsruhe in einer aktuellen Entscheidung entgegengetreten, die ebenfalls die Errichtung eines digitalen Alarmierungssystems zum Gegenstand hatte (Beschl. v. 11.11.2020 – 15 Verg 6/20). Der Vergabesenat geht dabei von der Prämisse aus, dass die ausgeschriebenen Leistungen jedenfalls in die Errichtung bzw. eventuell erforderliche Ertüchtigung vorhandener Antennenmasten, die Errichtung des Systems für die Digitale Alarmierung und die erforderlichen Systemservice- und Wartungsleistungen getrennt werden können und daher grundsätzlich in Fachlosen vergeben werden müssen. Die Einbeziehung der Montage der Antennenmasten und der damit verbundenen Blitzschutz- und Elektrikerarbeiten sei nicht erforderlich, um eine fehlerfreie Funktion des Alarmierungssystems sicherzustellen. Kritisch sieht das Gericht auch die gemeinsame Vergabe der Errichtung des digitalen Alarmierungssystems und der hiermit zusammenhängenden Serviceleistungen. Allenfalls sei eine gesamthafte Vergabe der Serviceleistungen einschließlich Wartung in einem Los mit der Errichtung der Alarmierungsanlage für den Zeitraum bis zum Ende der Gewährleistungsfrist gerechtfertigt. Nach Ablauf der Gewährleistungsfrist von zwei Jahren bestehe das aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers zu befürchtende Neben- und Durcheinander von Gewährleistung und Service nicht mehr.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung in der Rechtsprechung lassen sich gesamthafte Vergaben bei Digitalisierungsprojekten nicht mehr ohne weiteres durch Hinweise auf Fehlfunktionen, Kompatibilitätsprobleme, Umstellungsaufwände oder getrennte Verantwortlichkeiten rechtfertigen. Eine besondere Herausforderung ist die von den Gerichten inzwischen sehr streng kontrollierte umfassende Dokumentation des Vergabeverfahrens. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, fachlich-technische geprägte Aspekte nachvollziehbar in eine vergaberechtlich tragfähige Begründung zu übersetzen. Denn bereits vor der Einleitung des Verfahrens müssen zwingend alle wesentlichen Entscheidungen nachvollziehbar im Vergabevermerk dokumentiert sein.
Dr. Martin Ott
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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