Die VK Bund sieht die Wertung des Brutto-Preises als Regelfall bei öffentlichen Auftraggebern, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Eine vertiefte steuerrechtliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob nun der Regelumsatzsteuersatz oder ein ermäßigter Steuersatz bei einem Bieter Anwendung findet, erwartet sie nicht.
VgV § 60 Abs. 4; UStG § 12 Abs. 2 Nr. 8 lit. a; AO § 68 Nr. 3
Sachverhalt
In einem unionsweiten Verfahren mit vier Losen beabsichtigte die Auftraggeberin Rahmenvereinbarungen über den Kauf von WQHD Monitoren und Zubehör zu vergeben. Sie ist nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt und legte der Angebotswertung die Bruttopreise zu Grunde. Im Preisblatt hatten die Bieter den gültigen Umsatzsteuersatz selbst einzutragen.
Die Beigeladene gab einen ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7% an, der dazu führte, dass sie in zwei Losen das wirtschaftlichste Angebot abgab. Bei einer Wertung der Nettopreise oder Annahme des Regelumsatzsteuersatzes wäre der Zuschlag auf die Angebote der Antragstellerin zu erteilen gewesen. Die Beigeladene würde die Auftragsbearbeitung und Logistik mit eigenen Mitteln erbringen, die zu liefernde Hardware hingegen von einem kommerziellen Unterauftragnehmer beziehen, dessen Kapazitäten sie sich zudem in wirtschaftlicher und finanzieller sowie beruflicher und technischer Hinsicht im Wege der Eignungsleihe bediente.
In Beantwortung eines Aufklärungsersuchens legte die Beigeladene einen Nachweis der Bundesagentur für Arbeit über die Anerkennung als Werkstatt für behinderte Menschen vor nebst Schreiben der Geschäftsleitung, in dem die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes erläutert wurde. Der weiteren Aufforderung zur Abgabe einer separate Eigenerklärung als Nachweis für eine rechtmäßige Anwendung des Steuersatzes kam die Beigeladene ebenfalls nach.
Die Antragstellerin griff die Angebotswertung insb. wegen Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot an. Der Auftraggeber habe zu prüfen, ob die Voraussetzungen zur Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes gegeben seien, wenn wie hier ein begünstigter Zweckbetrieb nur zwischengeschaltet werde. Sonst drohe ein falsches Wertungsergebnis und eine spätere Verpflichtung des Auftraggebers zur Zahlung des vollen Umsatzsteuersatzes. Ausnahmsweise sei außerdem eine Wertung der Nettopreise vorzunehmen. Alle Verfahrensbeteiligten machten umfangreiche Ausführungen zur steuerrechtlichen Bewertung unter Verweis auf Regelungen des UStG, der AO, Erlassen der Finanzverwaltung sowie Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes.
Die Entscheidung
Der Nachprüfungsantrag hatte keinen Erfolg!
Die Vergabekammer wies zutreffend darauf hin, dass weder die Auftraggeberin noch die Vergabekammer eine verbindliche Entscheidung über den anzuwendenden Umsatzsteuersatz treffen könne, sondern diese Entscheidung von den zuständigen Finanzbehörden zu treffen sei. Die Auftraggeberin sei daher gezwungen, nach hinreichender Ermittlung des Sachverhalts in Ausübung ihres Beurteilungsspielraums eine Entscheidung zu treffen. Die der Auftraggeberin vergaberechtlich auferlegten Prüfpflichten steckte die Vergabekammer unter Verweis auf das OLG Düsseldorf wie folgt ab:
„Grundsätzlich ist der bei der Durchführung von Ausschreibungen zumutbare Prüfungsaufwand des öffentlichen Auftraggebers mit Rücksicht auf den vergaberechtlich bezweckten, möglichst raschen Abschluss des Vergabeverfahrens durch Erteilen des Zuschlags, aber auch wegen der dem öffentlichen Auftraggeber bei der Angebotswertung in nicht unbegrenztem Umfang zu Gebote stehenden verwaltungsmäßigen und finanziellen Ressourcen, zu beschränken. Der Auftraggeber hat nur die ihm zumutbaren Prüfungen anzustellen und darf die Vergabeentscheidung auf gesicherte (unbestrittene, bewiesene oder beweisbare) Erkenntnisse stützen, sofern die Entscheidung vertretbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Februar 2016, VII-Verg 28/15 m.w.N.).“
Eine vertiefte steuerrechtliche Auseinandersetzung sei mangels entsprechender Ressourcen und in der Kürze des Vergabeverfahrens regelmäßig nicht zu leisten. Die hier vorgenommenen Aufklärungsbemühungen ließ die Vergabekammer denn auch genügen.
Wegen der nicht bestehenden Vorsteuerabzugsberechtigung sei der Bruttopreis haushaltsrechtlich relevant und von öffentlichen Auftraggebern in der Regel auch abzufragen. Unter Verweis auf einen Beschluss des OLG Düsseldorf vom 14.09.20216 (VII-Verg 14/16) komme nur ausnahmsweise die Wertung von Nettopreisen in Betracht, wenn der anzuwendende Steuersatz wegen faktischer Unsicherheiten im Hinblick auf die ausgeschriebene Leistung fraglich sei. Hier sei es allein eine unternehmensbezogene Frage, welcher Steuersatz anzuwenden sei.
Rechtliche Würdigung
Es dürfte bei Auftraggebern für eine gewisse Erleichterung sorgen, dass eine abschließende steuerrechtliche Bewertung im Vergabeverfahren nicht verlangt wird!
Im Ausgangspunkt sind die Wertung von Bruttopreisen bei fehlender Vorsteuerabzugsberechtigung des Auftraggebers sowie die Wettbewerbsvorteile von Bietern mit ermäßigten Umsatzsteuersätzen nicht zu beanstanden. Selbst bei eklatanten Preisunterschieden, also bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten, sind Wettbewerbsverzerrungen aufgrund rechtmäßiger staatlicher Beihilfen nach § 60 Abs. 4 VgV vergaberechtlich hinzunehmen.
Die Gretchenfrage ist hier aber, ob sich die Beigeladene zu Recht eines ermäßigten Umsatzsteuersatzes berühmt. Einerseits sind Bieter vor Wettbewerbern zu schützen, die sich mit falschen Angaben im Vergabeverfahren durchsetzen wollen. Und auch Auftraggeber müssen nicht sehenden Auges Probleme bei der Auftragsausführung in Kauf nehmen. Andererseits kann von öffentlichen Auftraggebern nichts Unzumutbares verlangt werden, insb. nicht die Klärung sämtlicher diffiziler Rechtsfragen, die sich womöglich im Rahmen der Auftragsausführung mit dem bezuschlagten Auftragnehmer stellen mögen.
Die Entscheidung der Vergabekammer liegt in der sich abzeichnenden Tendenz der Rechtsprechung, das Vergabe- und Nachprüfungsverfahren nicht mit Fragen aus anderen Rechtsgebieten zu überfrachten. So gab das OLG Düsseldorf jüngst seine frühere Rechtsprechung ausdrücklich auf, wonach es einen Verstoß gegen den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz darstellen könne, wenn ein Bieter öffentlich-rechtliche Tätigkeitsbeschränkungen verletze. Es seit nicht der Numerus clauses der Eignungsanforderungen bzw. Ausschlusstatbestände betroffen, sondern ein Aspekt der späteren Vertragserfüllung (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.10.2020 – Verg 36/19 zu einer Uniklinik; vgl. auch VK Bund, Beschl. v. 10.06.2021 – VK 1-34/21, zu streitigen Patentverletzungen bei Sturmgewehren).
Praxistipp
Auftraggeber sollten auch bei Entscheidungen, in denen ihnen nach der vergaberechtlichen Rechtsprechung ein Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum zukommt, darauf achten, dass der Sachverhalt hinreichend ermittelt wird und nur gesicherte unbestrittene, bewiesene oder beweisbare Erkenntnisse zu Grunde gelegt werden.
Die Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung öffentlicher Auftraggeber und damit auch die Frage nach einer Netto- oder Bruttopreis-Wertung dürfte nach Einführung des § 2b UStG und Ablauf sämtlicher Übergangsregelungen zur Unternehmereigenschaft für juristische Personen des öffentlichen Rechts bei größeren Wettbewerbsverzerrungen neu zu bewerten sein.
Jan Helge Mey ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln. Jan Helge Mey ist spezialisiert auf das Vergabe- und Zuwendungsrecht, Luft- und Weltraumrecht sowie Außenwirtschaftsrecht, ist Autor zahlreicher Fachbeiträge und führt Schulungen für Behörden und Unternehmen durch.
Das ist aber wirklich sehr spannend, danke für die Impulse;)