Das Thema Open Source Software (OSS) gewinnt bei öffentlichen Ausschreibungen zunehmend an Bedeutung. Öffentliche Auftraggeber wollen häufig aufgrund politischer Zielvorgaben finanziell und organisatorisch unabhängiger von (großen) Anbietern proprietärer Software werden. Oft werden dabei jedoch vergaberechtliche Prämissen nicht hinreichend berücksichtigt. Dieser dreiteilige Beitrag beschäftigt sich mit aktueller Rechtsprechung und aktuellen Problemfeldern rund um OSS-Vergaben. Im vorliegenden ersten Teil werden anhand einer aktuellen Entscheidung der VK Baden-Württemberg Fallstricke bei der Leistungsbeschreibung und der Wahl einer wettbewerbsbeschränkenden Verfahrensart aufgezeigt.
Sachverhalt
Der Auftraggeber hatte mit freiwilliger ex-ante Transparenzbekanntmachung die Auftragsvergabe zur Beschaffung von Dienstleistungen zur Pflege und Weiterentwicklung einer Standard-OSS angekündigt. Der Auftrag wurde an den OSS-Anbieter (Bestandsanbieter) in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben. Der Auftraggeber rechtfertigte dies im Wesentlichen damit, dass er zuvor bereits den Cloud-Service des Bestandsanbieters genutzt hatte. Dieser sollte qualitativ und quantitativ ausgebaut werden. Zum einen sei für den Ausbau nur OSS in Frage gekommen, damit der Auftraggeber die Software lizenzkostenfrei dauerhaft weiter nutzen könne. Zum anderen sei nur der Service des Bestandsanbieters selbst in Betracht gekommen. Der bestehende Cloud-Service könne nicht mit verhältnismäßigen Aufwand mit einem anderen Open Source Service kombiniert werden. Es entstünden kostenaufwendig zu programmierende Schnittstellen, vermeidbare Sicherheitsrisiken, erhöhter Administrations- sowie Schulungs- und Betreuungsaufwand. Subskription und Consulting des Bestandsanbieters erfolgten im Alleinvertrieb. Aus technischen Gründen könne allein der Bestandsanbieter selbst die beauftragten Leistungen erbringen und den bestehenden Cloud-Service weiterentwickeln.
Ein konkurrierender OSS-Anbieter (Antragsteller) rügte die Beauftragung. Es seien keine nachvollziehbaren und auftragsbezogenen Gründe ersichtlich für die ausschließliche Verwendung von Produkten des Bestandsanbieters. Da es sich um OSS handele, könnten zudem nicht nur der Bestandsanbieter, sondern auch der Antragsteller und Dritte die Dienst- und Pflegeleistungen erbringen. Es fehle nicht an Wettbewerb und die Verfahrensart habe nicht gewählt werden dürfen. Nachdem der Auftraggeber der Rüge nicht abhalf, stellte der Antragsteller einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Baden-Württemberg.
Die Entscheidung
Mit Erfolg! Laut der Vergabekammer hatte der Auftraggeber sein Leistungsbestimmungsrecht nicht ordnungsgemäß ausgeübt und eine unzulässige Verfahrensform gewählt. Zudem sei die Dokumentation insgesamt unzureichend erfolgt.
Zwar obliege dem Auftraggeber die Festlegung seines Beschaffungsbedarfs. Diesen könne er auf eine bestimmte technische Konzeption ausrichten. Die Beschaffungsentscheidung sei aber darauf überprüfbar, ob sach- und auftragsbezogene Gründe vorlägen bzw. ob ihr sachfremde, willkürliche oder diskriminierende Erwägungen zugrunde liegen. Maßgeblich sei der Erkenntnishorizont des öffentlichen Auftraggebers bei Beschaffung. Ausgehend davon sei schon nicht ersichtlich, welche Ermittlungen der Auftraggeber zur Festlegung seines Beschaffungsbedarfs angestellt habe. Eine ordnungsgemäße Abwägung und Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts sei nicht dokumentiert. Er habe rein von der Produktpalette des Bestandsanbieters her argumentiert. Dabei habe er nicht das bzw. die ausschlaggebende/n Merkmal/e für die produktspezifische Entscheidung benannt.
Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb habe nicht gewählt werden dürfen. Es sei generell zweifelhaft, ob eine technische Festlegung aufgrund einer Vorbeauftragung einen unverhältnismäßigen Aufwand bei einer Nachbeauftragung rechtfertigen könne, wenn diese ein Vielfaches des ursprünglichen Leistungsvolumens ausmache (§ 14 Abs. 4 Nr. 5 VgV). Es stelle sich die Frage, ob die Ermittlung des (gesamten) Bedarfs dann nicht schon vor der Vorbeauftragung habe erfolgen müssen Der Auftraggeber habe auch nicht von fehlendem Wettbewerb ausgehen dürfen (§ 14 Abs. 4 Nr. 2b VgV). Aus der Dokumentation gehe nicht hervor, welches konkrete Merkmal der Auftraggeber als technisch nicht erfüllbar für andere Marktteilnehmer ansah. Es fehle auch an einer Ermessensausübung zur Wahl der Verfahrensart.
Die Dokumentationsmängel könnten nicht geheilt werden. Die Bedarfsermittlung sei schon nicht nachgeliefert worden. Im Übrigen sei mit der Verfahrensart der Mindestinhalt der Dokumentation betroffen (§ 8 Abs. 2 Nr. 7 i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 VgV). Insoweit sei eine Heilung grundsätzlich ausgeschlossen.
Rechtliche Würdigung
Die Ausführungen der Vergabekammer zur Leistungsbestimmung überzeugen nicht vollends. So konnte der Auftraggeber jedenfalls funktionale Anforderungen an den qualitativen und quantitativen Ausbau der vorhandenen IT-Infrastruktur benennen. Häufig lassen sich Dienst- und Pflegeleistungen für IT-Systeme zudem nicht bis ins letzte Detail beschreiben.
Zutreffend ist hingegen, dass die Leistungsbestimmung grundsätzlich nie von der Produktpalette eines bestimmten Anbieters her erfolgen sollte. Einschlägige Ausnahmen sollten sorgfältig begründet und dokumentiert werden. Technische Merkmale, die eine (vermeintlich) ausschließliche Leistungserbringung durch einen bestimmten Anbieter begründen sollen, sind konkret und zweifelsfrei zu benennen. Dies muss umso mehr bei OSS-Vergaben gelten. Wegen der grundsätzlich freien Verfügbarkeit des Quellcodes sind Pflegeleistungen und Weiterentwicklungen durch Dritte nicht ausgeschlossen. Der Begründungsaufwand dürfte in diesem Bereich ungleich höher sein.
Interessant ist die von der Vergabekammer im Zusammenhang mit der Wahl der Verfahrensart angerissene Frage, ob der Beschaffungsbedarf statt umfangreicher Nachbeauftragungen im Vorfeld entsprechend festzulegen ist. Vorliegend betrafen die Vorbeauftragungen entgeltliche OSS-Services. Die reine Nutzung von OSS unterfällt mangels Entgeltlichkeit hingegen nicht dem Vergaberecht. Die Entscheidung der Vergabekammer könnte aber darauf hindeuten, dass auch eine ursprünglich unentgeltliche Nutzung mit Blick auf bereits absehbar erforderliche Dienst-/Pflegeleistungen gedacht werden müsste.
Praxistipp
Die Frage, ob die Voraussetzungen einer freiwilligen Ex-ante Transparenzbekanntmachung vorlagen, hat die Vergabekammer gar nicht behandelt. Mit Blick auf das vom Antragsteller behauptete Fehlen einer wettbewerblichen Vergabe (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB) überprüfte sie die Beauftragung vielmehr vollumfänglich. Dies zeigt anschaulich, dass das Instrument der Ex-ante Transparenzbekanntmachung nicht leichtfertig eingesetzt werden sollte.
Man kann Auftraggeber nicht oft genug zu einer gründlichen Verfahrensdokumentation ermutigen. Gerade auch bei OSS-Vergaben ist der Mindestinhalt einzuhalten (Wahl einer wettbewerbsbeschränkenden Verfahrensform). Diesbezügliche Dokumentationsmängel lassen sich später nicht mehr heilen.
Bei Bestandsnutzung einer OSS sind Auftraggeber nicht ohne Weiteres zur (Direkt-)Beauftragung des OSS-Anbieters berechtigt. Vor allem sollten sie sich nie auf bloße Beteuerungen des Bestandsanbieters verlassen. Diese ersetzen keine Marktanalyse.
Auch bei der zunächst unentgeltlichen Nutzung einer OSS sollte ein Auftraggeber den Blick auf ggf. erforderlich werdende Dienst- und Pflegeleistungen nicht grundsätzlich verschließen. Dies gilt jedenfalls, soweit sich diese in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang abzeichnen (Stichwort: funktionaler Auftragsbegriff).
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Fabian Bader verfasst.
Anmerkung: Der Autor hat in dem Nachprüfungsverfahren den Auftraggeber vertreten.
Dr. Fabian Bader
Dr. Bader ist Rechtsanwalt bei der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Bader ist auf das Vergaberecht spezialisiert. Er berät schwerpunktmäßig öffentliche Auftraggeber bei der Gestaltung und Durchführung komplexer Vergabeverfahren sowie bei vergaberechtlichen Fragestellungen. Dabei befasst er sich auch mit Schnittstellen zu öffentlich-rechtlichen sowie organisationsrechtlichen Themen.
Dr. Martin Ott
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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