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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 19/06/2023 Nr. 53629

Wann führen Änderungen der Vergabeunterlagen zum Angebotsausschluss? (VK Bund, Beschl. v. 04.01.2023 – VK1-105/22)

EntscheidungBei Änderungen der Vergabeunterlagen müssen Auftraggeber stets prüfen, ob diese einen „manipulativen Eingriff“ darstellen, der zum Angebotsausschluss führt oder ob eine Aufklärung der abweichenden Angaben des Bieters geboten ist. Die Vergabekammer des Bundes hat entschieden, dass die handschriftliche Ergänzung weiterer Unterlagen in dem Angebotsschreiben des Bieters, die zum Vertragsinhalt erklärt werden sollen, zum Angebotsausschluss führt. Auch wenn Angebote nicht unnötig aus formalen Gründen ausgeschlossen werden sollen, kann von einem Ausschluss nur dann abgesehen werden, wenn das Angebot durch bloßes Streichen der abweichenden Bieterangaben auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen zurückgeführt werden kann. Vor dem Hintergrund, dass der Bundesgerichtshof den Ausschluss von Angeboten aus formalen Gründen im Jahr 2019 eingeschränkt hat, bleibt abzuwarten, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf die Frage des Angebotsausschlusses im Rahmen der sofortigen Beschwerde bewerten wird (OLG Düsseldorf – Verg 1/23).

 § 13 Abs. 1 Nr. 5 S. 2 VOB/A-EU, § 16 Nr. 2 VOB/A-EU

Leitsatz

  1. Ändert das Angebot des Bieters die Vergabeunterlagen ab, ist es zwingend auszuschließen. Eine solche Änderung an den Vergabeunterlagen liegt z. B. vor, wenn der Bieter durch handschriftliche Ergänzungen weitere Unterlagen zum Vertragsinhalt erklärt als der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen vorgesehen hat.
  2. Auch wenn Angebote nicht unnötig aus formalen Gründen ausgeschlossen werden sollen – jedenfalls wenn es sich um an sich vermeidbare, nicht gravierende formale Mängel handelt -, gilt dies nur dann, wenn das Angebot durch bloßes Streichen der von den ausgeschriebenen Vorgaben abweichenden Bieterangaben auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen „zurückgeführt“ werden kann.
  3. Bei „manipulativen Eingriffen“ in die Vergabeunterlagen, also in den Fällen, in denen ein Angebot inhaltlich von den ausgeschriebenen Vorgaben abweicht und kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt, wenn man die Abweichungen des Bieters hinwegdenkt, ist das Angebot auszuschließen.

Sachverhalt

In dem vorliegenden Fall schrieb ein Auftraggeber Bauleistungen für den „Ersatzneubau der Ufereinfassungen“ europaweit im offenen Verfahren aus. Zuschlagskriterien waren der „Preis“ und der „Technische Wert“, beide gewichtet mit 50 Prozent.

Das mit der Angebotsaufforderung den Bietern übersandte Formular „Angebotsschreiben“ enthielt dabei zwei Listen, eine mit der Überschrift „Anlagen, die Vertragsbestandteil werden“ und eine Liste „Anlagen, die der Angebotserläuterung dienen, ohne Vertragsbestandteil zu werden“. In der ersten Liste hinsichtlich der Vertragsbestandteile waren mit dem Zusatz „vom Bieter anzukreuzen und beizufügen“ vier Unterlagen vom Auftraggeber vorgegeben, u.a. das Leistungsverzeichnis / Leistungsprogramm mit Preisen und das Verzeichnis der Nachunternehmerleistungen. Neben jedem der aufgelisteten Unterlagen war ein Leerfeld zum Ankreuzen vorgesehen, wovon der Bieter nur die Zeile „Leistungsverzeichnis / Leistungsprogramm“ ankreuzte.

Vorliegend war sodann problematisch, dass der Bieter in seinem Angebotsschreiben die voreingetragenen Zeilen hinsichtlich der Anlagen, die Vertragsbestandteile werden, handschriftlich um neun weitere, dort von dem Aufraggeber nicht genannte Unterlagen ergänzte, u.a. das „Gerätekonzept“ und den „Bauzeitenplan“. Der Bieter deklarierte folglich neun weitere Unterlagen eigenständig als Vertragsbestandteile, obwohl diese vom Auftraggeber nicht vorgegeben waren.

Ein weiteres Problem stellte sich insofern, dass der Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung konkrete Angaben zum Einsatz von schwimmenden Fahrzeugen traf, von denen der Bieter im Leistungsverzeichnis hinsichtlich der angegebenen Breite in einem Fall abwich. So machte der Auftraggeber unter Ziff. 2.5.1 der Baubeschreibung die folgende Vorgabe, die bei Stundenlohnarbeiten durch schwimmende Geräte zu berücksichtigen war:

„max. Liege- / Arbeitsbreite der schwimmenden Geräte in der Wasserstraße für die Durchführung der Arbeiten 9,00 m.“

Der Bieter trug an der vorgesehenen Stelle des Leistungsverzeichnisses den Namen eines bestimmten Pontons („Ponton 16“) ein, gab in der Zeile „Geräte-Fahrzeugkenngröße“ jedoch an, dass dieser 9,50 m breit sei. Er wich folglich von der vorgegebenen maximalen Liege-/Arbeitsbreite von max. 9,00 m ab. Dieselben Angaben machte er zu dieser Position im „Bieterangabenverzeichnis“. In dem beigefügten „Gerätekonzept“ und der Anlage „Bauverfahren“ gab der Bieter hingegen an, dass er für die Baggerarbeiten einen „DreistelzenPonton 31“ einsetzen möchte, der 8,00 m breit ist. Insofern wurde die von dem Auftraggeber vorgegebene max. Breite von 9,00 m für die erforderlichen Baggerarbeiten eingehalten.

Das dritte Problem bestand darin, dass der Bieter für den Einbau des gelagerten Oberbodens in seiner Angebotsanlage „Bauverfahren“ und seinem „Gerätekonzept“ einen „Fahrmischer“ angeboten hatte, obwohl der Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung den Einsatz eines „Hochgeschwindigkeitszwangsmischers“ vorgegeben hatte. Insofern hieß es unter Position 9.1.40 der Leistungsbeschreibung wie folgt:

„Einbau mittels Pumpe, Gemisch mittels Hochgeschwindigkeitszwangsmischer herstellen“.

Mit Vorabinformationsschreiben teilte der Auftraggeber dem Bieter sodann mit, dass sein Angebot nicht das wirtschaftlichste gewesen sei, obwohl der Preis seines Angebots am niedrigsten war. Nachdem der Aufraggeber der Rüge der Vergabe der Wertungspunkte nicht abgeholfen hatte, leitete der Bieter ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die Besonderheit in diesem Verfahren bestand darin, dass der Auftraggeber selbst das Angebot des Bieters gar nicht ausgeschlossen hatte. Es war vielmehr die VK Bund, die erst in  der mündlichen Verhandlung äußerte, dass das Angebot des Bieters möglicherweise zwingend aus dem Vergabeverfahren auszuschließen sei, da dieses mehrere Änderungen an den Vergabeunterlagen enthalte.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag ist nach Ansicht der VK Bund unbegründet, weil das Angebot des Bieters wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A-EU i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 S. 2 VOB/A-EU zwingend auszuschließen sei. Auf etwaige Fehler hinsichtlich der Wertung komme es daher nicht an.

Ausschluss wegen handschriftlicher Ergänzungen

Die VK Bund vertritt die Auffassung, der Bieter habe mit seinem Angebot die Vergabeunterlagen geändert, indem er durch seine handschriftlichen Ergänzungen in dem Angebotsschreiben weitere Unterlagen zum Vertragsinhalt erklärte als der Auftraggeber dies in den Vergabeunterlagen vorgesehen hatte. Die Überschrift in der maßgeblichen Liste habe zwar den Zusatz „vom Bieter anzukreuzen und beizufügen“ enthalten. Dies sei nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter aber allein so zu verstehen, dass dies nur für die von dem Auftraggeber in den weiteren Zeilen bereits vorformulierten Sachverhalte gelte (hier: Leistungsverzeichnis / Leistungsprogramm, Verzeichnis der Nachunternehmerleistungen, Verzeichnis der Leistungen anderer Unternehmer, Erklärung der Bieter-/Arbeitsgemeinschaft). Dort habe der Bieter weitere Unterlagen durch Ankreuzen zum Vertragsbestandteil erklären können, wenn der betreffende Umstand in seinem Fall zutreffe, etwa der Einsatz von Nachunternehmern vorgesehen sei. Dadurch habe der Aufraggeber aber nicht zu erkennen gegeben, dass die Bieter hier selbst eigene Eintragungen vornehmen könnten. Zur Begründung verweist die VK Bund darauf, dass es sich vorliegend um ein offenes Verfahren und kein Verhandlungsverfahren handele, sodass die Bieter keinen Spielraum für eigene Vorschläge hätten. Aus den Vergabeunterlagen sei zudem hinreichend erkennbar gewesen, was Vertragsbestandteil werde, da das Angebotsschreiben die einzige Unterlage sei, aus der abschließend hervorgehe, welche Anlagen Vertragsbestandteil werden.

Ausschluss wegen abweichender Angaben zur Leistungsbeschreibung

Nach Ansicht der VK Bund stelle zudem auch die von der Leistungsbeschreibung abweichende Angabe der max. Breite des Pontons von 9,5 m in der maßgeblichen Leistungsposition und dem Bieterangabenverzeichnis eine zum Ausschluss des Angebots führende Änderung dar, weil die schwimmenden Geräte nach der Leistungsbeschreibung höchstens 9,0 m breit sein durften.

Zwar habe der Bieter in der Anlage zu seinem Angebot „Bauverfahren“ sowie in seinem „Gerätekonzept“ angegeben, für Nassbaggerarbeiten einen Ponton einzusetzen, der 8,0 m breit ist und damit den Vorgaben der Leistungsbeschreibung entsprechen würde. Es sei aus der maßgeblichen Sicht des Auftraggebers aber nicht erkennbar gewesen, dass von dem Bieter ausschließlich die in diesen Anlagen genannten Geräte eingesetzt werden sollen und es sich bei den Angaben in der Leistungsbeschreibung und im Bieterangabenverzeichnis um ein Versehen oder einen Übertragungsfehler handele. Insofern seien alle Angaben für sich genommen jeweils eindeutig, da der jeweils breitere Ponton auch eine andere Bezeichnung („Ponton 16“) aufweise. Eindeutige Angaben seien insofern nicht auslegungs- und nicht aufklärungsbedürftig und es gäbe auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass ein Bieter stets das anbieten wolle, was ausgeschrieben sei (BayObLG, Beschluss vom 17.06.2021 – Verg 6/21; OLG Schleswig, Beschluss vom 28.04.2021 – 54 Verg 2/21).

Die VK Bund nimmt sodann Bezug auf die grundlegende Entscheidung des BGH vom 18.06.2019 (Az. X ZR 86/17), nach der Angebote nicht unnötig aus formalen Gründen ausgeschlossen werden sollen, wenn es sich um an sich vermeidbare, nicht gravierende formale Mängel handelt. Insofern weist die VK Bund jedoch darauf hin, dass ein Angebotsausschluss auch nach dem BGH nur dann nicht erfolgen solle, wenn das Angebot durch bloßes Streichen der von den ausgeschriebenen Vorgaben abweichenden Bieterangaben auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen „zurückgeführt“ werden könne. Bei „manipulativen Eingriffen“ in die Vergabeunterlagen, also in den Fällen, in denen ein Angebot inhaltlich von den ausgeschriebenen Vorgaben abweiche und kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliege, wenn man die Abweichungen hinwegdenke, sei das Angebot auch nach dem BGH auszuschließen. Dies sei vorliegend der Fall, zumal der betroffene Kanal bei Einsatz eines überbreiten Pontons für die Zeit der Ausführung der Arbeiten für den Schiffsverkehr gesperrt werden müsse.

Abschließend weist die VK Bund darauf hin, dass auch der Umstand, dass der Bieter in seiner Angebotsanlage „Bauverfahren“ und seinem „Gerätekonzept“ einen „Fahrmischer“ angeboten habe, obwohl der Auftraggeber einen „Zwangsmischer“ vorgeschrieben hatte, zum Ausschluss des Angebots führe. Das Angebot sei nicht deshalb auszuschließen, da das von dem Bieter angebotene Gerät nicht eine bestimmte Geschwindigkeit erreiche, sondern weil es sich nicht um einen „Zwangsmischer“ handele. Es sei für einen objektiven Empfänger nicht erkennbar gewesen, dass das Mischergebnis bezüglich des herzustellenden Mischguts auch bei Einsatz des angebotenen Fahrmischers möglicherweise mit dem bei Einsatz eines Zwangsmischers vergleichbar sei.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der VK Bund ist insofern zu hinterfragen, ob hier tatsächlich ein zwingender Angebotsausschluss zu erfolgen hatte, da ein solcher nicht unnötig aus formalen Gründen, sondern grundsätzlich nur bei manipulativen Eingriffen in die Vergabeunterlagen erfolgen soll. Dies gilt umso mehr, da der Auftraggeber vorliegend offensichtlich selbst keinen Ausschluss des Angebots für geboten erachtet hat und dieser erst durch den Hinweis der Vergabekammer überhaupt thematisiert wurde.

Änderungen der Vergabeunterlagen

Zunächst einmal ist es zutreffend, dass die handschriftlichen Ergänzungen weiterer Unterlagen, die zum Vertragsinhalt erklärt werden, ebenso wie die Abweichung von technischen Vorgaben grundsätzlich eine Änderung der Vergabeunterlagen i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 5 S. 2 VOB/A-EU darstellen, die zum Ausschluss des Angebots gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A-EU führen können. Der Begriff der Änderungen an Vergabeunterlagen ist dabei weit zu verstehen (VK Sachsen, Beschluss vom 27.02.2020 – 1/SVK/044-19). Insofern können Änderungen in Ergänzungen und Streichungen bestehen, sich aber ebenso auf den technischen Inhalt der Leistungen beziehen. Demnach liegt eine Änderung der Vergabeunterlagen etwa vor, wenn der Bieter die zu erbringende Leistung abändert und eine andere als die ausgeschriebene Leistung anbietet. Ferner kann es eine Änderung darstellen, wenn der Bieter wesentliche Teile der ausgeschriebenen Leistung nicht so wie verlangt anbietet (Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV/UvGO, 3. Auflage, 2022, § 57 VgV Rn. 51).

Die VK Bund hat in den Leitsätzen zugleich zutreffend festgestellt, dass Angebote nicht unnötig aus formalen Gründen ausgeschlossen werden sollen, ein Ausschluss aber bei „manipulativen Eingriffen“ in die Vergabeunterlagen zu erfolgen hat. Dies entspricht der Linie der aktuellen Rechtsprechung, die nach dem grundlegenden Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2019 ergangen ist (BGH, Urteil vom 18.06.2019 – X ZR 86/17). So hat etwa das Oberlandesgericht Schleswig angenommen, dass der Ausschluss eines Angebots unter rein formalen Gesichtspunkten nicht mehr in Betracht kommt und etwaige Unklarheiten im Wege der Aufklärung zu beseitigen sind (OLG Schleswig, Beschluss vom 12.11.2020 – 54 Verg 2/20). Bei der Frage, ob ein Angebotsausschluss bei Abweichungen von den Vergabeunterlagen zu erfolgen hat, kann zudem nicht unberücksichtigt bleiben, dass Grundvoraussetzung für die Annahme einer Änderung ist, dass die Vergabeunterlagen selbst klar und eindeutig sind. Danach stellen interpretierbare oder missverständliche Angaben keine Änderung dar, zumal Zweifel an der Auslegung und fehlende eindeutige Vorgaben grundsätzlich zu Lasten des Auftraggebers gehen (VK Sachsen, Beschluss vom 27.02.2020 – 1/SVK/044-19).

Aufklärung vor Ausschluss

Mit Urteil vom 18.06.2019 hat der Vergabesenat des BGH ein grundlegendes Urteil erlassen, mit dem er den voreiligen Ausschluss von Angeboten infolge von „Änderungen der Vergabeunterlagen“ eingeschränkt hat  (BGH, Urteil vom 18.06.2019 – X ZR 86/17). Zwar ging es in der Entscheidung des BGH konkret um die Frage, ob ein Angebotsausschluss zu erfolgen hat, wenn ein Bieter mit seinem Angebot abweichende Zahlungsbedingungen stellt. Der BGH hat in seiner Entscheidung aber zugleich Feststellungen getroffen, die auch bei der Bewertung von anderen Sachverhalten, in denen ein Angebotsausschluss infolge von Änderungen erfolgen soll, herangezogen werden können.

Insofern hat der BGH in seiner Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass die „vom Gedanken formaler Ordnung geprägte strenge Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs namentlich zur Handhabung der Angebotsausschlussgründe“ mit dem Inkrafttreten der VOB/A 2009 entfallen sei. Zwar sei der Ausschlussgrund der Änderungen an den Vergabeunterlagen vom Wortlaut her unverändert geblieben, die Regelung zum Ausschluss sei jedoch dem „Wertungswandel in den rechtlichen Grundlagen der Vergabebestimmungen angepasst auszulegen und anzuwenden“. Im Grundsatz sieht der BGH daher fortan auch bei Änderungen oder Ergänzungen der Vergabeunterlagen das Erfordernis einer Aufklärung des Angebots, um einen unnötigen Ausschluss aus formalen Gründen zu vermeiden. Etwas anderes soll allerdings bei „manipulativen Eingriffen in die Vergabeunterlagen im eigentlichen Sinne“ gelten. Diese sind nach dem BGH dadurch gekennzeichnet, „dass ein von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweichendes Angebot abgegeben wird und bei Hinwegdenken solcher Abweichungen gerade kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt.“ Das Urteil des BGH wurde in den vergangenen Jahren kontrovers diskutiert und der Ansatz, dass nicht gleich jedes Versehen eine Änderung darstellt, die zwingend einen Ausschluss des Angebots nach sich zieht, wird in der vergaberechtlichen Literatur durchaus begrüßt und dürfte sich auch in der Spruchpraxis der Vergabekammern durchsetzen, wie etwa die vorbenannte Entscheidung des OLG Schleswig zeigt (Diekmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV / UVgO, 3. Auflage, 2022, § 57 VgV Rn. 57; OLG Schleswig, Beschluss vom 12.11.2020 – 54 Verg 2/20). Im Sinne einer „normativ geprägten Betrachtung“ dürfte daher davon auszugehen sein, dass ein Bieter grundsätzlich ein Angebot einreichen will, mit dem er auch den Zuschlag erhalten kann. Wird dieses Ziel durch abweichende Angaben des Bieters gefährdet, unterliegt er regelmäßig einem Missverständnis über die Wertungsfähigkeit seines Angebots. Die Frage, ob ein Ausschluss des Angebots zwingend zu erfolgen hat, dürfte sodann davon abhängen, „ob das Angebot unproblematisch auf den Inhalt zurückgeführt werden kann, den es nach den Vergabeunterlagen nur haben darf“ (Gröning, NZBau 2020, 275). Dies vorangestellt, ist nachfolgend zu überprüfen, ob der von der VK Bund vorgenommene Ausschluss des Angebots tatsächlich zwingend war.

Führen die handschriftlichen Ergänzungen zum Angebotsausschluss?

Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob die handschriftliche Ergänzung des Bieters hinsichtlich der Anlagen, die Vertragsbestandteile werden, um neun weitere Unterlagen einen Ausschluss des Angebots tatsächlich zu rechtfertigen vermag. Vor dem Hintergrund, dass der Auftraggeber mit dem Formblatt „Angebotsschreiben“ zwei Listen vorgab, nämlich eine mit der Überschrift „Anlagen, die Vertragsbestandteil werden“ und eine mit der Überschrift „Anlagen, die der Angebotserläuterung dienen, ohne Vertragsbestandteile zu werden“, stellt sich bereits die Frage, ob die Vorgaben des Auftraggebers insofern hinreichend klar und eindeutig genug waren. Dies könnte durchaus abweichend von der VK Bund bewertet werden, da einzelne Unterlagen, etwa das „Gerätekonzept“ und der „Bauzeitenplan“, von dem Aufraggeber selbst hinsichtlich der Gewichtung der Zuschlagskriterien herangezogen werden sollten und mit dem Angebot vorzulegen waren. Im Lichte der vorbenannten Entscheidung des BGH könnte daher zugunsten des Bieters von einem Missverständnis hinsichtlich der Unterlagen, die Vertragsbestandteile werden sollten, ausgegangen werden. Würde man sich die neun handschriftlich ergänzten „Vertragsbestandteile“, wie vom BGH angenommen, sodann hinwegdenken, würde zudem noch immer ein annahmefähiges Angebot des Bieters vorliegen. Insofern erscheint es vertretbar, in den handschriftlichen Ergänzungen des Bieters keinen manipulativen Eingriff, sondern ein aufklärungspflichtiges Missverständnis zu sehen. Die Annahme der VK Bund, den Ausschluss des Angebots infolge der handschriftlichen Ergänzungen als zwingend zu erachten, kann daher durchaus in Frage gestellt werden.

Gebotene Aufklärung der Angaben zum Geräteeinsatz

Soweit der Bieter hinsichtlich des vorgesehenen Einsatzes des Pontons in der Leistungsposition 15.2.20 abweichend zu der Vorgabe des Auftraggebers ein Gerät mit einer Breite von 9,50 m angab, erscheint es fraglich, ob hierauf ein Angebotsausschluss tatsächlich gestützt werden kann. Dies vor dem Hintergrund, dass in dem beigefügten „Gerätekonzept“ und der Anlage „Bauverfahren“ von dem Bieter angegeben wurde, dass für die maßgeblichen Baggerarbeiten ein Ponton eingesetzt werden soll, der 8,00 m breit ist und somit die Vorgaben des Auftraggebers erfüllt. Der unter der Position 15.2.20 der Leistungsbeschreibung angegebene Ponton mit einer abweichenden Breite von 9,50 m betraf hingegen geringfügige Stundenlohnarbeiten, sodass hier ein Widerspruch zwischen den Angaben des Bieters bestand.

Unter Berücksichtigung der aufgestellten Grundsätze des BGH war es für den Auftraggeber durchaus erkennbar, dass es sich bei der abweichenden Angabe in der Leistungsposition um ein Versehen des Bieters handeln dürfte. Denn gerade in einem geforderten Gerätekonzept werden seitens eines Bieters detailliertere Angaben zum vorgesehenen Geräteeinsatz getroffen. Dies gilt vorliegend umso mehr, da das Gerätekonzept nach den Vorgaben des Auftraggebers eine Unterlage darstellte, die mit dem Angebot vorzulegen und die auch hinsichtlich der Gewichtung der Zuschlagskriterien von Bedeutung war. Insofern ist davon auszugehen, dass der Bieter gerade hinsichtlich des Gerätekonzepts besonders sorgfältig vorging und die Abweichung zur Angabe im Leistungsverzeichnis für den Auftraggeber erkennbar ein Versehen des Bieters darstellte. Zwar ist es richtig, wenn die VK Bund ausführt, dass es keinen Erfahrungssatz gäbe, dass ein Bieter stets das anbieten wolle, was ausgeschrieben sei. Gleichwohl erscheint es hier aufgrund der eindeutigen Angabe in dem geforderten Gerätekonzept nicht lebensnah, wenn man annehmen wollte, der Bieter habe ein Gerät einsetzen wollen, das von seinen Maßen nicht zur Ausführung der ausgeschriebenen Leistungen geeignet ist. Anders als von der VK Bund angenommen, ließe es sich daher aufgrund der offensichtlich widersprüchlichen Angaben des Bieters zum Einsatz der schwimmenden Geräte vertreten, dass hier eine Angebotsaufklärung erfolgen musste und der Ausschluss des Angebots nicht zwingend ist. Insofern hatte die VK Bund selbst in einem Beschluss aus dem Jahr 2018 festgestellt, dass Angebote, die wegen widersprüchlicher Angaben an sich ausschlusswürdig sind, nicht ohne Weiteres von der Wertung auszunehmen sind. Vielmehr ist der Bieter zuvor zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufzufordern und ihm Gelegenheit zu geben, den Tatbestand der Widersprüchlichkeit der Angaben nachvollziehbar auszuräumen (VK Bund, Beschluss vom 18.04.2018 – VK 2-32/18).

Keine Eindeutige Vorgabe des „Zwangsmischers“?

Ob der Ausschluss des Angebots ohne vorherige Aufklärung tatsächlich darauf gestützt werden kann, dass der Bieter hier im Zusammenhang mit dem Einbau des gelagerten Oberbodens einen „Fahrmischer“ anbot, obwohl in der Leistungsbeschreibung ein „Hochgeschwindigkeitszwangsmischer“ vorgegeben wurde, erscheint ebenfalls zweifelhaft. Dies vor dem Hintergrund, dass Grundvoraussetzung für eine relevante Änderung im Sinne einer Abweichung zwischen Vergabeunterlagen und Angebot stets ist, dass die Vergabeunterlagen selbst klar und eindeutig sind, wobei interpretierbare oder missverständliche Angaben grundsätzlich zu Lasten des Auftraggebers gehen (VK Sachsen, Beschluss vom 27.02.2020 – 1/SVK/044-19). Anhand der vorliegenden Sachverhaltsdarstellungen erscheint es fraglich, ob die von dem Auftraggeber vorgenommene Gerätevorgabe, also der Begriff „Hochgeschwindigkeitszwangsmischer“, eindeutig genug war, sodass der angebotene „Fahrmischer“ tatsächlich eine zum Ausschluss führende Änderung darstellen würde. Ausweilich der Sachverhaltsinformationen entsteht vielmehr der Eindruck, dass der Begriff „Hochgeschwindigkeitszwangsmischer“ in Fachkreisen und somit nach dem Empfängerhorizont eines potentiellen Bieters nicht gebräuchlich ist und zu Unklarheiten führt. Dies dürfte wiederum zu Lasten des Auftraggebers gehen. Zudem scheint sich im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens herausgestellt zu haben, dass das Mischergebnis bei Einsatz des angebotenen „Fahrmischers“ vergleichbar sein dürfte. Da es dem Auftraggeber bei der Gerätevorgabe im Ergebnis um ein bestimmtes Mischergebnis, also die benötigte homogene Konsistenz des Mischguts, gegangen sein dürfte, erscheint es daher genauso vertretbar, für eine eindeutige Angabe in der Leistungsbeschreibung konkretere Angaben hinsichtlich des Mischergebnisses und der qualitativen Anforderungen an das einzusetzende Gerät in der Leistungsbeschreibung des Auftraggebers zu fordern (z.B. zur Mischmenge, zur benötigten Konsistenz und Dauerhaftigkeit des Mischguts und der Leistung des Geräts). Insofern bestehende Unklarheiten gingen wiederum zu Lasten des Auftraggebers und dürften einen Ausschluss des Angebots ohne Aufklärung nicht rechtfertigen.

Nach alledem erscheint der von der VK Bund vorgenommene Angebotsausschluss zumindest diskutabel und es bleibt abzuwarten, wie das OLG Düsseldorf die Frage im Rahmen der Beschwerde bewerten wird. Es verbliebe gleichwohl die Überprüfung der beanstandeten Vergabe der Wertungspunkte, mit der sich die VK Bund nicht auseinandergesetzt hat.

Praxistipp

Eine rein formalistische Betrachtungsweise ist hinsichtlich der Frage, ob eine Abänderung der Vergabeunterlagen zum Angebotsausschluss führen muss, nach der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2019 nicht mehr sachgerecht. Etwas anderes gilt aber bei manipulativen Eingriffen in Vergabeunterlagen im eigentlichen Sinne. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass ein von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweichendes Angebot abgegeben wird und bei Hinwegdenken solcher Abweichungen gerade kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt. Dies ist im jeweiligen Einzelfall zu überprüfen.

Im Grundsatz gilt für Auftraggeber jedoch, dass diese von einem Bieter vorgenommene Ergänzungen oder Änderungen vor einem Ausschluss des Angebots aufklären sollten bzw. eine Angebotsaufklärung vom Auftraggeber zumindest ernsthaft geprüft werden muss. Oftmals dürften sich abweichende Angaben sodann als Versehen oder Missverständnis herausstellen, sodass ein Angebotsausschluss regelmäßig nicht mehr zwingend sein dürfte, sofern auch nach der erforderlichen Streichung der abweichenden Bieterangaben weiterhin ein annahmefähiges Angebot vorliegt.

Gleichwohl sollten Bieter es weiterhin unbedingt vermeiden, Änderungen hinsichtlich der Vergabeunterlagen vorzunehmen. Anderenfalls kann, je nach Einzelfall berechtigt, ein Ausschluss des Angebots drohen. Bieter müssen daher rechtzeitig genügend Zeit für die Angebotserstellung einplanen und die konkreten Vorgaben des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung sorgfältig mit den angebotenen Leistungen abgleichen. Bestehen hinsichtlich einzelner Vorgaben Missverständnisse oder die Möglichkeit zu Interpretationsspielräumen sollten Bieter rechtzeitig vor Angebotsabgabe eine präzise Bieterfrage an den Auftraggeber richten, um bei der Angebotsabgabe auf der sicheren Seite zu sein. Dies auch vor dem Hintergrund, dass gerade bei der europaweiten Ausschreibung von Bauleistungen das Zuschlagskriterium „Technischer Wert“ immer mehr an Bedeutung gewinnt.

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Jan-Eric Smolarek

Der Autor Jan-Eric Smolarek ist Fachanwalt für Vergaberecht und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei der Wirtschaftskanzlei Dr. Schackow & Partner in Bremen und Hamburg. Er berät öffentliche Auftraggeber und Bieter bei der Durchführung von nationalen und europaweiten Vergabeverfahren und vertritt deren Interessen bundesweit in Nachprüfungsverfahren vor den zuständigen Vergabekammern. Zudem veröffentlicht Herr Smolarek regelmäßig Fachbeiträge und führt Schulungen zum Vergaberecht durch.

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