6 Minuten

Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 08/01/2024 Nr. 55463

Inhouse-Vergabe: Müssen Voraussetzungen bei Auftragsänderung noch vorliegen? (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.06.2023 – Verg 29/22)

EntscheidungAusschreibungsfreie Inhouse-Vergaben und Auftragsänderungen sind gängige Praxis in der Beschaffung. Beide Bereiche sind entsprechend reguliert. Im Jahr 2022 urteilte der EuGH (siehe ), dass ein Rechtsnachfolger die Leistungen eines inhouse-beauftragten Unternehmens nicht gemäß § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b) GWB fortführen darf, wenn die Inhouse-Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Der Vergabesenat in Nordrhein-Westfalen stellt nun die Frage an die Luxemburger Richter, ob es zulässig ist, einen ursprünglich inhouse vergebenen Auftrag später gemäß § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB zu ändern, wenn die Inhouse-Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erfüllt sind.

§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 GWB, § 108 Abs. 1 bis 5 u. 7 GWB; Art. 72 Abs. 1 Buchst. c) RL 2014/24/EU

Leitsatz (Vorlagefrage)

Ist § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB so zu verstehen, dass er auch für öffentliche Aufträge gilt, die vorher außerhalb des EU-Vergaberechts an eine Inhouse-Einrichtung vergeben wurden, aber die Inhouse-Vergabevoraussetzungen zum Zeitpunkt der Vertragsänderung nicht mehr erfüllt sind?

Sachverhalt

In den Jahren 1996 bis 1998 schloss Deutschland mit der damals bundeseigenen Tank & Rast AG Konzessionsverträge für den Betrieb von Autobahntankstellen und Raststätten ab, ohne vorherige Ausschreibung. Diese Verträge sind bis heute gültig. Die Konzessionen umfassen u.a. die Verpflichtung, eine festgelegte Anzahl von Zapfsäulen und Abfertigungsplätzen zu betreiben. Im Jahr 1998 erfolgte die Privatisierung der Tank & Rast AG.

Im Jahr 2022 wurden die bestehenden Konzessionsverträge ergänzt, um die eigenwirtschaftliche Übernahme von Errichtung, Unterhaltung und Betrieb von funktionsfähiger Schnellladeinfrastruktur zu ermöglichen. Das Schnellladegesetz (SchnellLG) schreibt vor, eine festgelegte Anzahl von Ladeplätzen pro Standort verfügbar zu halten. Diese Änderung wurde im EU-Amtsblatt bekannt gemacht. Der Verzicht auf ein Vergabeverfahren wurde mit § 132 GWB begründet: Der Aufbau der Schnellladeinfrastruktur sei als zusätzliche Dienstleistung im Rahmen der Konzessionsverträge notwendig, was beim damaligen Vertragsabschluss nicht vorhersehbar war.

Dagegen richtete sich ein Nachprüfungsverfahren. Es wurde damit begründet, dass § 132 GWB nicht anwendbar sei, weil die bestehenden Konzessionen nicht im Rahmen eines Vergabewettbewerbs vergeben wurden. Die VK Bund wies den Antrag zurück, da die Notwendigkeit der Schnellladeinfrastruktur im Jahr 1998 nicht vorhersehbar war. Nach einer zum OLG Düsseldorf erhobenen sofortigen Beschwerde scheide hingegen eine Änderung nach § 132 GWB aus, weil die Vorschrift nicht auf die Änderung von ursprünglich nicht im Wettbewerb, sondern ohne Ausschreibung an eine Inhouse-Einrichtung vergebene öffentliche Aufträge keine Anwendung fände. Zudem wurden die ursprünglichen Konzessionen als vergaberechtswidrig eingestuft, da sie im Wissen um eine anschließende Privatisierung vergeben worden seien. Aufgrund dessen ersuchte der nordrhein-westfälische Vergabesenat den EuGH um Vorabentscheidung.

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf meint, dass die Voraussetzungen von § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB bei den meisten Konzessionsverträgen erfüllt sind. So konnte der öffentliche Auftraggeber zwischen 1996 und 1998 nicht vorhersehen, dass es einen Bedarf für Schnellladeinfrastruktur an Autobahnraststätten geben würde. Die gesetzliche Verpflichtung dazu sei erst später entstanden. Zudem verändere die vertragliche Ergänzung der Schnellladeinfrastruktur weder den Gesamtcharakter der Konzession noch erhöhe sie den Wert um mehr als 50%.

Der Vergabesenat in Nordrhein-Westfalen betrachtet die Ergänzungsvereinbarung aber als wesentliche Änderung gemäß § 132 Abs. 1 Satz 1 GWB. Die Richter kritisieren in der Vergabe-RL die Formulierungen „neues“ und „ursprüngliches“ Vergabeverfahren als unklar. Nach allgemeinem Sprachverständnis spricht man von einem „neuen“ Verfahren, wenn zuvor ein „altes“ oder „ursprüngliches“ Vergabeverfahren stattgefunden habe. Dabei könnte das „Vergabeverfahren“ auch ein förmliches Verfahren bedeuten. Das OLG Düsseldorf hebt jedoch hervor, dass auch die Beauftragung einer Inhouse-Einrichtung als Vergabe eines Auftrags interpretiert werden könne.

Die Rechtsprechung des EuGH liefere nach oberlandesgerichtlicher Ansicht kein eindeutiges Ergebnis. Die Rechtssachen C-454/06 „pressetext“ und C-526/17 „KOM/Italien“ könnten so interpretiert werden, dass es für § 132 GWB nicht darauf ankommt, wie der ursprüngliche Auftrag zustande gekommen ist. Anders könnte hingegen die Rechtssache C-719/20 „Commune di Lerici“ verstanden werden: Das Urteil unterstütze die generelle Herausnahme von ursprünglich an eine Inhouse-Einrichtung vergebene Aufträge aus dem Anwendungsbereich von § 132 GWB, wenn die Voraussetzungen für eine Inhouse-Vergabe zum Zeitpunkt der Vertragsänderung nicht mehr gegeben sind. Das Ziel des EU-Vergaberechts, einen umfassenden Wettbewerb zu fördern, wäre nicht erfüllt, wenn Änderungen an einem ursprünglich inhouse vergebenen Auftrag während der Laufzeit ohne Neuvergabe möglich wären, obwohl die Inhouse-Kriterien aktuell nicht mehr erfüllt sind.

Rechtliche Würdigung

Die zentrale Frage betrifft die Anwendbarkeit von § 132 GWB auf öffentliche Aufträge, die ursprünglich aufgrund einer Ausnahmevorschrift, wie zum Beispiel dem Inhouse-Geschäft gemäß § 108 GWB, nicht im Rahmen eines Ausschreibungswettbewerbs vergeben wurden.

Den Düsseldorfer Richtern ist zuzustimmen, dass § 132 GWB bzw. Art. 72 RL 2014/24/EU nicht eindeutig klären, ob der Vertragsabschluss das Ergebnis eines vorherigen förmlichen Vergabeverfahrens sein muss oder nicht. Es besteht keine zwingende Schlussfolgerung dafür, dass die Formulierung „neues Vergabeverfahren“ in Art. 72 RL 2014/24/EU bedingt, dass der ursprüngliche Auftrag auch ein „altes Vergabeverfahren“ im förmlichen Sinne voraussetzen muss. Ebenso könnte die Interpretation sein, dass kein „neues Vergabeverfahren“ notwendig ist, weil möglicherweise bereits kein „altes Vergabeverfahren“ erforderlich war.

Das hauptsächliche Ziel von § 132 GWB besteht darin, Flexibilität zu ermöglichen, um pragmatisch auf außergewöhnliche Sachverhalte zu reagieren (EuGH, Urteil v. 03.02.2022 – C-461/20 Advania, Rdnr. 37). Entscheidend dafür sollte nicht grundsätzlich sein, wie der Auftrag oder der Vertrag ursprünglich zustande kam (siehe Scharen, in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 4. Aufl. 2017, § 132 Rdnr. 5). Die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens oder die direkte Vergabe aufgrund einer Ausnahme sollte daher für § 132 GWB nicht generell von Bedeutung sein. Nach Erwägungsgrund 109 kann dies jedoch nicht für Fälle gelten, in denen eine Änderung das Wesen des gesamten Auftrages verändert. Andernfalls würden der Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt (EuGH, Urteil v. 07.12.2023 – C-441/22 u. C-443/22, „Obshtina Razgrad“). Das Verbot der Änderung des Gesamtcharakters des Auftrags durch eine spätere Vertragsänderung ist in § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB bereits normiert. Solange und soweit eine spätere Änderung eines ursprünglich inhouse vergebenen Auftrages nicht darauf abzielt, das Vergaberecht zu umgehen, sollte die Anwendung von § 132 GWB möglich sein.

Praxistipp

Die ausschreibungsfreie Änderung eines Inhouse-Auftrages wegen unvorhersehbarer Umstände i.S.d. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB sollte jedenfalls bis zu einer Entscheidung des EuGH in dem Vorabentscheidungsersuchen – vorsorglich nur dann erfolgen, wenn auch die Inhouse-Voraussetzungen im Zeitpunkt der vertraglichen Änderung noch vorliegen.

Avatar-Foto

Holger Schröder

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss „Fachanwalt für Vergaberecht“ der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (5 Bewertungen, durchschn.: 3,60aus 5)

Loading…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert