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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 13/01/2025 Nr. 69038

Zum richtigen Umgang mit Fragen (und Rügen) im Vergabeverfahren!

VK Nordbayern, Beschl. v. 11.09.2024 – RMF-SG21-3194-9-18

EntscheidungDer richtige Umgang bei der Beantwortung von Fragen bzw. der Bekanntgabe/Verteilung von Informationen während eines laufenden Vergabeverfahrens führt in der Praxis regelmäßig zu Unsicherheiten und damit zusammenhängenden Problemen. So auch im von der VK Nordbayern zu entscheidenden Fall. Im Einklang mit der bisherigen Spruchpraxis ist die private, das heißt nicht-öffentliche Beantwortung von Fragen nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen möglich. Die Argumentation der Auftraggeberin „(p)rivat beantwortet worden seien lediglich Verständnisfragen einzelner Bieter“, bei denen „(t)eilweise (…) kein öffentliches Interesse an den Antworten bestanden (habe)“ verfängt insofern regelmäßig nicht. Denn aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot resultiert, so völlig zutreffend die Vergabekammer, „grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen“.

Im Regelfall gehen nur unterlegene Bieter gegen die private Beantwortung einer Bieterfrage vor. Im vorliegendem Fall ist jedoch ein Unternehmen gegen die ihm gegenüber erfolgte (private) Beantwortung von Bieterfragen vorgegangen. Dies kann nach Auffassung der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag begründen, denn „die ausschließlich private Beantwortung der Fragen des rügenden Bieters verletzt diesen in seinen Rechten, da es ist nicht auszuschließen ist, dass die anderen Bieter bei Erhalt dieser Informationen ihre Angebote so verändert hätten, dass sich dies zugunsten des rügenden Bieters ausgewirkt hätte“.

Dem unten stehenden Praxistipp können Sie ein paar Grundsätze betreffend den Umgang mit Fragen im Vergabeverfahren entnehmen.

§§ 121 Abs. 1 Satz 1 GWB, 20 Abs. 3 VgV 

Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb Planungsleistungen für den Ersatzneubau von Brücken (Leistungsphasen 8 und 9) aus. Im laufenden Vergabeverfahren wurden von mehrere Planungsunternehmen Bieterfragen, insbesondere zur Preiskalkulation, gestellt. Gegenstand dieser Fragen war im Wesentlichen, ob und wie der Bau bzw. Abbau einer Behelfsbrücke/-umfahrung in die Preiskalkulation mit aufzunehmen war.

Auf die überwiegende Zahl dieser Fragen antwortete die Antragsgegnerin der Antragstellerin gegenüber lediglich privat, d.h. eine öffentliche Beantwortung der gestellten Fragen gegenüber allen Bietern erfolgte nicht. Die Antragstellerin rügte dieses Vorgehen, denn nicht alle Bieter hätten den gleichen Informationsstand, weshalb ein Vergabeverstoß vorliege. Den Rügen wurde nicht abgeholfen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit dem angestrengten Nachprüfungsverfahren.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Der Nachprüfungsantrag ist im Hinblick auf die privat an die Antragstellerin übermittelten Antworten erfolgreich. Bei Fortbestehen der Vergabeabsicht wird die Vergabestelle daher verpflichtet, alle Bieter erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern.

Zum grundsätzlichen Umgang mit Fragen führt die Vergabekammer unter Verweis auf diverse (ältere) Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen u.a. Folgendes aus:

„Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot resultiert grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen (). Das Absehen von der Übermittlung der Antworten an die anderen Bieter stellt nach der Rechtsprechung die Ausnahme dar, die nur unter bestimmten Umständen angenommen werden kann: Das betrifft etwa generelle, auf allgemeinen Kenntnissen beruhende Auskünfte (). Dies kann auch für Fragen gelten, deren Beantwortung sich in bloßen Wiederholungen von ohnehin bekannten und zweifelsfrei transparenten Vorgaben erschöpfen und die damit die Schwelle zur „Auskunft“ oder zur „Zusatzinformation“ nicht überschreiten, sondern die lediglich einem rein subjektiven, redundanten Informationsbedürfnis des Fragestellers entspringen. Eine Mitteilungspflicht wird auch dann nicht gesehen, wenn es sich nicht um zusätzliche Informationen handelt oder wenn die Fragen offensichtlich das individuelle Missverständnis eines Bieters betreffen, die allseitige Beantwortung der Frage Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verletzt oder die Identität des Bieters preisgeben würde. Die Mitteilungspflicht betrifft zudem nur sachdienliche Auskünfte, also solche, die objektiv mit der Sache zu tun haben und Missverständnisse ausräumen oder Verständnisfragen zu den Vergabeunterlagen beantworten. Mitteilungsbedürftig sind damit insbesondere Bieterfragen, die zu einer Änderung der Vergabeunterlagen führen oder solche Antworten, die Auswirkungen auf die Kalkulation der Angebote haben  […]“.

Es bestand eine vergaberechtliche Verpflichtung zur Übermittlung der der Antragstellerin privat übermittelten Antworten auch an die anderen Bieter, da sie „teilweise zusätzliche angebotsrelevante Informationen beinhalten“. Dabei gilt zu berücksichtigen,

„dass die Nichtübermittlung an andere Bieter vor dem Hintergrund des vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes die Ausnahme darstellt. Weiter gilt zu berücksichtigen, dass die Fragen und Antworten überwiegend Art und Umfang der Leistung bzw. die Kalkulation einzelner Bestandteile betreffen. Weiter kann nach Auffassung der Vergabekammer offenbleiben, ob angesichts des späten Zeitpunkts der Bieterfragen eine Verpflichtung zur Beantwortung bestand, da dies nach Auffassung der Vergabekammer im Fall einer Beantwortung nicht den Grundsatz berührt, dass Antworten auf Bieterfragen grundsätzlich allen Bietern mitzuteilen sind.“

Bei der Auslegung der Vergabeunterlagen ist „im hiesigen Fall der Leistungsbeschreibung“ eine objektive Betrachtung anzustellen. Es ist auf das Verständnis eines verständigen und sachkundigen durchschnittlichen Bieters abzustellen. Im Rahmen der Auslegung ist dabei dem Wortlaut eine besondere Bedeutung beizumessen. Allerdings „sind Hinweise, die infolge von Bieterfragen und Rügen erteilt werden, mit einzubeziehen. Derartige Hinweise können dazu führen, dass Vergabeunterlagen nachträglich intransparent werden“.

Die Vergabekammer hebt hervor, dass mit den Antworten die Information gegeben werde, dass die Betreuung des Rückbaus der Behelfsumfahrung und der Behelfsbrücke Nr. 3, ggf. auch der anderen beiden Behelfsbrücken Teil der ausgeschriebenen Leistungen ist und dementsprechend zu kalkulieren war. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass in den Kalkulationsdatenblättern nirgends gesondert die anrechenbaren Kosten betreffend den Rückbau der Behelfsumfahrung und der Behelfsbrücken aufgeführt wird.

Nach Auffassung der Vergabekammer „ist die Leistungsbeschreibung bei objektiver Betrachtung nicht mehr eindeutig“. Dies gilt ungeachtet des Wortlauts der Leistungsbeschreibung, weil die Informationen auf die Fragen hier konträr sind und die jeweiligen Aussagen sich nicht mehr in Einklang bringen lassen. Damit war vorliegend in der Sache unklar, ob die Betreuung des Rückbaus der Behelfsumfahrung und der Behelfsbrücken Teil des ausgeschriebenen Auftrags sind oder nicht.

Die Antragstellerin wurde durch die (nachträglich) intransparente Leistungsbeschreibung in Ihren Rechten verletzt, da für sie damit unklar war, wie sie kalkulieren sollte. Für die Antragstellerin ist nach Ansicht der Vergabekammer insoweit „eine Kalkulation unter diesen Umständen nicht zumutbar“.

Rechtliche Würdigung

Die Vergabekammer hatte sich mit dem äußerst praxisrelevanten Problem der richtigen Beantwortung von Fragen im Vergabeverfahren zu befassen. Hierbei stellt die Vergabekammer im Einklang mit der anderweitigen Spruchpraxis zum einen klar, dass Fragen grundsätzlich öffentlich zu beantworten sind. Zum anderen fasst die Vergabekammer die Spruchpraxis zur Art und Weise der Beantwortung und den Ausnahmen von der öffentlichen Verteilung an alle Bieter zutreffend zusammen.

Besonders lag der Fall jedoch insofern, als dass das Unternehmen gegen die durch die private, ihm gegenüber erfolgte, Beantwortung hervorgerufene Unklarheit der Leistungsbeschreibung vorgeht. Den Regelfall bildet es, das dritte Unternehmen, welche möglicherweise durch die private Beantwortung benachteiligt wurden, ein Nachprüfungsverfahren anstrengen. Die Vergabekammer kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass die private Beantwortung einer Frage auch das Unternehmen belasten kann, welches die private Beantwortung erhält. Das Ergebnis ist nur folgerichtig. Denn die grundsätzlich vergaberechtswidrige Handlung der privaten Beantwortung kann genauso den Empfänger der Antwort beschweren. Dies tritt insbesondere dann ein, wenn wie im hiesigen Fall Missverständnisse über Leistungsinhalte geklärt werden sollen, welche sich wegen der privaten Beantwortung der Frage, zu Gunsten der von der Beantwortung nicht adressierten Bieter auswirken (könnten). Dies wird dadurch getragen, dass die private Beantwortung der Frage nicht zwangsläufig einen Vorteil, sondern vielmehr auch einen Nachteil gegenüber anderen Bietern darstellen kann. Diese hätten unter Berücksichtigung der Antwort ihre Angebote durch die Einpreisung von Wagnis- und/oder Risikozuschlägen möglicherweise anpassen müssen.

Nur am Rande Gegenstand der Entscheidung der Vergabekammer war die äußerst praxisrelevante Frage, ob etwas anderes gilt, wenn der Frage (zugleich oder nur) eine Rüge gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB innewohnt. Die Abgrenzung ist im Einzelfall schwierig. Dies veranschaulicht ein Beschluss der VK Bund vom 28.05.2020 zum Az. VK 1-34/20. Ob ein konkretes Bieterverhalten eine Rüge darstellt, ist danach objektiv zu beurteilen und steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Ergibt sich aus dem Inhalt der Frage, „dass es sich nicht nur um eine bloße (Verständnis-) Frage oder um eine reine Äußerung rechtlicher Zweifel handelt, sondern dass das Vorgebrachte als Mitteilung zu verstehen sein soll, dass der Bieter die derzeitige Vorgehensweise des Auftraggebers für vergabefehlerhaft hält, verbunden mit der ernstgemeinten Aufforderung an den Auftraggeber, diesen Vergaberechtsverstoß zu beseitigen“, handelt es sich nach Ansicht der VK Bund um eine Rüge. Die Abgrenzung ist insofern fließend und keineswegs einfach. Umso mehr stellt sich die Frage, ob die Einordnung einer „Frage“ als Rüge zu einem anderen Ergebnis führen kann. Ich meine hier ist folgende Vorgehensweise geboten:

  • Sofern es durch die Nichtabhilfemitteilung zur Übermittelung von Informationen kommt, welche sich auf den Vergabegegenstand, insbesondere die Leistungsbeschreibung, auswirken können, ist der Auftraggeber gehalten, diese Informationen allen anderen Bietern ebenfalls mitzuteilen. Auch die Vergabekammer spricht vorliegend insofern zutreffend davon, dass „Hinweise, die infolge von Bieterfragen und Rügen erteilt werden, mit einzubeziehen“ sind. Dies kann beispielsweise durch die Aufnahme von ergänzenden Hinweisen in einen Fragen- und Antwortenkatalog geschehen.
  • Unabhängig davon ist die Rüge dem rügenden Bieter gegenüber privat – individuell – explizit zurückzuweisen (idealerweise ergänzt um (weitere) rechtlichen Erläuterungen). Zum einen wird der Bieter dadurch in die Lage versetzt, zu prüfen, ob es sich mit der Zurückweisung abfindet oder diese zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens macht. Zum anderen wird dadurch regelmäßig die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB in Gang gesetzt und damit Rechtssicherheit geschaffen.

Die in der Praxis sehr verbreitete bloß individuelle Beantwortung einer Rüge kann mithin zu dem vergleichbaren Ergebnis führen wie vorliegend von der Vergabekammer als unzulässig beanstandet.

Praxistipp

In Anbetracht der Entscheidung der Vergabekammer werden nachfolgend sechs Grundsätze für Auftraggeber im Zusammenhang mit dem Umgang von Fragen während des Vergabeverfahrens aufgestellt:

(1)  Antworten auf Fragen von Bewerbern (während des Teilnahmewettbewerbs) und/oder von Bietern (während des Vergabeverfahrens) sind grundsätzlich allen Bewerbern/Bietern gleichermaßen bekannt zu geben (z.B. in Gestalt eines Fragen- und Antwortenkatalogs).

(2) Ausnahmen von diesem Grundsatz sind selten. Ein solcher Ausnahmefall kann bei Fragen vorliegen, deren Beantwortung sich in bloßen Wiederholungen von ohnehin bekannten und transparenten Vorgaben erschöpfen und die damit die Schwelle zur „Auskunft“ oder zur „Zusatzinformation“ nicht überschreiten oder bei Fragen, welche das individuelle Missverständnis eines Bieters betreffen (vgl. zum Ganzen auch die hier besprochene Entscheidung m.w.N.).

(3)  Wenn es sich bei der Frage (zugleich) um eine Rüge handelt, ist die Rügezurückweisung dem Fragesteller/Rügenden individuell mitzuteilen, um die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB in Gang zu setzen. Sofern die Nichtabhilfemitteilung Informationen von allgemeinem Interesse enthält, sind diese Informationen allen anderen Bietern (ebenfalls) mitzuteilen.

(4)  Antworten auf Fragen gehören zu den Vergabeunterlagen und sollten nach Zuschlagserteilung Bestandteil des späteren Vertrags werden. Da dies nicht ganz eindeutig ist (instruktiv hierzu OLG Celle, Beschluss vom 12.10.2021 zum 13 Verg 7/21), empfiehlt es sich den Fragen- und Antwortenkatalog explizit als Anlage zum betreffenden Vertrag zu benennen. Dies bedeutet zugleich, dass die sonstigen Vergabeunterlagen, allen voran die Vertragsbedingungen und die Leistungsbeschreibung, zusammen mit den Antworten ein eindeutiges Verständnis ergeben müssen.

(5)  Sofern vor dem Hintergrund einer Frist zur Beantwortung von Fragen (z.B. in § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VgV) eine Fragefrist vorgegeben worden ist, ist diese zu beachten. Sollen verspätete nicht rechtzeitige Fragen doch noch beantwortet werden, ist eine Verlängerung der Teilnahme- bzw. Angebotsfrist in Betracht zu ziehen bzw. mitunter unumgänglich. Hier kommt es freilich sehr auf die Umstände des Einzelfalls an.

(6)  Sofern eine Frage Rückschlüsse auf die Identität des Bewerbers / Bieters mit sich bringt, ist es ratsam, die Frage moderat umzuformulieren, so dass dem Geheimwettbewerb Rechnung getragen wird.

Im Einzelfall können Sachverhaltskonstellationen allerdings dazu führen, dass Abweichungen von den vorgenannten Grundsätzen gerechtfertigt sind.

Bietern ist auf der anderen Seite zu empfehlen, die eingehenden Fragen und Antworten genau zu verfolgen und bei Unklarheiten, Widersprüchen etc. zu anderen Vergabeunterlagen ggf. eine Nachfrage zu stellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Unklarheit Bedeutung für die Preiskalkulation hat. Werden bestimmte Informationen dem Bieter nur individuell zur Kenntnis gegeben, z.B. weil der Auftraggeber von einer Rüge des Bieters ausgeht, kann unter Berufung auf die hier besprochene Entscheidung ein Hinweis an den Auftraggeber, die Informationen bitte auch allen anderen Bietern zur Verfügung zu stellen, ratsam sein.

 

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Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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