In seinem Urteil vom 22.3.2013 – 90 O 51/13 – hat das LG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren u.a. festgestellt, dass bei der Vergabe eines Gas-Konzessionsvertrages, eben so wie bei der öffentlichen Auftragsvergabe im Unterschwellenbereich, keine Wartefrist analog § 101a GWB zu beachten ist.
Sachverhalt
Die Verfügungsklägerin war bisherige Gas-Konzessionärin in einer nordrhein-westfälischen Stadt. Das Ende des Gas-Konzessionsvertrages hat die Stadt gemäß § 46 Abs. 3 EnWG rechtzeitig bekanntgegeben. Das anschließend von der Stadt durchgeführte Auswahlverfahren zur Neuvergabe des Gas-Konzessionsvertrages endete mit einer gegen die Verfügungsklägerin lautenden Entscheidung. Hiergegen hat sich die Verfügungsklägerin zunächst erfolgreich vor dem VG Aachen mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gewehrt. Vor dem OVG Nordrhein-Westfalen konnte die Stadt mit ihrer gegen die einstweilige Anordnung gerichteten Beschwerde nicht durchdringen, weshalb sie sich dazu entschloss, ein neues Auswahlverfahren durchzuführen. Dieses Auswahlverfahren konnte die Verfügungsklägerin erneut nicht zu ihren Gunsten entscheiden. Über ihre neuerliche Nichtberücksichtigung wurde die Verfügungsklägerin von der Stadt mit begründetem Schreiben informiert.
Noch am selben Tage der Unterrichtung der Verfügungsklägerin schloss die Stadt den Gas-Konzessionsvertrag mit dem aus ihrer Sicht bestbietenden Unternehmen ab. Gegen die Neuvergabe hat sich die Verfügungsklägerin nun vor dem LG Köln juristisch zur Wehr gesetzt. Sie war der Ansicht, die Stadt hätte ihre Verpflichtung zur Einhaltung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs bereits durch den verfrühten Zuschlag verletzt. Auch wenn das europäische Vergaberecht mangels öffentlichen Auftrages im Sinne von § 99 Abs. 1 GWB keine Anwendung finde, folge aus der Rechtsprechung des EuGH zur diskriminierungsfreien Vergabe von Dienstleistungskonzessionen, dass die Stadt mit ihrer Verfahrensweise die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes weder vereiteln noch unzumutbar erschwerden dürfe. Deshalb hätte gemäß Art. 19 Abs. 4, Art. 3 GG i.V.m. § 46 EnWG bzw. § 101a Abs. 1 S. 4 GWB analog die Stadt mindestens zehn Kalendertage warten müssen, bevor sie den Gas-Konzessionsvertrag hätte abschließen dürfen. Jedenfalls ergebe sich eine solche Verpflichtung aus der Entscheidung des VG Aachen im vorangegangenen Prozess, wonach die Stadt nach Mitteilung der Auswahlentscheidung einen ausreichenden Zeitraum hätte abwarten müssen, um die Einlegung eines Rechtsbehelfs zu ermöglichen. Aus der Verletzung dieser verfahrensrechtlichen Anforderungen ergebe sich daher die Unwirksamkeit des Gas-Konzessionsvertrages nach § 134 BGB.
Entscheidung
Das Kölner Landgericht wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht zurück.
§ 46 Abs. 3 EnWG sieht keine Wartefrist zwischen der Unterrichtung unterlegener Bieter über die Auswahlentscheidung und deren Vollzug durch Unterzeichnung des Gas-Konzessionsvertrages vor. Nicht einmal die von der Stadt hier vorgenommene Benachrichtigung der Verfügungsklägerin als unterlegene Bieterin ist in § 46 Abs. 3 EnWG vorgesehen. Vielmehr sieht § 46 Abs. 3 S. 6 EnWG allein eine öffentliche Bekanntmachung der Auswahlentscheidung vor, so die Kölner Richter. Zwar ist die Benachrichtigung der unterlegenen Bieter als auch eine gewisse Wartefrist bis zum Vollzug der Auswahlentscheidung erforderlich, um primären Rechtsschutz für unterlegene Bieter zu gewährleisten, der durch die Verhinderung der Vertragsunterzeichnung ausreichend Wirkung entfalten kann. Allerdings weist nach zutreffender Rechtsansicht des LG Köln § 46 Abs. 3 EnWG weder eine planwidrige Regelungslücke auf noch ist festzustellen, dass eine solche – wäre sie denn vorhanden – ausfüllungsbedürftig wäre. § 46 Abs. 3 EnWG ist als ausdifferenzierte Norm keine Regelungslücke zu entnehmen. Insbesondere eine analoge Anwendung des Kartellvergaberechts und damit des § 101a GWB kommt nicht in Betracht, weil die Vergaberechtsnormen des GWB auf Dienstleistungskonzessionen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der mit dem Begriff des öffentlichen Dienstleistungsauftrages in § 99 Abs. 4 GWB zum Ausdruck kommt, keine Anwendung finden sollen. Ebenso sind etwaige Bestrebungen auf europäischer Ebene, eine Zuschlagswartefrist im Unterschwellenbereich einzuführen, kein Indiz dafür, dass eine lückenhafte Regelung vorliegt. Eine entsprechende Anwendung von § 101a GWB scheidet daher aus.
Auch aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 GG ergibt sich nicht, dass eine Zuschlagswartefrist einzuhalten ist, damit Bieter Primärrechtsschutz erlangen können. So entfaltet die Entscheidung des VG Aachen nach landgerichtlicher Lesart schon deswegen keine Bindungswirkung, weil sich die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen lediglich im Rahmen eines obiter dictum bewegt haben und vom OVG Nordrhein-Westfalen auch nicht weiter aufgegriffen wurden. Dessen ungeachtet setzt ein effizienter Rechtsschutz auch nicht zwingend voraus, dass dem Rechtsschutzsuchenden tatsächliche Möglichkeiten zur Verfolgung eines Unterlassungsanspruches, inbesondere im Eilverfahren, zur Verfügung stehen. Die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03) für den Unterschwellenbereich ist nach Meinung des LG Köln auch auf den Bereich der Konzessionen übertragbar, wonach eine gesetzgeberische Entscheidung, für bestimmte Ausschreibungsverfahren keine dem § 101a GWB entsprechende Regelung vorzusehen und damit im Ergebnis lediglich sekundären Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist. Denn das Fehlen einer Wartefrist kann hier damit gerechtfertigt werden, dass ein Wechsel des Konzessionärs nicht hinausgezögert werden soll, um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden und die Erreichung der Ziele des § 1 EnWG sicher zu stellen, so das LG Köln. Es schließt sich hierbei ausdrücklich der Meinung des BGH (Beschluss v. 23.1.2012 – X ZB 5/11) zur Beschränkung des Rechtsschutzinstrumentariums für den Bereich der Dienstleistungskonzessionen an.
Eine Zuschlagswartefrist würde darüber hinaus auch nicht dazu führen, dass ein Vertrag, der ohne deren Einhaltung geschlossen würde, nichtig wäre, weil auch vergaberechtliche Vorschriften keine Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB darstellen (KG Berlin, Beschluss v. 19.4.2012 – Verg 7/11; OLG Karlsruhe, Urteil v. 6.2.2007 – 17 Verg 7/06). Nichts anderes kann hier gelten.
Das LG Köln bestätigt mit seinem Urteil, was sich durch juristische Methodik klar erschließt: Die Regelungen des GWB-Vergaberechts lassen sich nicht analog auf Sachverhalte anwenden, für die eine Anwendbarkeit gesetzlich ausdrücklich nicht vorgesehen ist. Eine Zuschlagswartefrist in entsprechender Anwendung von § 101a GWB ist daher folgerichtig weder für Gas-Konzessionsvergaben noch für Unterschwellenaufträge zu beachten. Die gesetzgeberische Entscheidung für die Vergabe von Gas-Konzessionsverträge keine Wartefrist vorzusehen, ist bis zu einer anderslautenden Rechtsetzung zu respektieren.
Rechtsanwalt Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren eine Vielzahl von VOL/VOB/VOF/SektVO-Verfahren öffentlicher Auftraggeber von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Die Expertise wird durch zahlreiche Fachveröffentlichungen und einschlägige Vortragstätigkeiten bestätigt. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.
Nach meiner Einschätzung ist die Entscheidung des LG Köln mit großer Vorsicht zu genießen. Die hohen Auftragswerte von Strom- und Gaskonzessionen rücken die europäischen Vorgaben in den Mittelpunkt. Das EuG hat 2011 bereits einen Warnschuss abgegeben und fordert in seinem Urteil effektiven und vollständigen Rechtsschutz mit Wartefrist vor einem Vertragsschluss (EuG, Urteil vom 20.09.2011, T-461/08). Auch die deutschen Gerichte sind einer Wartefrist nicht abgeneigt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg aus 2010)…