Die Kritik an ÖPP-Projekten im Autobahnbau reißt nicht ab (siehe bereits Vergabeblog.de vom 22/03/2017, Nr. 30216). Nun hat die Mittelständische Bauwirtschaft ihre ÖPP-Kritik erneuert und erhält dafür Zustimmung auch aus der Politik, so u.a. von Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies.
Hintergrund: Eine öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP) oder ist eine vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen der Privatwirtschaft in einer sog. Zweckgesellschaft. Was Bundesverkehrsminister Dobrindt als Wundermittel gegen Kostensteigerungen im Bundesfernstraßenbau angepriesen hatte, entpuppt sich bei einem der ersten ÖPP-Autobahnprojekte, der sogenannten „Hansalinie“, nun als das genaue Gegenteil: Der Betreibergesellschaft dieses in Öffentlich-Privaten- Partnerschaften (ÖPP) realisierten Projekts droht wegen zu geringer Einnahmen die Insolvenz. Der Bund sieht sich angeblich mit Forderungen in Höhe von über 770 Mio. Euro konfrontiert. „Damit erhält die ÖPP-Offensive der Bundesregierung einen herben Dämpfer. Es zeigt sich, dass ÖPP im Bundesfernstraßenbau doch nur Augenwischerei ist. Die vom Staat prognostizierte Win-Win-Hoffnung hat sich zerschlagen“, stellt Jürgen Faupel, Präsident der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e.V. (BVMB), fest. Mehr denn je sei es an der Zeit, das Geschäftsmodell ÖPP in Frage zu stellen und die Kritik der Bauwirtschaft ernst zu nehmen, so Faupel.
Schon lange vor der Realisierung des ersten Autobahn-Privatisierungsprojekts hatte sich die BVMB gegen ÖPP im Bundesfernstraßenbau ausgesprochen. Aus seiner Sicht begibt sich der Staat in die Abhängigkeit von Finanzinvestoren und Baukonzernen, begrenzt den Wettbewerb im Bundesfernstraßenbau absichtlich auf wenige Bieter und verdrängt den Mittelstand wegen überzogener ÖPP-Anforderungen aus dem Markt. Das aktuelle Desaster bei der Hansalinie zeige mehr denn je, dass langfristige Risiken der ÖPP-Projekte, die sich aus der Finanzierung und dem Betrieb ergäben, nicht sicher kalkulierbar seien.
Der BVMB fordert den sofortigen Stopp von künftigen ÖPP-Projekten. Er verlangt im Gegenzug die konventionelle Vergabe solcher Großbauprojekte nach der VOB/A, eine faire Risikoverteilung durch eindeutig beschriebene Leistungsbeschreibungen sowie den Erhalt der Finanzierungs- und Betriebskompetenz bei der öffentlichen Hand. „Wenn durchgängig Baurecht besteht, können auch Mittelständler schnell und effektiv bauen. Andernfalls bleibt es bei dem ausbeuterischen Einsatz der Mittelständler als Nachunternehmer mit vollem Haftungsrisiko“, so Faupel.
Der Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbes, Dr.-Ing. Hans-Hartwig Loewenstein, sekundiert: “Unsere schlimmsten Befürchtungen sind durch die bekannt gewordene finanzielle Schieflage der Betreibergesellschaft A1 Mobil bestätigt worden: ÖPP-Projekte im Autobahnbau kommen den Steuerzahler teurer als herkömmliche Vergaben. Daher fordern wir eine neue Bundesregierung auf, die derzeitige ÖPP-Strategie zu überdenken und den Ausbau weiterer Autobahnstrecken in Form von ÖPP-Projekten sofort zu stoppen.”
Schon der Bundesrechnungshof hatte darauf hingewiesen, dass die ersten fünf Projekte insgesamt um knapp 2 Mrd. Euro teurer ausgefallen sind, als bei herkömmlicher Vergabe. Nun kommen weitere 640 Mrd. Euro für ein weiteres Projekt dazu. “Dafür können unsere mittelständischen Bauunternehmen mit ihren qualifizierten Mitarbeitern viele Kilometer Autobahn bauen“, so Loewenstein weiter.
Auch Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies sieht sich in seiner Kritik gegenüber ÖPP-Projekten bestätigt:
“ÖPP ist nicht das geeignete Mittel. (…) ÖPP geht eben nicht immer schneller, ist eben nicht immer billiger und unsere Industrie und unsere Bauwirtschaft hat, wie man am Beispiel der A 7 sieht, das Nachsehen. Denn so baut am Ende ein französischer Konzern deutsche Autobahnen und unsere starke Bauwirtschaft wird plötzlich nur noch zum Dienstleister.” Die Entscheidung, ob eine Baumaßnahme als ÖPP überhaupt Sinn macht, müsse in Zukunft sehr viel genauer und auch kritischer hinterfragt werden. Die Forderung des Bundesrechnungshofes, die Datengrundlage für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zu verbessern, sei deshalb absolut richtig. Autobahnen könnten nicht allein nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten der Gewinnsteigerung geplant und unterhalten werden. “Straßen gehören zur öffentlichen Daseinsvorsorge und deshalb in die öffentliche Hand. Der Staat darf sich hier nicht aus der Verantwortung zurückziehen, gerade dann, wenn er selbst über genügend Mittel verfügt, sowohl finanziell als auch personell.”, so Lies.
Quellen: Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e. V. (BVMB), Zentralverband Dt. Baugewerbe (ZDB), Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr
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