Der zweite Teil des Beitrags zu OSS-Vergaben (Teil 1 finden Sie auf Vergabeblog.de vom 02/05/2022, Nr. 49442) behandelt eine Konstellation, in der von einer erhöhten Darlegungslast für das Leistungsversprechen eines Wettbewerbers im Zusammenhang mit der Nutzung von OSS auszugehen ist. Während der erste Teil dieses Beitrags verdeutlicht hat, welchen Restriktionen sich öffentliche Auftraggeber bei OSS-Vergaben ausgesetzt sehen können, zeigt die in diesem Beitragsteil besprochene Entscheidung Spielräume auf Auftraggeberseite bei OSS-Vergaben auf.
Der Auftraggeber (AG) nutzte anfänglich die OSS des Antragstellers (AS). Ehemals beim AS Beschäftigte gründeten ein eigenes Unternehmen, die Beigeladene (B), und entwickelten und vertrieben ihre eigene OSS. Der AG stellte auf die OSS von B um und schloss mit B einen Software-Wartungsvertrag. B passte die OSS in den Folgejahren umfassend an und erweiterte diese. Nach Auslaufen des Wartungsvertrags schloss der AG mit B ohne Ausschreibung einen Folgevertrag und zeigte die Auftragsvergabe durch eine Vergabebekanntmachung an. Der AG rechtfertigte die Produktfestlegung auf die OSS von B mit deren fester Verankerung in der eigenen IT-Infrastruktur. Die Direktbeauftragung von B begründete der AG mit fehlendem technischen Wettbewerb und einem Alleinstellungsstatus von B, den dieser mit einer Alleinvertriebserklärung bestätigt hatte. Der AS sei zur Erbringung der Leistungen mit Blick auf die seit mehreren Jahren erfolgte spezifische Anpassung auf die Bedürfnisse des AG aus objektiven Gründen nicht in der Lage.
Der AS legte nach erfolglosem Nachprüfungsantrag gegen die Direktbeauftragung von B Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein. Der AG habe seinen Beschaffungsbedarf nicht auf Produkte von B beschränken dürfen und habe insbesondere keine am Markt verfügbaren vernünftigen Alternativen in Erwägung gezogen. Vergaberecht würde umgangen, indem eine kostenlose Software übernommen und dann unter Verweis auf ein Alleinstellungsmerkmal teure Softwarewartungsverträge mit der Herstellerfirma abgeschlossen würden. Jedenfalls aber seien der AS und auch Dritte, da es sich um OSS handele, in der Lage, die beauftragten Wartungs- und Weiterentwicklungsleistungen zu erbringen. Dies gelte insbesondere deshalb, da der AS die OSS von B teilweise mitentwickelt habe und daher die zugrundeliegenden Codes gut kenne.
Das OLG bestätigte den vorangegangenen Beschluss der VK Bund, wonach der Nachprüfungsantrag mangels plausibler Darlegung eines Interesses am Abschluss des Wartungsvertrags unzulässig war.
Der AG durfte im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts den Beschaffungsbedarf festlegen ohne die Beschaffung anderer Software in Betracht zu ziehen. Beschaffungsgegenstand sei ein Wartungsvertrag für eine bestehende und bereits genutzte Software. Somit liege keine Umgehung von Vergaberecht durch Übernahme einer kostenlosen Software mit anschließendem Abschluss eines kostenpflichtigen Wartungsvertrages vor. Die bloße Behauptung des AS, er habe an dem Auftrag ein wirtschaftliches Interesse und sei leistungsfähig, reiche zur Begründung der Antragsbefugnis nicht aus. Es handele sich bei den vergebenen Wartungsarbeiten nicht um regulären Support, sondern aus Sicht der AS um eine Fremdsoftware mit hoher Komplexität und komplexem Quellcode. Angesichts dessen sowie angesichts der Anpassung auf die spezifischen Bedürfnisse des AG seien zur plausiblen Darlegung des Auftragsinteresses nähere Darlegungen zur personellen sowie fachlichen Kompetenz des AS bzw. eines von ihm zu beauftragenden Partnerunternehmens erforderlich gewesen.
Die Frage, ob die gewählte Verfahrensform und der Verzicht auf jeglichen Wettbewerb zulässig war, ließ das OLG Düsseldorf mangels Entscheidungserheblichkeit offen.
Die Ausführungen des OLG zur Zulässigkeit der produktspezifischen Ausrichtung der Wartungsleistungen auf die Bestands-OSS verdienen grundsätzlich Zustimmung. Es wäre für den AG nicht zumutbar gewesen, die über längere Zeit hinweg aufwändig angepasste Software nach Auslaufen des Supports nicht mehr nutzen zu dürfen und zur Beschaffung einer Alternativsoftware gezwungen zu sein. Aufgrund der Bestandsnutzung lag eine objektive, sach- und auftragsbezogene Rechtfertigung vor.
Bemerkenswert sind die strengen Anforderungen des OLG an die Darlegung des Auftragsinteresses gerade mit Blick auf die verfahrensgegenständliche OSS. So waren Vergabenachprüfungsinstanzen in der Vergangenheit eher großzügig und ließen häufig auch weniger substantiierte Bekundungen der Leistungsbereitschaft mit Blick auf den konkreten Auftrag genügen. Dies hätte man auch im hiesigen Fall mit Blick auf den offenen Quellcode der OSS vermuten können, der (zumindest theoretisch) Support- und Weiterentwicklungsleistungen durch Dritte ermöglicht. Womöglich leitet die vorliegende Entscheidung insoweit eine gewisse Trendwende ein.
Die Entscheidung zeigt, dass Bietern bei der Darlegung des Auftragsinteresses im Einzelfall durchaus mehr abverlangt werden darf. Dies sollte jedoch nicht zum Anlass eines generellen Misstrauens gegenüber Leistungsversprechen auf Bieterseite genommen werden. Die Darlegungslast auf Bieterseite hängt stets von den konkreten Anforderungen des Beschaffungsbedarfs sowie von dessen Komplexität und Individualität ab.
Auftraggeber sollten die rechtlichen Möglichkeiten für nachhaltige Beschaffungen unter Berücksichtigung bereits vorhandener IT-Infrastruktur durchaus häufiger nutzen. Die Entscheidung verdeutlicht, dass ursprünglich getroffene „Systementscheidungen“ über längere Zeit Bestand haben können.
Das OLG sah im vorliegenden Fall zwar keine Umgehung des Vergaberechts durch Nutzung einer kostenlosen OSS mit anschließender Beauftragung von auf die OSS ausgerichteten Wartungsarbeiten. Dies war jedoch auch dem geschuldet, dass der AG die Bestands-OSS bereits seit vielen Jahren genutzt hatte. Als noch nicht abschließend geklärt darf daher weiterhin die Frage gelten, ob eine Umgehungskonstruktion in Form einer ungerechtfertigten Produktfestlegung vorliegt, wenn der unentgeltlichen Nutzung einer ganz bestimmten OSS die Beauftragung hierauf bezogener Dienstleistungen in unmittelbarem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang folgt. Die Festlegung auf eine ganz bestimmte OSS sollte in derartigen Fällen besonders sorgfältig begründet und dokumentiert werden.
Vorsicht geboten ist bei Direktbeauftragungen unter Ausschluss jeglichen Wettbewerbs im Zusammenhang mit OSS-Vergaben. Weder die VK Bund in erster Instanz noch das OLG Düsseldorf hat insoweit in der Sache entschieden. Mit Blick auf den offen verfügbaren Quellcode dürfte sich ein technischer Ausschluss von Wettbewerb kaum begründen lassen.
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Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Fabian Bader verfasst.
Dr. Bader ist Rechtsanwalt bei der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Bader ist auf das Vergaberecht spezialisiert. Er berät schwerpunktmäßig öffentliche Auftraggeber bei der Gestaltung und Durchführung komplexer Vergabeverfahren sowie bei vergaberechtlichen Fragestellungen. Dabei befasst er sich auch mit Schnittstellen zu öffentlich-rechtlichen sowie organisationsrechtlichen Themen.
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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