Der Ausschuss Vergaberecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) hatte bereits im April einen Vorschlag zu einer gesetzlichen Regelung zum Rechtsschutz unterhalb der EU-Schwellenwerte unterbreitet. Nachdem in der aktuellen Diskussion um die Ausgestaltung eines solchen – laut Koalitionsvertrag “wirksamen Rechtsschutzes bei Unterschwellenaufträgen“ – das federführende BMWi ein Diskussionspapier mit möglichen Varianten einer Umsetzung vorgestellt hat, konkretisiert der DAV seine Position.
Grundsätzlich: Der DAV hält eine Ausweitung des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes auf Vergabeverfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte für geboten. Durch die Möglichkeit, im Nachhinein Schadensersatzansprüche geltend zu machen, würden Bieter und Bewerber bei Rechtsverstößen der öffentlichen Auftraggeber nicht hinreichend geschützt.
Gegenwärtig werden vom BMWi vier mögliche Lösungen für den von der Politik gestellten Auftrag diskutiert: Ein verwaltungsinternes Verfahren, eine Ausweitung des bisherigen zivilrechtlichen Rechtsschutzes, einen sogenannten „schlanken Rechtsschutz“ in Annäherung an den oberhalb der Schwellenwerte bestehenden und einen Rechtsschutz im Wesentlichen wie oberhalb der Schwellenwerte.
Verwaltungsinternes Verfahren
Ein verwaltungsinternes Beschwerdeverfahren zur Aufsichtsbehörde hält der DAV nicht für sinnvoll. Nachteilig sei insbesondere die absehbare Zersplitterung des Rechtsschutzes durch unterschiedliche landesrechtliche Regelungen, denn zuständig für die Ausgestaltung verwaltungsinternen Überprüfungsverfahrens sind die Landesgesetzgeber, sofern es sich nicht um Vergaben von Bundesbehörden handelt. Zudem könne aus der Sicht der Bieter die Sorge bestehen, “dass verwaltungsinterne Opportunitätserwägungen den Ausgang der Überprüfung beeinflussen”. Da gegen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde ein Rechtsbehelf nicht statthaft sein soll, begegneten dem Vorschlag mit Blick auf Art. 19 IV GG grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken.
Rechtsschutz nach der ZPO
Das Modell, das in Ergänzung der ZPO Rechtsschutz wie nach geltendem Recht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gewähren will, ist nach Auffassung des DAV ebenfalls ungeeignet. Die prozessualen Anforderungen an die Glaubhaftmachung und die Darlegungs- und Beweislast des Bieters erschweren den Rechtsschutz. Der DAV sieht in diesem Modell auch die Gefahr einer Verstärkung der bisher schon höchst unterschiedlichen Spruchpraxis der Landgerichte und Oberlandesgerichte in Vergabesachen.
Übernahme des Rechtsschutzsystems oberhalb der Schwellenwerte
Das vom DAV nach wie vor favorisierte Modell – mit gewissen prozessualen Einschränkungen. Denn der DAV lehnt eine uneingeschränkte Ausweitung des bestehenden Primärrechtsschutzes auf Verfahren unterhalb der Schwellenwerte ab. Wie bereits in seiner ersten Stellungnahme festgehalten, sei es angesichts der geringeren Auftragswerte im Interesse der Beschleunigung sinnvoll, durch geeignete prozessrechtliche Regelungen eine gestraffte Bearbeitung der Verfahren zu ermöglichen, „die dem geringeren Auftragswert und auch den unterhalb der Schwellenwerte tendenziell einfacheren materiellen Vergabevorschriften angemessen ist.“
Eine Beschränkung des materiellen Überprüfungsmaßstabs lehnt der DAV dagegen ab. Auch eine Einschränkung des Suspensiveffekts (Zuschlagsverbot nur auf besonderen Antrag, der an höhere Anforderungen geknüpft ist) führe nur zu „Zwischenverfahren, in denen z.B. darüber gestritten wird, ob ein wesentlicher Rechtsverstoß vorliegt.”
Eine gerichtliche Instanz hält der Deutsche Anwaltverein auch unterhalb der Schwellenwerte schon aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, aber auch zur Wahrung der Rechtsprechungseinheit in Vergabesachen für unverzichtbar.
Die vollständige Stellungnahme des DAV finden Sie hier.
Zum Deutschen Anwaltverein (DAV): Der DAV ist der freiwillige Zusammenschluss der deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Er vertritt mit derzeit 67.000 Mitgliedern die Interessen der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
0 Kommentare