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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 06/12/2015 Nr. 24350

Vergabespezifischer Mindestlohn europarechtskonform (EuGH, Urt. v. 17.11.2015 – Rs. C-115/14 – „RegioPost“)

Entscheidung-EU

Der Europäische Gerichtshof erachtet den vergabespezifischen Mindestlohn für europarechtskonform. In der Sache RegioPost v Stadt Landau hat der EuGH mit Urteil vom 17.11.2015 (Rs. C-115/14) sowohl die Pflicht zur Abgabe sog. Mindestentgelterklärungen als auch den Ausschluss des Bieters im Falle der Nichtvorlage einer entsprechenden Erklärung für zulässig erachtet. In seiner Begründung konkretisiert der Gerichtshof die „Rüffert“-Rechtsprechung und sieht – zumindest in dem zu entscheidenden Fall – die mit dem vergabespezifischen Mindestlohn einhergehende Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt.

Sachverhalt

Die Stadt Landau schrieb am 23.04.2013 einen Auftrag über Postdienstleistungen unionsweit im offenen Verfahren aus. Die Bieter sollten ihrem Angebot eine sog. Mindestentgelterklärung gemäß § 3 Abs. 1 des rheinland-pfälzischen Tariftreuegesetzes (LTTG) beifügen. Diese enthält die Verpflichtung potenzieller Leistungserbringer, den Beschäftigten bei der Leistungsausführung mindestens das jeweils gültige Mindestentgelt zu zahlen sowie dem öffentlichen Auftraggeber beim Einsatz von Nachunternehmern oder Beschäftigten eines Verleihers auch von diesen Mindestentgelterklärungen vorzulegen. Im Falle der Nichtabgabe der Erklärung sieht § 3 Abs. 1 LTTG den Ausschluss des Angebots vor.

Die Bieterin RegioPost GmbH & Co KG (RegioPost) erachtete § 3 LTTG für vergaberechtswidrig und verweigerte die Vorlage einer entsprechenden Mindestentgelterklärung. Die Stadt Landau schloss daraufhin die RegioPost vom Vergabeverfahren aus. Das von der RegioPost in zweiter Instanz angerufene OLG Koblenz legte mit Beschluss vom 19.02.2014 (Az. 1 Verg 8/13) dem EuGH die Fragen vor, ob die Pflicht zur Abgabe einer Mindestentgelterklärung sowie der Ausschluss des Bieters im Falle der Nichtvorlage einer solchen Erklärung gemäß § 3 LTTG mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der Richtlinie 2004/18/EG, vereinbar seien.

Die Entscheidung

In seinem Urteil vom 17.11.2015, Rs. C-115/14, bejahte der Gerichtshof beide Vorlagefragen.

Nationale Bestimmungen wie § 3 LTTG, die eine Verpflichtung zur Zahlung eines gesetzlich festgelegten Mindestlohns vorsehen, seien als eine „soziale Aspekte“ betreffende „zusätzliche Bedingung für die Ausführung des Auftrags“ im Sinne von Art. 26 der Richtlinie 2004/18/EG einzustufen. § 3 LTTG sei zudem mit dem Unionsrecht vereinbar, da die Norm weder unmittelbar noch mittelbar diskriminierend wirke.

In seiner Begründung erachtet der EuGH die mit § 3 LTTG einhergehende Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt. Dabei sei es unerheblich, dass der Geltungsbereich des § 3 LTTG nur für öffentliche und nicht auch für private Aufträge gelte. Die Beschränkung der Vorschrift auf öffentliche Aufträge sei lediglich die Folge des Umstandes, dass es für diesen Bereich durch die Richtlinie 2004/18/EG spezielle Regeln des Unionsrechts gebe. Nichts anderes dürfe aus der abweichenden Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache „Rüffert“ (Urt. v. 03.04.2008, Rs. C-346/06) gefolgert werden. Maßgebend für die im „Rüffert“-Urteil festgestellte Europarechtswidrigkeit der niedersächsischen vergabespezifischen Mindestlohnregelung sei der Umstand gewesen, dass dort der Mindestlohnsatz aus einem allein für die Baubranche geltenden Tarifvertrag folgte, der nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden sei und damit den Anforderungen der Arbeitnehmerentsende-Richtlinie 97/71 nicht genügte. Anders verhalte es sich jedoch im Fall des rheinland-pfälzischen LTTG. Der Mindestlohnsatz werde in § 3 LTTG selbst festgelegt und damit in einer Rechtsvorschrift, die als zwingende Bestimmung grundsätzlich allgemein und branchenunabhängig für die Vergabe aller öffentlichen Aufträge im Land Rheinland-Pfalz gelte. Darüber hinaus gewähre § 3 LTTG ein Mindestmaß an sozialem Schutz, da in dem im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitraum weder das Arbeitnehmerentsendegesetz noch eine andere nationale Regelung (wie z.B. das MiLoG) einen niedrigeren Mindestlohn für die Branche der Postdienstleistungen vorsah.

Schließlich erachtet der Gerichtshof auch den in § 3 LTTG vorgesehenen Angebotsausschluss bei Nichtvorlage der Mindestentgelterklärung mit Art. 26 der Richtlinie 2004/18/EG für vereinbar. So sei der Ausschluss keine Sanktion, sondern lediglich die Folge des Versäumnisses, dem Angebot die nach § 3 LTTG geforderte Erklärung beizufügen. Dieses Erfordernis werde in äußerst transparenter Weise in der betreffenden Vergabebekanntmachung formuliert und hebe die Bedeutung der Einhaltung einer durch Art. 26 der Richtlinie 2004/18/EG ausdrücklich zugelassenen zwingenden Schutzbestimmung hervor.

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Fazit

Die bisherige europarechtliche Kritik an den vergabespezifischen Mindestlöhnen fußt insbesondere auf dem Argument, dass ein so genannter partieller Arbeitnehmerschutz, der nur bei öffentlichen, nicht jedoch bei privaten Aufträgen zum Tragen kommt, keine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertige. Der EuGH tritt diesem Rechtsverständnis entgegen und schafft insoweit Klarheit, indem er seine Rechtsprechung in der Rechtssache „Rüffert“ – und auch „Bundesdruckerei“ (Urt. v. 18.09.2014, Rs. C-549/13) – konkretisiert.

Offen bleibt hingegen die zuletzt vom Verwaltungsgericht Düsseldorf (Beschl. v. 27.08.2015, Az. 6 K 2793/13) aufgeworfene Frage, ob der Arbeitnehmerschutz auch vor dem Hintergrund des zwischenzeitlich in Kraft getretenen MiLoG weiterhin als Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit angeführt werden kann. Der EuGH hebt in seinem Urteil ausdrücklich hervor, dass in dem für die Entscheidung maßgebenden Zeitraum das MiLoG noch keine Anwendung gefunden hat.

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Dr. Lars Hettich

Herr Dr. Lars Hettich ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht der Wirtschaftskanzlei BEITEN BURKHARDT, Düsseldorf. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Vergaberecht, Beihilfe- und Zuwendungsrecht sowie dem öffentlichen Baurecht. Herr Dr. Hettich begleitet seit 2003 die öffentliche Hand bei der Vorbereitung und Durchführung komplexer Beschaffungsvorhaben, Umstrukturierungen und kommunaler Kooperationen. Zudem betreut er die Privatwirtschaft bei der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen und vertritt deren Interessen und die der Vergabestellen in Nachprüfungsverfahren. Während seiner früheren Tätigkeit als Syndikus einer deutschen Großbank hat Herr Dr. Hettich außerdem Kommunen und Unternehmen bei der Finanzierung öffentlich-privater Partnerschaften beraten. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit publiziert Herr Dr. Hettich laufend zu aktuellen vergaberechtlichen Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung. Darüber hinaus tritt er als Referent von Fachvorträgen und Seminaren auf.

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