Man kennt es von zu Hause: Die originale Druckerpatrone ist zwar teurer als das No-Name Produkt, aber wer weiß schon so genau, ob Letzeres auch wirklich 100%ig kompatibel ist. Gem. § 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A ist eine Bezugnahme auf Markennamen unzulässig. Aber, gilt das auch für mittelbar herstellerabhängige Verbrauchsmaterialien wie bspw. Tintenpatronen, wenn der eigentliche Drucker schon vorhandenen ist? Im konkreten Fall hatte das OLG Frankfurt a.M. darüber zu befinden, ob eine Ausschreibung von Tintenpatronen, bei der die Angebote mit den Original- im Verhältnis zu den Alternativprodukten deutlich besser gewichtet wurden, rechtmäßig war.
Was auf den ersten Blick wirtschaftlich so unbedeutend erscheint, ist es nicht: Bei dieser Ausschreibung der zentralen hessischen Beschaffungsstelle für Informationstechnik sollte eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung von DV-Verbrauchsmaterialien (in erster Linie Tonerkartuschen und Tintenpatronen) im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben werden. Angesichts der vierjährigen Laufzeit wurde der Auftragswert auf 8 Millionen Euro geschätzt.
Gegen die genannte Gewichtung ging einer der Bieter von Alternativprodukten vor. Diese sah vor, Originale gegenüber den Baugleichen im Verhältnis 60 zu 40 zu werten, gegenüber wiederbefüllten Patronen sogar 90 zu 10. Das OLG (Beschluss vom 29.05.2007, Az.: 11 Verg 12/06) war der Ansicht, dass bei einer solch deutlich unterschiedlichen Gewichtung die Antragstellerin keine Chance hatte, in die nähere Auswahl für eine Zuschlagserteilung zu gelangen. Mittelbar habe der Auftraggeber so bestimmte Produkte vorgegeben und damit gegen § 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A verstoßen. Allerdings führt das Gericht weiter aus: „Eine Ausschreibung [kann] grundsätzlich auch in dieser Form durchgeführt werden; hierfür muss jedoch ein berechtigter Anlass bestehen und die Vergabestelle hat dies im Einzelnen nachvollziehbar zu begründen und zu dokumentieren“.
Die ausschreibende Stelle hatte vorliegend damit argumentiert, das die Gewichtung dem Bestellverhalten der jeweiligen Behörden entspreche – das allein, so das OLG, sei nicht ausreichend, solange hierfür keine sachliche Begründung angegeben werde. Auch der Hinweis, über die Vielfalt der verschiedenen dort verwendeten Drucker und deren Zustand keine genauen Angaben zu haben, genügte den Richtern nicht. Sollte es wirklich zu Inkompatibilitäten zwischen Alternativprodukten und Druckern kommen, hätte die ausschreibende Stelle dies im Vorfeld entsprechend untersuchen und dokumentieren müssen. Das Gericht führte dazu aus: „Der Vergabestelle ist darüber hinaus entgegenzuhalten, dass auch keine ausreichende Dokumentation Ihrer Erwägungen vorgenommen worden ist…Es fehlen insbesondere Unterlagen, die den Prüfungs- und Willensbildungsprozess der zuständigen Entscheidungsträger dokumentieren und aus denen sich die Einhaltung des Wertungsspielraums der Antragsgegnerin nachvollziehen lassen, insbesondere das Vorliegen der besonderen Umstände erkennen lassen, aus denen es nachvollziehbar gerechtfertigt ist, ein bestimmtes Bestellverhalten als maßgebend zugrunde zu legen.“
Es fehlte also weniger an einem sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung, als vielmehr einem Nachweis darüber, dass dieser sachliche Grund auch tatsächlich einschlägig war und deshalb die Vergabestelle Ihre Entscheidung maßgeblich darauf stütze. „Ein fortlaufend geführter Vergabevermerk hinsichtlich Planung, Vorbereitung von Entscheidungsphasen und insbesondere der tragenden Ermessenserwägungen, die zu der Aufstellung des Leistungsverzeichnisses in der vorliegenden Form geführt haben, ist in den von der Vergabestelle vorgelegten Akten nicht enthalten“, so das Gericht.
Fazit: Die Verpflichtung zur produktneutralen Leistungsbeschreibung gem. des europarechtlichen Diskriminierungsverbots legt dem Beschaffer keine Ketten an, die im Extremfall zu wirtschaftlich unsinnigen – weil z.B. nicht in Gänze verwendbaren – Warenbeschaffungen führen. Es gilt aber, diese Abweichung vom Grundsatz der produktneutralen Beschaffung hinreichend plausibel darzulegen und über den gesamten Prozeß der Erstellung des Leistungsverzeichnisses zu dokumentieren, wobei hieran ganz sicher hohe Anforderungen zu stellen sein werden.
Zum Vergleich:
§ 8 Nr. 3 VOL/A
(3) Bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren sowie bestimmte Ursprungsorte und Bezugsquellen dürfen nur dann ausdrücklich vorgeschrieben werden, wenn dies durch die Art der zu vergebenden Leistung gerechtfertigt ist.
(4) Die Beschreibung technischer Merkmale darf nicht die Wirkung haben, dass bestimmte Unternehmen oder Erzeugnisse bevorzugt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dass eine solche Beschreibung durch die zu vergebende Leistung gerechtfertigt ist.
(5) Bezeichnungen für bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren (z. B. Markennamen) dürfen ausnahmsweise, jedoch nur mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“, verwendet werden, wenn eine Beschreibung durch hinreichend genaue, allgemeinverständliche Bezeichnungen nicht möglich ist.
Marco Junk
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Kaufmann Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
Schreibe einen Kommentar