Ein Gastbeitrag von RA Dr. Martin Schellenberg
Muss sich die Vergabestelle die Entscheidung ihrer politischen Leitung, eine Ausschreibung aufzuheben, zurechnen lassen? Und hat ein Bieter in diesem Fall Anspruch auf Schadensersatz, weil die Vergabestelle für den Auftrag keine ausreichenden Verpflichtungsermächtigungen im Haushaltsplan eingestellt hatte? Spannende Fragen, die die Vergabekammer des Bundes (VK Bund v. 18.01.2011, Az.: VK 2-134/10) zu entscheiden hatte. Die Entscheidung ist bislang nicht veröffentlicht – im Vergabeblog aufbereitet durch den heutigen Beitrag von RA Dr. Martin Schellenberg, Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek (Anmk. der Red.)
Eine Vergabestelle darf die Ausschreibung aufheben, wenn sie die Beschaffungsabsicht endgültig aufgibt. Erfolgt die Aufhebung nur zum Schein, so kann die Vergabekammer die Fortführung anordnen.
Die Vergabestelle kann auch in anderer Weise als durch Verpflichtungsermächtigungen nachweisen, dass sie ausreichende Haushaltsvorsorge für die Ausschreibung getroffen hat.
Die Entscheidung der politischen Leitung rechtfertigt nicht, das Verfahren entschädigungslos im Sinne von § 20 EG VOL/A (26 VOL/A 2006) aufzuheben.
Der Fall
Ein Bundesministerium schreibt ein Logistikprojekt im Verhandlungsverfahren aus. Nach einem zweijährigen Auswahlprozess mit mehreren Angebotsphasen und Verhandlungen steht der Bestbieter fest. Die politische Leitung entscheidet jedoch gegen die Vergabe und ordnet an, das Verfahren aufzuheben. Hiergegen wendet sich der Bestbieter und beantragt bei der Vergabekammer, das Verfahren wieder aufzunehmen und ihm den Zuschlag zu erteilen. Außerdem beantragt er, festzustellen, dass die Aufhebung rechtswidrig war.
Die Entscheidung (VK Bund v. 18.01.2011, Az.: VK 2-134/10)
Keinen Erfolg hat der Antrag, das Verfahren fortzuführen. Die Kammer stellt fest, dass die Vergabestelle die Absicht endgültig aufgegeben hat, diesen konkreten Auftrag zu erteilen. Dem steht nicht entgegen, dass sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt Teile des Auftragsvolumens wieder an den Markt bringen wird.
Die Kammer stellt jedoch auch fest, dass die Aufhebungsentscheidung der politischen Leitung des Ministeriums kein externes Ereignis, sondern die Vorgabe eines Organs der Vergabestelle selbst ist.
Nicht durchdringen kann die Antragstellerin allerdings mit dem Vorwurf, die Vergabestelle habe keine ausreichenden Verpflichtungsermächtigungen im Haushaltsplan eingestellt und schulde bereits deshalb Schadensersatz. Die VK Bund erkennt ausdrücklich an, dass ein öffentlicher Auftraggeber auch anders als durch Verpflichtungsermächtigungen Haushaltsvorsorge treffen und nachweisen kann.
Kommentar
Die Entscheidung bringt in mehrfacher Hinsicht Klarheit in das schwierige Thema Aufhebung von Ausschreibungen. Zunächst macht sie deutlich, dass sich die Vergabestelle mit ihrer politische Leitung eine einheitliche juristische Person bildet, deren Entscheidung sie sich zurechnen lassen muss.
Klarheit schafft die Kammer noch in einer weiteren Frage: In der Praxis herrscht vielfach Unsicherheit darüber, wie die Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln nachgewiesen werden muss. Der Beschluss stellt klar, dass eine Verpflichtungsermächtigung im Haushaltsgesetz bei Landes- oder Bundesbeschaffungen nicht erforderlich ist. Die Vergabestelle kann auf andere Weise dokumentieren, dass sie entsprechende Vorsorge getroffen hat.
Öffentliche Auftraggeber können aus dieser Entscheidung lernen, dass sie ihre politische Leitung im Vorhinein über die Vergabe entscheiden lassen müssen. Ist eine Gremienentscheidung vor Zuschlag erforderlich, so muss diese jedenfalls als vertraglicher Vorbehalt in die Ausschreibung aufgenommen werden. Da die VK Bund in dieser Entscheidung nicht darauf eingeht, müsste dieser Vorbehalt weiterhin zulässig sein.
Der Autor Dr. Martin Schellenberg ist Rechtsanwalt und Partner am Hamburger Standort von Heuking Kühn Lüer Wojtek und leitet dort das Public Sector-Team. Seit über zehn Jahren vertritt er öffentliche Auftraggeber und private Unternehmen bei der Vergabe öffentliche Aufträge sowie im Beihilferecht. Er ist außerdem Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg sowie Vorstand des Bundesverbands Public Private Partnership e.V.
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