Ein Gastbeitrag von Simone Terbrack, M.A., und Bac.jur. Sarah Schadendorf
Die Europäische Union wolle „das Wasser privatisieren“, so lautet eine derzeit in den Medien und der deutschen Politik häufig geäußerte Befürchtung, der auch in der Europäischen Bürgerinitiative right2water Ausdruck verliehen wird. Anlass für die Proteste ist der von der EU-Kommission ausgearbeitete Entwurf für eine Dienstleistungskonzessionsrichtlinie, über den zuletzt am 24. Januar 2013 im Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments abgestimmt wurde. Tatsächlich verfolgt die EU-Kommission sowohl auf EU- als auch auf GATS-Ebene seit Jahren eine Liberalisierungsstrategie für wasserbezogene Dienstleistungen. Was genau also soll die geplante Richtlinie regeln und was würde sich an der bestehenden Rechtslage ändern?
Streit um den Regelungsbedarf hinsichtlich Konzessionen
In Deutschland wird die Trinkwasserversorgung vor allem aufgrund von Dienstleistungskonzessionen erbracht. Dienstleistungskonzessionen fallen – anders als Baukonzessionen – bisher nicht in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien. Für sie gelten nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs allein die aus den Grundfreiheiten folgenden Prinzipien der Transparenz und Nichtdiskriminierung.
Streit besteht deshalb schon über die Frage, ob für Dienstleistungskonzessionen überhaupt ein Regelungsbedarf auf europäischer Ebene besteht. Der deutsche Bundesrat hat im März 2012 Rüge wegen Verletzung des Subsidiaritätsprinzips erhoben, da die EU-Kommission aus seiner Sicht keine schwerwiegenden Wettbewerbsverzerrungen oder eine Marktabschottung belegen konnte.
Im Bundestag und seitens der Kommunen wurde vor allem vor den strukturellen Auswirkungen im Bereich der Wasserversorgung gewarnt. Bisher erbringen in Deutschland vielfach kommunale Stadtwerke oder Wasserzweckverbände die qualitativ hochwertige Trinkwasserversorgung. Kritisiert wird, dass die vorgeschlagene Richtlinie in die Organisationshoheit der Kommunen eingreife, weil sie zur EU-weiten Ausschreibung zwinge und die bestehenden Strukturen nicht mehr erlaube. Dabei wird vielfach übersehen, dass das Vergaberecht weder Privatisierungsrecht ist, noch dass es zur Auswahl des billigsten Anbieters zwingt.
Privatisierung der Wasserversorgung durch die geplante Dienstleitungskonzessionsrichtlinie?
Wenn die Auftraggeber eine Leistung selbst erbringen wollen, ist das Vergaberecht nicht anwendbar. Erst wenn sie sich entscheiden, die Leistung außerhalb ihrer eigenen Organisationsstruktur zu vergeben, ist die Beschaffung aus Gründen der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und des Wettbewerbs auszuschreiben.
Der Europäische Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung Grenzen entwickelt, bis zu denen angenommen werden kann, dass eine Leistung durch den Auftraggeber selbst erbracht wird. Nach dieser Rechtsprechung ist ein vergaberechtsfreies Inhouse-Geschäft möglich, wenn der Auftraggeber über das zu beauftragende Unternehmen eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und das Unternehmen im Wesentlichen für den Auftraggeber tätig ist. Auch die interkommunale Zusammenarbeit zwischen mehreren Gemeinden zur Erledigung von Aufgaben im öffentlichen Interesse ist nicht auszuschreiben. Der Entwurf der Konzessionsrichtlinie nimmt diese Rechtsprechung auf und stellt die Vergaben von Aufträgen an verbundene Unternehmen, Gemeinschaftsunternehmen und bei anderen Beziehungen zwischen öffentlichen Stellen vom Vergaberecht frei.
Die kommunalen Stadtwerke und Zweckverbände gehören zwar oft zu 100 % der öffentlichen Hand. Gleichzeitig sind sie über ihr Strom- und Gasgeschäft aber in großem Umfang im privaten Markt tätig. Dadurch fallen sie nicht unter die bisher im Entwurf kodifizierten Ausnahmen. Den Kommunen steht es jedoch frei, ihre Stadtwerke nach den Vorgaben der Inhouse-Vergabe oder interkommunalen Zusammenarbeit zu organisieren, um eine europaweite Vergabe zu umgehen. Dazu müsste vor allem das Strom- und Gasgeschäft von der Trinkwasserversorgung getrennt werden. Zudem müssten alle privaten Beteiligungen an den Stadtwerken beendet werden. Zu Veränderungen dieser als bewährt angesehenen Struktur und dem damit verbundenen Aufwand sind viele Kommunen jedoch nicht bereit.
Der Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments soll am 24. Januar 2013 einige Änderungen am Richtlinienentwurf vorgenommen haben. Neben einer Übergangszeit für bestehende Verträge und teilprivatisierte Bereiche soll die Beauftragung mit der Trinkwasserversorgung an Unternehmen, die allein im Besitz der öffentlichen Hand sind, gänzlich vergaberechtsfrei sein. Auf das Wesentlichkeitskriterium – und die Vermischung mit dem Strom- und Gasgeschäft bei den Stadtwerken – käme es demnach nicht mehr an. Nach anderen Berichten soll weiterhin vorausgesetzt sein, dass das Unternehmen nur im Wassersektor tätig ist. Dies träfe auf die bisherige Stadtwerke-Struktur nicht zu.
Verschlechterung der deutschen Trinkwasserversorgung durch die Konzessionsrichtlinie?
Auch wenn für die kommunale Versorgungsstruktur in Deutschland in den weiteren Beratungen des Richtlinienentwurfs keine Ausnahmen geschaffen werden, muss dies noch lange nicht das Ende der hochwertigen deutschen Trinkwasserversorgung bedeuten.
Im Rahmen eines vergaberechtlichen Verfahrens stehen den Kommunen verschiedene Möglichkeiten der Qualitätssicherung zur Verfügung. Schon in der Leistungsbeschreibung und den Eignungsanforderungen können hohe Mindestanforderungen an den Versorger und die Trinkwasserqualität gestellt werden. Der Zuschlag muss sich zudem nicht nach dem Billigstprinzip richten. Das wirtschaftlichste Angebot kann eine Reihe von Qualitätskriterien einbeziehen. Dabei können auch Umwelt- und Sozialkriterien eine Rolle spielen. Zu überlegen ist auch, ob ein niedriges Verbraucherpreisniveau als Zuschlagskriterium gewählt werden kann. Das dadurch gesteigerte Betriebsrisiko des Konzessionsnehmers könnte durch eine Draufzahlung des Auftraggebers ausgeglichen werden. Da die Konzessionen nur auf Zeit vergeben werden, findet zudem regelmäßig ein neuer Wettbewerb um das beste Angebot statt.
Auch in einem wettbewerblichen Vergabeverfahren ist es alles andere als ausgeschlossen, dass die bisherigen kommunalen Betreiber den Zuschlag erhalten. Dann bliebe im Ergebnis sogar alles beim Alten.
Die vorgesehene Verrechtlichung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen mündet nicht zwangsläufig in der Privatisierung deutschen Trinkwassers. Das Vergaberecht lässt viele Möglichkeiten, die bewährten Strukturen beizubehalten und eine hohe Qualität des Trinkwassers sicherzustellen. Den Wassersektor in den laufenden Beratungen vom Anwendungsbereich der Konzessionsrichtlinie auszunehmen, ist insofern keine absolute Notwendigkeit, aber eine bedeutsame rechtspolitische Grundentscheidung im Bereich der Daseinsvorsorge. Angesichts der allgemeinen Liberalisierungsbestrebungen der EU-Kommission im Wassersektor und der starken Lobby der deutschen und französischen Wasserindustrie sollten die wasserbezogenen Rechtsetzungsvorhaben der EU aufmerksam beobachtet und kritisch begleitet werden. Die zahlreichen fehlgeschlagenen Wasserprivatisierungsprojekte in Entwicklungs- wie europäischen Ländern sollten Anlass sein, den Markt für das lebenswichtige Gut Wasser nicht unbedacht zu öffnen.
Eine ausführliche Version dieses Artikels mit Hintergrundinformationen und Verweisen auf die aktuelle Diskussion ist auf dem Blog der Jungen Wissenschaft im Öffentlichen Recht erschienen. Die Autorinnen laden außerdem zur Diskussion im Deutschen Vergabenetzwerk ein.
Die Autorinnen sind Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an der Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft in Hamburg. Dipl.-Jur. Simone Terbrack, M.A. (Foto ganz links), promoviert über Transparenz im Vergaberecht und ist am Lehrstuhl für Öffentliches Recht (einschließlich Europarecht), Verwaltungswissenschaft und Rechtsvergleichung tätig. Bac.jur. Sarah Schadendorf arbeitet am Lehrstuhl für Internationales Recht und promoviert im Völkerrecht.
Es geht nicht um die Verschlechterung des Wassers nach einer Privatisierung,viel mehr ist zu befürchten,dass die neuen Besitzer,AG´s, an der Preisschraube drehen,schließlich muss ja Kohle ins Haus wie überall sobald die Heuschrecken das Ruder übernehmen.
Grundübel sind in der Tat die allgemeinen Liberalisierungsbestrebungen der EU-Kommission im Wassersektor und der starken Lobby der deutschen und französischen Wasserindustrie. Die Deckung des Bedarfs an Wasser zu finanzierbaren Preisen ist ein Grundrecht, und hieran darf nicht gerüttelt werden.
Wer sich – vor der rechtlichen Diskussion – mit Meinungen und Fakten auseinandersetzen möchte, erhielt in dem gestern auf ARTE ausgestrahlten Beitrag jede Menge Informationen.
http://www.youtube.com/watch?v=dLaVwYjfejw
Vergangene Woche hat EU-Kommissar Barnier im Binnenmarktausschuss Änderungen hinsichtlich der Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht angekündigt.
Die Wassersparte kommunaler Unternehmen soll separat betrachtet werden, sodass nicht ausgeschrieben werden muss, wenn ein kommunales Unternehmen mehr als 80 Prozent seines Wassergeschäfts in der eigenen Kommune macht.
Ob von dieser Ausnahme auch teilprivatisierte Wasserversorger erfasst sein sollen, bleibt vorerst unklar.
http://www.taz.de/!111638/
interessanter und ausgewogener beitrag. danke den beiden damen!
im rahmen unseres EP-geförderten projekts haben wir bereits eine diskussion mit MEPs, vertreter der kommission und betroffenen durchgeführt, die hier zu sehen ist:
http://www.europe-so-close.eu/diskussion-vom-22-2-13-aufzeichnung-chat-und-mailadressen/
das statement von michel barnier im IMCO ausschuss zur frage der konzessionen ist hier zu sehen:
http://www.europe-so-close.eu/zugestandnisse-von-kommissar-barnier-bei-trinkwasserversorgung/
der zweite termin morgen wird ja dankenswerterweise hier im blog übernommen:
https://www.vergabeblog.de/2013-03-05/live-ubertragung-im-vergabeblog-diskussion-zur-eu-konzessionsrichtlinie-mit-heide-ruhle/